Herzfleischentartung

Ein Roman von Ludwig Laher, vorgestellt

 

von Andi Wahl

Franz Kubinger hatte im Jahre 1939 eine gute Idee. Warum nicht jede verfügbare Arbeitskraft zum Aufbau des Deutschen Reiches nutzen? Auch, und vor allem, die Arbeitskraft jener Volksgenossen, die sich dieser historischen Aufgabe durch Faulheit oder Widerborstigkeit zu entziehen suchen.

Nach einigen Anpassungen der Idee an reale Vorgaben wird Kubinger von Gauleiter und Reichsstatthalter Eigruber alsbald zum Gaubeauftragten für Arbeitserziehung bestellt. Eine seiner wichtigsten Aufgaben: Aufbau eines Lagers im kleinen Innviertler Dorf Haigermoos. Dort in der Nähe, in St. Pantaleon, ist eine reichlich überflüssige Moorlandschaft trocken zu legen. Und so geht Kubinger, mit Unterstützung qualifizierter – und vor allem hoch motivierter – Helfer aus den Reihen der SA, frisch ans Werk.

Im Verlauf des Buches beschreibt Ludwig Laher die wechselvolle Geschichte dieses Lagers, seiner Täter und Opfer. Sadistische Exzesse des Aufsichtspersonals, die demonstrative Gleichgültigkeit der Bevölkerung und die habgierigen Bereicherungsabsichten „guter Parteigenossen“. Aber auch das entschlossene Eingreifen eines Staatsanwaltes, der es soweit treibt, dass Hitler selbst das Verfahren gegen die Lagerleitung niederschlagen muss. Nach der überhasteten Schließung des Erziehungslagers wird dort ein „Zigeuneranhaltelager“ errichtet. Für die Insassen dieses Lagers findet sich allerdings niemand, der für sie Partei ergreift. Eine Haltung, die sich auch in der Zweiten Republik fortsetzt. Laher, der für dieses Buch tausende Aktenseiten durchgearbeitet hat, verfolgt die Täter auch ins wiedererstandene Österreich. Die späten Verfahren und die milden Urteile.

Neben dem fundierten, aus akribischer Arbeit entstandenen historischen Wissen des Autors beeindruckt an diesem Buch vor allem die Sprache. Dynamisch und mit zahlreichen Brüchen versehen, erhält die/der LeserIn nicht nur Einblicke in historische Abläufe, sondern auch in eine mögliche Denkwelt der Täter. Und genau das ist es, was mich an diesem Buch so beeindruckt hat. Als LeserIn muss man vor diesem Schriftsteller ständig auf der Hut sein. Er nimmt eineN bei der Hand und führt eineN zu Plätzen und Ereignissen, denen man sich selbst niemals ausgesetzt hätte. Mit einer sehr leicht scheinenden, geistvollen und manchmal sogar witzigen Sprache verführt er dazu, die emotionale Deckung, die man sich für solche Literatur zurecht gelegt hat, etwas sinken zu lassen, und erreicht dadurch auch bei sich abgebrüht wähnenden Menschen Fassungslosigkeit und Bestürzung. Ein Buch, dessen Lektüre mir schwer gefallen ist, das ich aber keinen Moment missen möchte.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Web-Zeitung „prairie“ http://www.prairie.at

Andi Wahl

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