Prekär. Und dann?

Wir brauchen nicht nur eine öffentliche Debatte zu prekären Verhältnissen — wir müssen vor allem auch über Ent-Prekarisierungspolitik sprechen! Elisabeth Mürzl gewährt Einblick in ihre Forschung.

Während der aktuellen Pandemie werden die prekären Verhältnisse im Kulturbereich nicht nur sichtbarer, sie verschärfen sich sogar. Ein guter Moment also, um sie nicht nur zu thematisieren, sondern auch über Schritte einer Ent-Prekarisierungspolitik nachzudenken. Wie diese konkret aussehen kann, untersuche ich in meiner Masterarbeit. Dazu nehme ich Organisationen in Österreich in den Blick, die als Interessenvertretung für prekäre Gruppen agieren – neben dem Kulturbereich untersuche ich auch Initiativen aus dem Bereich der Erwerbsarbeitslosigkeit. Es folgt eine Zwischenbilanz:

Interessenvertretungen ent-prekarisieren
Leider überrascht es nicht, dass in beiden Bereichen – ja grundsätzlich dort, wo Menschen nicht gewerkschaftlich vertreten sind – Interessenvertretungen ebenso auf Förderungen angewiesen sind wie ihre Interessengruppen; ihre Lage daher gleichermaßen prekär ist. Ein Aktivist der Initiative Arbeitslos.Selbstermächtigt wünscht sich eine finanzielle Grundabsicherung jener Vereine, die sich als Interessenvertretungen engagieren. Gemeinsam mit anderen Ländervertretungen der unabhängigen Kulturinitiativen kämpft die KUPF OÖ seit jeher um Zugang zur Bundesförderung, die sie von der Landespolitik weniger abhängig machen würde. Ent-Prekarisierung der Interessenvertretung also als Zwischenschritt und Grundstein für eine umfassende Ent-Prekarisierungspolitik?

Demokratiebudget fordern
Diese Grundfinanzierung ließe sich über einen Fördertopf für Interessenvertretungen realisieren – ein Demokratiebudget gewissermaßen. Das würde auch daran anschließen, was empirische Sozialforschung uns immer wieder zeigt: Interessenvertretung in prekären Bereichen ist gleichzeitig auch der Kampf um einen verantwortlicheren Staat. Denn ein solcher neuer Fördertopf bietet auch die Chance, Fehler der aktuell üblichen Förderpolitik zu vermeiden: Es braucht einen wachsend angelegten Fonds, der mehrjährige Förderungen vergibt. Wie aber kann man es gegenüber der Zielgruppe rechtfertigen, nachhaltiger und somit besser finanziert zu werden? Wäre es nicht sinnvoller, Forderungen nach zusätzlichen Fördermitteln (nach wie vor) für die Erhöhung des Kulturbudgets zu stellen? Es steht außer Frage, dass es – und das nicht nur aufgrund der Corona-bedingten Lage – mehr Geld von staatlicher Seite für Kultur braucht. Und dennoch: Wenn wir gesellschaftlichen Wandel vorantreiben wollen, darf sich Ent-Prekarisierungspolitik nicht auf Forderungen für den Kulturbereich beschränken. Ent-Prekarisierungspolitik muss die politische Teilhabe aller prekären Gruppen absichern.

Gesellschaftlicher Wandel und politischer Optimismus
Für andere mitzustreiten heißt auch, die Arbeit nicht alleine schultern zu müssen. Interessenvertretungen aus anderen prekären Bereichen sorgen wiederum für die Sichtbarkeit (weiterer) gesellschaftlicher Ungleichheiten und tragen so zur Bewusstseins- und Bildungsarbeit in der Gesellschaft bei. Ein solcher Fördertopf könnte zudem wieder demokratische Hoffnung aufkeimen lassen und neue Aktivist*innen motivieren, sich zu engagieren. Das stärkt aktive Interessenvertretungen, kann aber auch neue hervorbringen. Neue Rahmenbedingungen einer langfristigen finanziellen Absicherung machen letzteres nicht nur denkbar, sondern sogar realistisch. Ebenso nah liegt der Gedanke, dass sich neue Interessenvertretungen an Erfahrungswerten der schon langjährig aktiven Organisationen orientieren und so schneller aus den politischen Kinderschuhen herauswachsen können.

Wie weiter?
Die Ent-Prekarisierung der Interessenvertretungen würde den Grundstein für die Entwicklung und Umsetzung einer umfassenden Ent-Prekarisierungspolitik legen. Das heißt gleichzeitig, dass damit noch lange nicht alles getan wäre. Wie können gemeinsame Aktionen von Initiativen aus prekären Bereichen aussehen? Braucht es Alternativen zum Streik? Diesen Fragen will ich in meiner Masterarbeit weiter nachgehen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es für solche Überlegungen und die Formulierung konkreter, gemeinsamer Forderungen nicht nur starke Interessenvertretungen, sondern auch engagierte Wissenschaft braucht, die sich an politischen Initiativen orientiert und sich mit ihnen auseinandersetzt.

Comic „The Poet’s Dilemma“ von Stephan Gasser.

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