Zu viel des Guten

Die Empörung im liberalen Bürger*innentum ist groß: Klimawandel, Tote im Mittelmeer, sexistische Smoothies – genauso undifferenziert wie diese Themen hier aneinander gereiht werden, hauen auch die selbsternannten Aktivist*innen brav in die Tasten, wenn es darum geht, Kapital aus dem Leid anderer zu schlagen. Sie werden belohnt mit Likes, Shares, kollektiven Mitleidsbekundungen und ein paar wütenden Rülpsern. «Wie konnte es nur so weit kommen?», schreibt Alman-Anna empört ins Netz und postet den letzten massenkonformen Social-Media-Aufschrei. Dann klappt sie ihren Laptop zu und geht in die Arbeit, wo sie – mit Macht ausgestattet – anderen das Leben zur Hölle macht. Genauso wie Lukas, dem Antirassismusarbeit auf Social Media ein total großes Anliegen ist – der aber nichts dabei findet, einem Genozidleugner den Nobelpreis zu verleihen. Wo kämen wir denn da hin, wenn selbst sein Lieblingsbuch aus der sechsten Klasse kritisiert wird?

Ihr Protest ist nichts wert, denn er ist bequem. Und fällt je nach eigener Interessenslage auch sehr unterschiedlich aus. Männerdominierte Führungsetagen – ein Skandal! Einen gewalttätigen Autor feiern? – «Werk vom Autor trennen». Solidarität mit Kurd*innen? Nur, wenn welche im Freund*innenkreis sind. Kommt es nämlich auf reale Solidarität an – und die sollte im Idealfall allen Menschen gelten, die unterdrückt, verfolgt, diskriminiert oder systematisch ermordet werden – schweigt das weiße Bürger*innentum und pickt sich im besten Fall die massenkonformen Rosinen heraus, um sein eigenes Image zu polieren.

Ganz besonders gerne und oft machen das übrigens österreichische Journalist*innen. Schließlich ist es ja dem Beruf nicht zuträglich, reale Strukturen zu hinterfragen oder – man stelle sich bloß vor – diese auch tatsächlich zu verändern (!). Was jedoch gerne gesehen wird, sind Charity-Postings, bei denen sich die weiße Elite gegenseitig auf die Schulter klopfen kann. Über prekäre Arbeitsbedingungen in der eigenen Branche wird da genauso wenig geredet wie über die Sinnhaftigkeit des x-ten Leitartikels eines weißen, alten Herren über Themen, die ihn entweder gar nicht betreffen oder bei denen er sich gar nicht bis wenig auskennt. Doch in Österreich gilt eben noch immer: Wer irgendwas ‹werden will›, muss den Schein wahren und vor allem den Mund halten. Wenigstens hier gibt es Konsequenz.

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