Ende nie

„Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende“. Mit diesen Worten beginnt Samuel Becketts ‚Endspiel‘. Der Witz des Stücks ist schnell erklärt: Es geht nicht zu Ende. Zwei lädierte Figuren bringen die gesamte Zeit in einem grauen Zimmer zu, das von einer grauen Außenwelt umgeben ist, warten auf ein Ende, das nicht einsetzt, und verfluchen einander dabei. Dass endlose Erzählungen dieser Art und deren ideologiekritische Lektüre ein radikales Potential mit sich bringen, argumentiert Simon Nagy.

Narrative eines bevorstehenden Endes erleben derzeit eine Konjunktur. Es geht ums Artensterben, um die Annullierung der Zukunft der nächsten Generation, um das Ende der Menschheit. Angesichts einer globalen Wirtschaft, die die verheerenden Folgen ihrer Produktionsweise ebenso gut kennt, wie sie sie ignoriert, sind diese Narrative keineswegs verwunderlich. Doch radikal sind sie ebenfalls nicht. Als politisch weitaus kraftvoller können sich Erzählungen erweisen, die der Idee eines Endes kategorisch eine Absage erteilen und stattdessen die weitaus ungewohntere Form der Endlosigkeit erproben.

Andauernde Katastrophen

Becketts Literatur verweigert sich einem Ende und einem Anfang gleichermaßen: Seine Stücke könnten in jede Richtung beliebig verlängert werden, ohne dass ein Mehr an Inhalt Einzug in den Text hielte. Dennoch wurde in der Forschung viel über die Katastrophe gemutmaßt, die sich im Vorfeld von Endspiel ereignet und die Figuren zu ihrem Dahinvegetieren verdammt habe. Walter Benjamin hebelt diese Mutmaßungen in seinem Passagenwerk aus, indem er konstatiert: «Dass es ‹so weitergeht›, ist die Katastrophe». Dieser Satz wendet sich gegen die dominante Auffassung von Geschichte, die von einem Glauben an beständigen Fortschritt ausgeht. Benjamin zufolge sind die grausamsten Kapitel der modernen Geschichte eben nicht Widersacher*innen einer prinzipiell vorwärtsgerichteten geschichtlichen Entwicklung, sondern deren ureigenste Bestandteile. Die Katastrophe steht nicht bevor, sondern ist in jedem Moment des Vergangenen und Gegenwärtigen angelegt.

Es geht daher eine ganz bestimmte Ideologie von Narrativen eines antizipierten Endes aus. Bei diesen Narrativen kann es sich um Hollywoodfilme mit berechenbarem Happy oder Tragic End handeln, um postmodernes Sprechen über das sogenannte Ende der Geschichte oder um gegenwärtige Debatten um «the end of the world as we know it». Die ihnen gemeinsame Ideologie unterscheidet das Kommende kategorisch von dem, was bisher da war. Sie sieht die Gegenwart als einen Übergang, hinter dem eine abgeschlossene Vergangenheit liegt und den es nun gegen eine drohende Zukunft zu schützen gilt.

Erlesene Ideologiekritik

Stücke wie das von Beckett, durch Benjamins Brille gelesen, eröffnen hingegen eine materialistischere Auffassung von Geschichte. Wenn Fortschritt das Fortschreiten kapitalistischer Technik bedeutet, dann sind Katastrophen nichts dieser Vorwärtsbewegung Äußerliches, sondern in ihr immer bereits enthalten. Es gibt eine katastrophale Logik, die sich durch die vergangenen Jahrzehnte zieht und die mit der gegenwärtigen Klimakrise eine neue Facette annimmt: die Logik des Kapitals. Und diese bewegt sich keineswegs auf ihr Ende zu, sondern geradeaus weiter in die Richtung, die der Imperativ maximaler Kapitalakkumulation vorgibt. Auf ihrem Weg liegen rassistische Grenzpolitiken, imperialistische Feldzüge und sexistische Unterdrückungsverhältnisse ebenso wie die schulterzuckend hingenommene Erhitzung der Welt. Die Endlosigkeit von Endspiel ist in diesem Licht nicht als Zugeständnis an eine Ausweglosigkeit zu verstehen, sondern als Zustandsbeschreibung aller miteinander verknüpften Katastrophen in der bereits viel zu langen Geschichte des Kapitalismus. Diese bleibt unangetastet, wenn es darum geht, die Gegenwart vor der nächsten Krise zu retten. In Narrativen des Endlosen steckt ein radikales Potential: die Einsicht, dass die mit katastrophaler Vergangenheit aufgeladene Gegenwart um keinen Preis zu erhalten, sondern vielmehr eigenmächtig zu beenden ist.

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