Vom Saufen und Schreiben

In „Andreas Kiesewetters Arbeitsjournal“ von Helmut Rizy ortet Franz Fend ein Sittenbild moderner Arbeitsformen.

 

Die Geschichte geht einfach: Der Ich-Erzähler, ein ehemaliger Elektriker, der kürzlich von seinem Chef gefeuert worden ist, wird Privatsekretär des Schriftstellers Andreas Kiesewetters. „Er suchte jemand, der ihn Tag und Nacht mit gezücktem Heft und gespitztem Bleistift begleiten sollte, um jeden Einfall, der ihm über die Lippen käme, stehenden Fußes zu notieren, damit dieser nicht für alle Zeiten verloren ginge. Dass im Lauf der Zeit aus dem ,Sekretär‘ mit einer – wie mir damals schien – durchaus interessanten Aufgabe noch zusätzlich ein Beichtiger, Kindermädchen und notgedrungen ein Saufkumpan werden sollte, war bei diesem Gespräch noch nicht abzusehen gewesen.“ Der ehemalige Handwerker stieg auf der Imageleiter zum Redakteur und Lektor des Arbeitsjournal von Andreas Kiesewetter auf. Was ihm zwar soziales Prestige aber wenig Geld einbrachte. Überdies hatte er die Sauflaunen und grantlerischen Schimpfanfälle seines „Arbeitgebers“, die mit fortwährender Schreibhemmung des Schriftstellers mehr wurden, zu ertragen.

Was Rizy hier in witziger Form darstellt, ist in der Kulturszene ein massenhaftes Phänomen. Diese selbständige Erwerbsformen beschränken sich längst nicht mehr auf kreative Jobs in der Kunst- und Kulturbranche, im Sozialbereich oder in der Medien- und IT-Branche. Neue Selbständige, wie der Autor des Arbeitsjournals ja einer ist, werden zum arbeitsmarktpolitischen Leitmodell. Einerseits wird diesen Vertretern des „neuen Unternehmertums“ Kreativität, Flexibilität, Erfindergeist, Eigenverantwortung für Qualifizierung attestiert, sozialpolitisch gleichen sie traditionell Lohnabhängigen mehr als klassischem Unternehmertum. Soziale Risiken werden einfach privatisiert. Diese „abhängigen Selbständigen“ sind meist abhängiger, schlechter bezahlt und schlechter abgesichert als unselbständig Beschäftigte. Der Autor des Arbeitsjournals wohnte bei Kiesewetter, wurde von ihm verköstigt und zum Saufen genötigt. Als der Schriftsteller wegen rasanter Trunksucht seinen Roman nicht schreiben kann, schließlich vom Lektor des Verlages in eine Trinkerheilanstalt expediert wird, entschließt sich der Autor des Arbeitsjournals zur Veröffentlichung desselben. Kiesewetter war ihm übrigens über Monate den Lohn schuldig geblieben, damit legitimierte er seinen Schritt.

Rizys „Arbeitsjournal“ ist jedoch auch eine Parabel auf den kapitalistischen Literaturbetrieb. Kiesewetter landete mit seinem Romanerstling einen sensationellen Verkaufserfolg. Mit seinem Nachfolgeroman „Fronleichnamsprozession“ will er einen weiteren Bestseller platzieren. Sein Verlag erwartet das von ihm. Jedoch schon zu Beginn des Arbeitsjournals muss er attestieren: „Mit dem Roman läuft es nicht so recht, zumindest nicht so wie ich gedacht habe, dass mir die Arbeit von der Hand gehen würde. (…) Ich habe zu lange pausiert, bin des Schreibens entwöhnt und muss mich erst wieder in den Ablauf der Arbeit hineinfinden. Obwohl ich zugeben muss, dass ich die letzte Zeit ein Gefühl hatte, als müssten, wenn ich endlich begänne, die aufgestauten Gedanken nur so hervorsprudeln. Aber nun saß ich da, grübelte über dem ersten Satz und kam nicht voran.“ Dieser Eintrag stammt vom 12. September. Am 15. Dezember heißt es final: „Rien ne va plus.“ Kiesewetter ist gewissermaßen an der Erwartungshaltung des ihn verwertenden Verlags gescheitert: „Ich muss weiterschreiben, Hartmann (seinem Lektor; Anm.) beweisen, dass er mit seinen Ansichten falsch liegt!“ heißt es im Journal. Denn Hartmann hatte ihm attestiert, dass „alles nicht genug Biss habe. Sein früherer Roman sei nur deswegen gut gewesen, weil auch der Leser seine Wut im Bauch gespürt habe. Aus den neuen Manuskript sei jedoch nur Unmut, Ablehnung, ja Verachtung herauszulesen…“ Diese Kritik des Lektors hatte zur Folge, dass die Alkohol- und Grantexzesse sich mehrten, immer mehr Personen in seine wütenden Rundumschläge einbezogen wurden. „Die täglichen Schmähorgien waren der letzte Rest von Kiesewetters Disziplin“ vermerkt der Journalschreiber kurz vor Ende des Arbeitsverhältnisses.

Rizys Roman ist aber auch ein treffliches Sittenbild über ein Künstlerleben im ländlichen Raum. Von heimtückischen Anfeindungen der örtlichen Prominenz, weil sie im Buch vorkommen könnte, von Bestechungsversuchen und Anbiedereien von potentiellen literarischen Figuren. Insgesamt ist Rizy ein meisterliches Werk über Literatur und ihr Personal gelungen.

Franz Fend

Helmut Rizy: Andreas Kiesewetters Arbeitsjournal, Bibliothek der Provinz, Weitra 2001 Helmut Rizy liest am 2. 10. ’02 im Rahmen einer Veranstaltungsreihe von KUPF, Kunstraum Goethestraße und Arbeiterkammer im Jägermayrhof Linz.

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