NomadInnentum im transversalen Zeitalter

 

Eine Nachlese von Reinhold Schachner zu der Konferenz „Transversal“.

Vom 30.4. – 2.5.2002 veranstalteten die IG Kultur Österreich und das eipcp eine Konferenz zum Thema “Transversal. Kulturarbeit und GlobalisieAntiglobalisierungsbewegungen zu kreuzen. Oder anders gesagt, was in der Theorie “groovy“ klingt, hat oft keine praktische Relevanz.

Transversal ist eine Gerade dann, wenn sie zwei oder mehr Geraden schneidet. Auf Grund der Erfahrungen des Pariser Mai 1968 verwendeten Michel Foucault, Gilles Deleuze und Félix Guattari diesen Terminus aus der Geometrie in Bezug auf explizit politische Kontexte: Der Begriff Transversalität sollte eine Beschreibung für das Gefüge aus Machtzentren und Widerstandspotentialen liefern.

Nun feiert die Transversalität seit ein paar Jahren eine regelrechte Renaissance. Hervorgerufen wurde diese Wiedergeburt durch die Antiglobalisierungsbewegungen, die beim WTO-Treffen in Seattle 1999 ihren ersten Höhepunkt erlebte. Weitere folgten mit Göteborg und Genua. In diesen Kontext gesetzt, steht die Transversalität für transnationales und transsektorales, ahierarchisch vernetztes Aufbegehren gegen die ökonomische Globalisierung, wobei transsektoral für die Verbindung von politischem Aktivismus, Theorieproduktion und künstlerischen Interventionen steht. Über zwanzig ReferentInnen trafen in der Kunsthalle Exnergasse in Wien zusammen, um die Bedeutung und die Funktion des kulturellen Feldes in der Globalisierungskritik auszuloten.

Kritik ohne konkrete politische Ziele? Kann also die Lektüre von Texten quasi transversaler Theoretiker der ersten Stunde wie Foucault, Deleuze, Guattari oder dem aktuellen Buch von Negri und Hardt helfen, Konzepte für die Praxis des politischen Widerstandes gegen die ökonomische Globalisierung zu finden? Für Gerald Raunig, Philosoph und Mitkurator der Konferenz, sind insbesondere die Überlegungen der drei oben zuerst Genannten hilfreich. Er konstatierte, dass der Begriff des Transversalen zwar ein relativ offener und wenig ausgearbeiteter sei, der oft nur beiläufig Verwendung findet, aber gerade dadurch auch die Möglichkeit für eine neue Aufladung in antiglobalistischen Zusammenhängen bieten würde. Über den Umweg eines knappen Umrisses der Situation der RegierungsgegnerInnen in Österreich, die laut Raunig in Ermangelung seriöser öffentlicher Debatten um neue Demonstrationsformen marginalisiert und diffamiert werden, führte sein Referat wieder zum eigentlichen Thema, der transversalen Antiglobalisierung. Eine Gruppierung, die seiner Meinung nach dem Entwurf des Transversalen oder Nomadischen im Zuge der antiglobalistischen Bewegung voll entsprechen würde, wäre die Volxtheaterkarawane. Diese hat sich aber pikanterweise ursprünglich nicht formiert, um gegen die Globalisierung aktiv zu werden, sondern um gegen die schwarz-blaue Regierung anzutreten.

Ist die Offenheit der Theorie von Deleuze/Guattari für Raunig ein Vorzug, so ortete bei der Konferenz der Politik- und Kulturwissenschafter Oliver Marchart gerade darin einen Schwachpunkt. Die Frage nach der Organisationsform des ahierarchischen Vernetzens von GlobalisierungsgegnerInnen wird von ihnen nicht beantwortet. Wer verbindet die drei Sektoren auf welche Weise? Man kann lange bei Deleuze/Guattari nachschlagen, doch Ergebnisse oder Konzepte werden nicht präsentiert. Ohne Vernetzung bleiben aber die Handlungsfähigkeit und die politische Wirksamkeit auf der Strecke. Darauf vergessen auch Negri/Hardt mit ihrem gern angeführten Begriff der Multitude, dem intellektuellen Proletariat der immateriellen Arbeit (Dienstleistungs- und IT-Bereich). In der Realität wird individuell oder bestenfalls in kleinen heterogenen Gruppen agiert.

An diesem Strang zog auch die Filmemacherin und Autorin Hito Steyerl, die die politischen Kriterien der oft rein additiv zusammengeführten AntiglobalistInnen vermisste. Wie sollen ohne konkrete politische Ziele, ökonomisch-globale Beziehungen kritisiert werden? Indem sich die heterogenen AktivistInnen darauf beschränken, lose transnationale Verbindungen einzugehen und gemeinsam zu protestieren? Die Autorin Katja Diefenbach äußerte ebenfalls Bedenken bezüglich des Begriffs Transversalität. Dieser sei eher konservativ und würde zu Assoziationen verleiten. Hingegen interessiere sie ein Aspekt des von Negri/Hardt geprägten Terminus Multitude, den sie als Vielheit übersetzen würde, hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem Aktivismus der Multitude und dem Kapitalismus. Nur könne sie der Auffassung des Autorenpaares, dass sich die Multitude als Neuformulierung revolutionärer Subjekte aus dem Bereich der immateriellen Arbeit zusammensetzt, nicht zustimmen. Gerade aus dieser Branche würden viele zum Yuppietum und zu Parteien vom Schlage einer FPÖ oder Lega Nord tendieren. Antiglobalistische Bewegungen seien für sie Momente einer a-subjektiven, situativen Verkettung, die jenseits politischer Parteien funktionieren. Aber was das konkret heißen sollte, darauf ging Katja Diefenbach nicht ein.

Praktische Ansätze Gini Müller, Theaterwissenschafterin und Aktivistin der Volxtheaterkarawane, nahm als politische Künstlerin und nicht als Wissenschafterin zur Theoriedebatte Stellung. Sie brachte in ihrem Beitrag zur Konferenz die Schwierigkeit einer Verbindung von theoretisch entworfenen transversalen Linien und praktischer Globalisierungskritik ironisch auf den Punkt. Sie habe auch Bücher von den Denkerpaaren Deleuze/Guattari und Negri/Hardt gelesen und dabei ein “groovy“ Leseerlebnis gehabt, doch für die Praktizierung theatraler Widerstandsstrategien der Volxtheaterkarawane, die dezidiert politisch sind, gegen die Globalisierung seien diese vier Theoretiker, bzw. die von ihnen geprägten Begriffe wie Transversalität und die in ihrem Sog befindlichen Termini wie Fluchtlinien, Deterritorialisierung oder Multitude, nicht sehr hilfreich.

Auch wenn VertreterInnen (Elisabeth Mayerhofer, Monika Mokre und Paul Stepan) der Gruppe Fokus (Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien) generell bezweifeln, dass mit künstlerischen Mitteln ökonomischen Phänomenen beizukommen sei, zeigte die Konferenz Beispiele, wie zumindest im kleinen Rahmen Erfolge verbucht werden können. Allen voran die “Kommunikationsguerillas“, wie Sonja Brünzels von der autonomen a.f.r.i.k.a. gruppe darlegte. Diese Guerillas, die gerne das Internet als Betätigungsfeld wählen, spielen im Sinne von Überidentifikation, Verfremdung und Irritation mit Bildern und Repräsentationen. Ein Beispiel dafür wäre Christoph Schlingensiefs Container “Ausländer Raus“ vor der Staatsoper. Es muss aber nicht in diesem größeren Stile veranstaltet werden, denn ein Vorteil dieser Methode bestehe darin, dass auch mit relativ kleinem Aufwand Regeln der Normalität gebrochen werden können. So beschmutzte beispielsweise eine Gruppe das Image der Fluglinie Lufthansa, wegen ihres nicht offen zugegebenen Transports von abgeschobenen Personen, indem sie täuschend echt aussehende Werbebroschüren für eine “Deportation Class“ der Lufthansa anfertigten. Darin wird für verbilligte Tickets für Flüge, die gewaltsam abgeschobene Reisende mitführen, geworben.

Der Bereich der Kulturarbeit biete MigrantInnen eine große Chance, um subversiv agieren zu können, denn offiziell dürfen sich MigrantInnen in Österreich nicht politisch organisieren, so Rubia Salgado von MAIZ, einem autonomen Integrationszentrum von und für Migrantinnen. Dabei ist für sie wichtig, die politische Identität als MigrantIn beizubehalten: dies führe zwar zu einem Zwiespalt zwischen dem Wunsch, sich zu integrieren, und dem nach Beibehaltung der eigenen Kultur, schaffe aber gerade dadurch die Möglichkeit, einen oppositionellen Standpunkt einnehmen zu können. Dass dies für eine Migrantin sehr mühsam und aufreibend ist, unterstrich ihr emotionsgeladener, teils biographisch gefärbter Vortrag, in dem sie über sich selbst in der dritten Person Singular sprach. Von negativen Erfahrungen bei der künstlerisch-politischen Agitation kann auch die Volxtheaterkarawane ein Lied singen. Trotzdem wird sie weiterziehen, ob transversal, deterritorialisiert, nomadisch und/oder auf Fluchtlinien, sei’s drum.

Reinhold Schachner

Eine kürzere Fassung dieses Artikels ist bereits in der Onlinezeitung der Uni Wien, http://www.dieuniversitaet.at erschienen.

Zur Konferenz erschien eine Sondernummer der Zeitschrift Malmoe

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