Patricia Köstring ortet Neo-Hegel in Gerald Raunig’s neuem Buch „Feber ’00 – Eine Ästhetik des Widerstands“
von Patricia Köstring
Rückspulen geht nicht und das hat ja auch keiner vor. Wenn also Gerald Raunig jetzt zum Thema „Widerstand“ schreibt, geht es ihm nicht darum, nachzuforschen, was geworden ist aus den Forderungen nach posteuphorischer Nachhaltigkeit oder auch aus der Euphorie (des Zorns) selbst. Also keine Vorschau mit guten Tips, auch keine chronologische Rückschau auf die ersten Tage gegen Schwarzblau in Österreich inklusive Wegbeschreibung ins Jetzt. Raunigs Buch heißt „Feber Null – eine Ästhetik des Widerstands“. Nun ist nach dem Ur-Ästhetiker Alexander Gottlieb Baumgarten Ästhetik „die Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis“. Ausgestattet mit diesem Freibrief, sollte es dem Ästhetiker/der Ästhetikerin möglich sein, Phänomene der Wirklichkeit subjektiv und breitbandig unter die Lupe zu nehmen. Dass das nicht so einfach ist, liegt auch an Georg Wilhelm Friedrich Hegel, seit dessen Zeit Ästhetik, Schönheit und Kunstwerk im Dienste der Harmonie und in der Folge als Grundlage bürgerlicher Kunsttheorie und -betrachtung gekoppelt sind. Dass Neo-Hegels und mit ihnen der Glaube an das autonome, dahingemeißelte Aura-Objekt im tendenziell hermetischen Kunstfeld immer wieder Oberwasser haben, schmerzt manchmal. Raunig hat der Auseinandersetzung mit dem in sich ruhenden Kunstbegriff mit „Feber Null“ nach „Charon Ð eine Ästhetik der Grenzüberschreitung“ (1999) ein weiteres Buch gewidmet. Und eigentlich ordnet er das, worauf er primär blickt, nämlich von KünstlerInnen (mit)initiierte Interventionen und Praktiken des Widerstands in Wien der von ihm im gleichen Augenblick vehement geleisteten Theoriebildung zu aktuellen Kunstpraxen (Teil 2) unter. Und die funktioniert nicht ohne Abgrenzung gegen andere Theorien und andere Praxen, weswegen das Buch als Parallelstruktur zum einen etwa eine Hegel-Kritik entwickelt, zum anderen sich einige Seiten lang am Kunstbegriff Robert Flecks oder an der Künstler/Autor-Frage im Allgemeinen aufreibt. Die oft feinen, der Analyse der Aktionsformen, dem politischen Klima, der lausigen politischen Kultur, dem Phänomen der „Wiener Wandertage“ oder der Rolle der Mainstream-Medien gewidmeten Teile zirkeln hingegen manchmal entweder merkwürdig losgelöst oder aber ebenso merkwürdig in die Pflicht genommen durch den Orbit der 19 Kapitel.
Einer von Gerald Raunigs bevorzugten Orten als Philosoph ist dort, wo sich eine Grenze von einer Linie zu einem Raum erweitert. Diese Erweiterung, in „Charon“ als „spacing the line“ eingeführt bzw. für die Kunsttheorie adaptiert, funktioniert ungefähr so: Wenn A nicht einfach expandiert, sondern A und B aneinanderstoßen, entsteht C, zumindest kurzzeitig, und C ist ein aufgeladener Grenz-Raum, an dem Spannung und Differenzen aufs Tapet kommen oder das Aufs-Tapet-Kommen zumindest möglich gemacht wird. Als Orte und Protagonisten einer derartigen Öffnung mit all ihren Möglichkeiten identifiziert Gerald Raunig etwa die Aktion „Rechtswalzer“ von Performing Resistance, als das trudelnde Objekt gleichen Namens eine Polizeikette entlangrollt. Oder die Öffnung eines Raums noch über die Straße hinaus durch die Volkstanz-Radio- Demos. Oder die dezentrale, spartenübergreifende Label-Praxis von gettoattack. Die Differenz, der Konflikt, das Verschiedene, aber alles flexibel miteinander vernetzt, als Chance für eine emanzipierte Gesellschaft und außerparlamentarische Opposition ebenso wie als Chance für eine politisierte Kunst Ð das sind wie gesagt nicht Raunigs heiße Tips, aber doch Leitfäden seiner manchmal etwas notorisch von „Charon“ auf „Feber Null“ übertragenen Überlegungen, in die der Ästhetiker als Kulturarbeiter auch praktisch eingebunden ist. Gerald Raunig: Wien Feber Null Verlag Turia + Kant, Wien 2000, 125 S., 140,- öS