Die wirkliche Differenz kommt also noch

Raimund Minichbauer war beim Seminar „Cultura Migrans“ in Potsdam

Inszenierungen des Multikulturalismus und das Fokussieren auf kulturelle Identität haben sich als effiziente Mittel erwiesen, um die Aufmerksamkeit von der realen politischen, ökonomischen und sozialen Situation von MigrantInnen abzulenken. Für „Cultura Migrans“, ein ExpertInnentreffen, das auf die Ebene der Kulturpolitik abzielte, war es daher vorgezeichnet, den entgegengesetzten Weg einzuschlagen und zu versuchen, hinter den immer subtiler werdenden Spektakeln der multikulturellen Gesellschaft erst einmal wieder den Boden politischer Realität ins Blickfeld zu rücken.
Das dreitägige Meeting, das Ende Oktober in Potsdam stattfand, wurde vom european institute for Progressive Cultural Policies (eiPCP) in Kooperation mit dem dort ansässigen Bundesverband sozio-kultureDller Zentren veranstaltet.as eiPCP wurde vor einem Jahr von der IG Kultur Österreich und dem Linzer Verein kult-ex ins Leben gerufen. Es strebt eine verstärkte transnationale Vernetzung von KulturarbeiterInnen und TheoretikerInnen an mit dem Ziel einer strategischen Entwicklung europäischer Kulturpolitik von unten.

„Cultura Migrans“ ist Teil einer Serie von ExpertInnentreffen. Ein Meeting, das sich mit Kultur und EU-‚Osterweiterung‘ beschäftigte, hat bereits im September stattgefunden, für di e erste Jahreshälfte 2001 sind Treffen zum Thema ‚Multilingualität und kulturelle Differenz‘ geplant. Die Serie ist prozesshaft angelegt. Es sollen hier nicht einzelne Themen ‚abgehandelt‘ und auf ein ‚abschließendes Ergebnis gebracht‘, sondern durchaus heterogene Ansätze entwickelt und der größere Kontext im Blick gehalten werden.

Die in den Referatsbeiträgen versammelten Perspektiven waren entsprechend vielfältig: unmittelbar auf die Ebene praktischer Politik bezogen ebenso wie auf die Praxis der Theorie, Kritik an den hegemonialen kulturellen Praxen ebenso wie die Beschreibung von Gegenmodellen aus dem Bereich der Kulturarbeit und Kunst.
Ljubomir Bratic analysierte Strategien der politischen MigrantInnenorganisationen im Kontext der sich ständig verschärfenden Situation in Österreich. Über die politische Situation in Italien berichteten Maria Mesch (Kulturzentrum Bloom, Mailand) und Laura di Martino (A/rivista anarchica). Deutlich wurde dabei das Problem der italienischen Linken, deren Strategien wesentlich auf die Integration einer von (bereits politisierten) lateinamerikanischen ExilantInnen geprägten MigrantInnenszene zurückgehen und die dem gegenwärtigen Phänomen einer vor allem wirtschaftlich motivierten Immigration weitgehend konzeptlos gegenübersteht.
Luzenir Caixeta brachte die Erfahrungen der mittlerweile auch überregional weithin bekannten oberösterreichischen Migrantinneninitiative MAIZ ein. Die an der University of Southampton lehrende Filmwissenschafterin und Germanistin Deniz Göktürk beschäftigte sich mit der transnationalen Filmkomödie und deren „rhetorischen Modellen und Diskursformen, die starre Konzepte von Identität verflüssigen – die uns also ermöglichen, rhetorische Positionen einzunehmen, die nicht von vorgegebenen ethnischen Identitäten ausgehen. Auf der Ebene gibt es in der Komödie Modelle eines spielerischen ironischen Umgangs mit diesen ethnischen Identitäten. Die Beispiele dafür reichen von den Marx Brothers bis hin zu neuen indisch-britischen Komödien.“
Im Beitrag von Mark Terkessidis wurden sehr deutlich die Mechanismen analysiert, die es ermöglichen, dass sich die westeuropäischen Staaten als multikulturelle Gesellschaften inszenieren, auch MigrantInnen in ihre Selbstdarstellung einbeziehen und dabei gleichzeitig neue Grenzziehungen etablieren und den Aspekt der Darstellung von der Ebene konkreter politischer und ökonomischer Verhältnisse völlig abkoppeln.

Theoretische Modelle wurden in den Referaten konkret im Hinblick auf ihre politische Funktion analysiert. Dabei wurden auch die derzeit präsenten Gegenmodelle einer kritischen Betrachtung unterworfen. So in Boris Budens Auseinandersetzung mit dem Konzept der radikalen Demokratie, dessen Antiessenzialismus in der Bezugnahme auf einen positiven Nationalismus seine Grenze zu finden scheint. Hito Steyerl kritisierte in ihrem Beitrag die Tendenz der Cultural Studies, Machtbeziehungen auszublenden und damit in einem unpolitischen Kulturrelativismus zu enden.
Deutlich spürbar war in der Diskussion eine Perspektive, die von Mark Terkessedis und Hito Steyerl auch konkret angesprochen wurde, nämlich den Differenzdiskurs zu überwinden und auf der Basis der Errungenschaften dieses Diskurses politische Handlungsmöglichkeiten in der Bezugnahme auf eine neuen Universalismus zu suchen:
„Ich glaube, dass es keinen Grund gibt, so zu diesem Universalismus zurückzugehen, dass man die Differenz verleugnet. Es kann nicht darum gehen, die Errungenschaften eines bestimmten Differenzdiskurses, der ja auch in MigrantInnenkreisen geführt wird, zu verleugnen. Ich bin nur der Auffassung, dass die Differenz, die man im Moment vorliegen hat, in dieses Repräsentationsgeschehen als Machttechnik eingebunden ist; d.h., diese Differenz ist eine Differenz, die immer schon mit Macht zu tun hat. Die Differenz, über die wir reden wollten, kann nur dadurch ermöglicht werden, dass man diese universalistische Ebene thematisiert und Gleichheit herbeiführt. Die wirkliche Differenz kommt also noch.“ (Mark Terkessidis)

Die Referatsbeiträge werden im Jänner 2001 in der Zeitschrift ‚kulturrisse‘ abgedruckt und sind – ebenso wie jene aus dem vorangegangenen Meeting – auf der Homepage des eiPCP zugänglich

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