Organisationsentwicklung

Organisationsentwicklung (OE) ist in der Praxis eine höchst abenteuerliche Angelegenheit. Da geht man an ein Problem heran, das sich zunächst weder klar definieren noch in all seinen Verästelungen übersehen, geschweige denn in seinen Kausalzusammenhängen verstehen läßt. Man arbeitet in die Zeit hinein, ohne zu wissen, was dabei herauskommen wird, mit Menschen, die so etwas noch nie gemacht haben – und mit nichts in der Hand als einigen Prinzipien des Vorgehens und gewissen Spielregeln für die Zusammenarbeit.

 

von Alfons Mair

Lauterburg

Die zentrale Frage jeder Organisation lautet: Wie können wir in einer komplexer und turbulenter werdenden Situation und Umwelt unsere Organisation gestalten und steuern, daß sie erfolgreich bleibt und langfristig überleben kann?

  • Sieht die Organisation beispielsweise ihre Umwelt und die damit verbundenen Aufgaben mit den gleichen Augen wie vor 10 Jahren, oder revidiert sie ständig ihre Zwecke und Methoden in Hinblick auf Gegenwart und Zukunft?
  • Löst die Organisation ihre Probleme auf eine Art, die die schöpferischen Kräfte und Interessen einiger weniger beansprucht, oder schöpft sie ausgiebig aus Talenten, Vitalität und gemeinsamen Zielen aller Mitglieder der Organisation?

 

Organisationsentwicklung wird verstanden als eine Philosophie, als ein Set von Methoden in der Arbeit mit Einzelpersonen, Gruppen, Teams, Projekten oder der ganzen Organisationseinheit sowie als Forschungsprozeß, in dem die menschlichen Systeme befähigt werden, sich selbst zu erforschen und zu verändern. Sie ist ein bewußtes und systematisches Vorgehen, eine geplante Veränderung:

 

  • Veränderung der Identität und des Selbstverständnisses der Organisation
  • Veränderung der organisatorischen Abläufe
  • die Optimierung der Kommunikation zwischen allen Beteiligten
  • und Entwicklung bzw. Verbesserung der Kunden-, Markt- oder Klientenorientierung

 

Externe Berater können Organisationen dadurch unterstützen, indem sie unvoreingenommen die Sinnhaftigkeit und Funktionalität von Abläufen und Strukturen hinterfragen und damit Selbstreflexion und Innovation der Organisation unterstützen. Ziel von OE ist daher: ãDie Organisation soll sich Bewußtheit über ihre Fähigkeiten und ihre Funktionen verschaffen um Handlungen setzen zu können, die ihre Funktionen verbessernÒ (French/Bell)

Die Organisatonskultur

OE ist eine mittel- bis langfristige Bemühung, die Problemlösungs- und Erneuerungsprozesse in einer Organisation zu verbessern, vor allem durch eine wirksamere und auf Zusammenarbeit gegründete Steuerung der Organisationskultur. Unter dem Begriff Organisationskultur ist das vorherrschende Muster von Tätigkeiten, Interaktionen, Normen, Empfindungen, Einstellungen, Überzeugungen, Werten und Produkten zu verstehen. Dieser Gebrauch des Begriffes Kultur schließt auch die Vorstellung eines informellen Systems ein: Gefühle, informelle Handlungen und Interaktionen, Gruppennormen und Werte. In mancher Beziehung ist das informelle System ein versteckter und unterdrückter Bereich des Organisationslebens, der unsichtbare Teil des organisatorischen Eisberges. Traditionsgemäß wird dieser unsichtbare Bereich nur teilweise oder überhaupt nicht untersucht. Die Bemühungen der OE konzentrieren sich gleichzeitig auf das formelle und das informelle System. Sobald ein OE-Programm über das formelle System legitimiert worden ist, erfolgt die erste Interventionsstrategie gewöhnlich im Bereich des informellen Systems insofern, als Einstellungen und Gefühle der Mitglieder den Ausgangspunkt bilden.

Prinzipien Der OE

Betroffene zu Beteiligten machen Die Entwicklungsprozesse werden so gestaltet, daß das Potential einer Organisation voll genutzt wird. Mitarbeiter bzw. Mitglieder können sich nur dann mit Änderungen ihrer Situation voll identifizieren und somit diese sinngemäß, verantwortlich und motiviert durchführen, wenn sie mitgedacht haben über das ob, wozu, und wie einer Änderung. Es wird angestrebt die Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen der Betroffenen zu erfassen, um von allen getragene Lösungen erzielen zu können. Nur so kann gewährleistet werden das richtige Maß und die Geschwindigkeit an Veränderung zu finden. Ein System ist eine Ganzheit, in der alle Teile und Vorgänge miteinander zusammenhängen, also vernetzt sind. Veränderungen in einem Teil oder Bereich bewirken auch irgend etwas in den anderen Bereichen. Das heißt nicht, daß OE nur möglich ist, wenn eine gesamte Organisation verändert wird. Jeder Teil oder Bereich ist wieder eine Ganzheit, in der z.B. technische, soziale und wirtschaftliche Tatsachen oder Probleme vernetzt sind. Veränderung in einem System ist immer ein Prozeß (in der Zeit). In einem sozialen System, einer Organisation handelt es sich sowohl um einen ãBewusstseinsveränderungs- oder BildungsprozessÒ als auch einen ãStrukturveränderungs- oder -BildungsprozessÒ Veränderungen sollten Schritt für Schritt entwickelt werden – sowohl im Bewußtsein der Menschen wie in der Wirklichkeit des Arbeitslebens bzw. Vereinslebens.

Über Modelle und deren Grenzen allgemein:

Ein Wesensmerkmal von OE ist, daß jeder Prozeß einmalig, organisations-spezifisch und nicht kopierbar ist. Wie nun ein OE-Projekt im konkreten Fall verläuft, hängt von vielen Umständen ab. Der Ablauf kann sehr unterschiedlich sein, u.a. bedingt durch die jeweilige Ausgangslage der Organisation und das Verständnis des Managements oder Vorstandes, der Beratungshilfe sucht. Ausgangspunkt ist immer die bestehende Realität, nicht ein fertiges theoretisches Konzept oder eine standardisierte Methode. Darum wird mit den Betroffenen eine Vorgangsweise für die eigene Situation entworfen. Die verwendeten Modelle können nur verkürzte Abbilder einer komplexen Wirklichkeit sein. Einerseits beschreiben sie einen Handlungsrahmen, der das Typische, die Muster herausstreicht, andererseits erweisen sie sich in konkreten Situationen als unzulänglich, als zu grober Raster. OE-Berater können einen Grenzgang anbieten zwischen der Herausarbeitung und Darstellung von Typischem, bezogen auf Phasen, hilfreichen Methoden usw. und vereinfachenden Generalisierungen. Management Center Vorarlberg

Das Aktionsforschungsmodell

Nimmt man die drei Prinzipien: prozeßbewußtes Vorgehen, ganzheitliche Sicht und Beteiligung der Betroffenen in ihrem Zusammenhang, dann ergibt sich daraus folgendes Vorgehen: Die Beteiligten (ggf. unter Begleitung eines Organisationsentwicklers)

 

  • analysieren die Situation bis zu einem vertieften Verständnis ihres ãSystemsÒ, der darin vorkommenden Stärken, Lernfelder, Bedürfnisse, Probleme usw. in ihrer Vernetzung: Selbstdiagnose
  • konzipieren/entwerfen neue Prinzipien, Funktionen, Abläufe, Problemlösungen, Konfliktregelungen usw., wo dies aufgrund der Diagnose als notwendig, sinnvoll und machbar erscheint
  • führen die beschlossenen Änderungen durch, eventuell zunächst als Experiment und korrigieren aufgrund von Erfahrungen, bis die Neuerung befriedigend in das Ganze integriert ist.

 

Die Aktionsforschung ist gleichzeitig ein/e Methode/Modell des Problemlösens und ein Problemlösungsprozeß. Dieser Vorgang und seine Ergebnisse sind für die Betroffenen transparent und wirklichkeitsnah, da sie selbst Teil des Systems sind, das sie ändern. Sie haben danach ein ganz anderes Verhältnis zu ihrer Arbeit, ihrer Abteilung. ihren KollegInnen usw. mehr Interesse, Verständnis, Sicherheit und Verantwortlichkeit. Zugleich bedeutet die Beteiligung an einem solchen Projekt für sie einen ständigen intensiven Lernprozeß auf der fachlich-sachlichen, der menschlich-sozialen und der gedanklich-konzeptiven Ebene. Die aktive Mitarbeit in der OE hat zur Folge, daß Mitarbeiter, Mitglieder und Führungskräfte mehr Einsicht, Fähigkeiten und Motivation in der Zusammenarbeit entwickeln und daß sie zukünftige Organisationsänderungen, die immer wieder nötig sein werden, sicherer, schneller und selbständiger mit geringeren Mitteln oder ohne externe Mithilfe durchführen können.

Das Phasenmodell der Organisationsentwicklung Management Center Vorarlberg

Die Phasen in ihrer idealtypischen Abfolge sind:

 

  • Orientierungsphase
  • Phase der Situationsklärung
  • Phase der Zielfindung (-auswahl und -entscheidung)
  • Installierung der Steuerungsstruktur
  • Information des Gesamtsystems
  • Bearbeitung der ausgewählten Ziele (in Teilprojekten)
  • Absicherung des in der Organisation integrierten Prozesses

 

Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Phasen ist sehr variabel in Bezug auf Verwendung von Methoden, Zeiteinsatz, Beteiligung der Betroffenen. Wesentlich ist jedoch ein Verständnis dafür zu entwickeln, worum es in der jeweiligen Phase geht, was erreicht und beachtet werden soll. Organisationen erleben während ihrer Veränderungsprozesse durch das Phasenmodell Unterstützung:

 

  • indem die Präsentation und Diskussion der Phasen und zugrundeliegenden Ziele mit den Organisationsmitgliedern Unsicherheit reduzieren kann,
  • indem es ihnen hilft, die Gleichzeitigkeit von Problemen, Wünschen, ersten Lösungsvorschlägen zu ordnen und bei manchem auf eine spätere Phase zu verweisen, ohne daß solche Beiträge auf Nimmerwiedersehen untergehen,
  • indem sie allein oder mit professioneller Begleitung das Geschehen reflektieren können: Wo stehen wir im Prozeß? Was ist sinnvollerweise der nächste Schritt? Worauf sollten wir noch achten, bevor wir in die nächste Phase übergehen?
  • indem Sie Abweichungen in der Vorgehensweise als erklärungsbedürftig definieren und sich dadurch Veränderungen im Prozeß nicht unreflektiert einschleichen oder ergeben.

 

Resümee & die Rolle der Organisationsentwickler

Manch einer muß aus der Rolle fallen, um aus der Falle zu rollen V. Satir

 

Bei einer OE wird die Organisation zum Instrument der Selbsterfahrung und Erkenntnis sowie zum Instrument von kollektiven Veränderungsprozessen:

 

  • das Schwergewicht wird, im Gegensatz zu den jeweiligen inhaltlichen Aspekten, auf Gruppen- und Organisationsprozesse gelegt
  • den Arbeitsgruppen kommt eine Schlüsselposition für das Erlernen erfolgreicheren Verhaltens in der Organisation zu
  • die Kultur einer Arbeitsgruppe wird als das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen ihrer Mitglieder verstanden
  • betont wird die Steuerung und Steuerbarkeit der Kultur des gesamten Systems
  • sozialer Wandel wird als fortlaufender Prozeß verstanden
  • menschliche und soziale Beziehungen werden hervorgehoben

 

Das Klientensystem hat das Problem und behält während des ganzen Beratungsprozesses die volle Verantwortung dafür. Die Berater helfen dem Klienten(-system), die prozeßhaften Ereignisse seiner Umwelt wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und zu verstehen und ihnen angemessen zu begegnen und zu handeln. Als Begleiter liefern sie gewöhnlich auch keine direkten Lösungen für Probleme; sie machen keine ÔExpertenÕ-Vorschläge im traditionellen Sinn, sondern greifen in die laufenden Vorgänge in der Organisation ein, z.B. können sie Situationen herbeiführen, die bestimmte Phänomene deutlich werden lassen. Grundsätzlich unterstützen die Berater das Klientensystem bei der Beschaffung aussagekräftiger Daten, und helfen den Gruppen dann, aus diesen Daten zu lernen. An sich ist OE ein neutrales Instrumentarium, eine neutrale Methode, um Veränderungsprozesse von ÔMenschen in OrganisationenÕ zu begleiten. Ursprünglich kommt die OE-Bewegung aus gewerkschaftlichen Bemühungen zur Humanisierung der Arbeitswelt und Versuchen von Sozialwissenschaftlern (Kurt Lewin) über die Arbeitswelt gesamtgesellschaftliche Demokratisierungsprozesse zu ermöglichen. Eine Garantie, möglichst demokratisch arbeiten zu können, bietet das oben beschriebene Aktionsforschungsmodell. Letztendlich jedoch beruht eine erfolgversprechende Organisationsentwicklung auf gegenseitigem Vertrauen, politischem Gespür, Zivilcourage und Glück.

Literatur:

Organisationsentwicklung, W.L.French/C.H.Bell jr. 1990 OE-Prozesse systemisch initiieren und gestalten, Management Center Vorarlberg 1992 Was ist Organisationsentwicklung?, Hans von Sassen Supervision und Beratung – Ein Handbuch, Gerhard Fatzer 1993

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