Schwarz(türkis)-blaue Kulturpolitik

Oder: Warum der Vergleich mit Schwarz-Blau 2000 – 2006 hinkt. Von Politikwissenschafter Michael Wimmer.

Generationenübergreifende Demonstrant*innen

Am 4. Oktober 2018 war es wieder soweit. Zumindest 20.000 Menschen formierten sich vor dem Bundeskanzleramt zu einer neuen Runde der Donnerstagsdemos. Sie protestierten gegen die unsoziale und migrationsfeindliche Politik der schwarz(türkis)-blauen Bundesregierung und forderten ihren Rücktritt. Bereits im Vorfeld hat die öffentlichkeitsscheue Schriftstellerin Elfriede Jelinek einen Text mit dem Titel „Oh, du mein Österreich! Da bist du ja wieder!“ veröffentlicht. In dasselbe Horn stieß die 91jährige Schauspielerin Erni Mangold, als sie bei der Kundgebung davon sprach, dass sie nicht gedacht hätte, „dass die Geschichte mich einholt.“ Insgesamt waren migrantische Initiativen stark vertreten. Auffallend war auch die Generationenübergreifende Durchmischung der Demonstrant*innen. So artikulierten sich die „Omas gegen Rechts“ ebenso wie eine Vielzahl junger Menschen, die gemeinsam gegen Polarisierung und Marginalisierung auftraten. In den bisherigen donnerstäglichen Neuauflagen der Demonstrationszüge setzten einmal mehr Künstler*innen besondere Akzente, etwa die Initiative engagierter Filmschaffender „Augen Auf! KlappeAuf!“, um für ein solidarisches Miteinander zu werben.

Was ist seit 2000 passiert?

Wenn in diesen Szenarien noch einmal der Geist einer schlechteren Vergangenheit beschworen wurde, so kommt der Umstand zu kurz, dass zumindest kulturpolitisch die Regierung Kurz-Strache einen deutlich anderen Kurs fährt als ihre schwarz-blaue Vorgängerin 2000 – 2006. Damals wurden weite Teile des Kulturbetriebs dazu benutzt, das ramponierte Image eines xenophoben und rechtsradikalen Österreich aufzubessern. Kulturpolitische Schwerpunkte wie das „Mozartjahr 2006“ sollten in der Welt noch einmal das Bild einer rundum positiv konnotierten „Kulturgroßmacht“ vermitteln, das mit den verfügten Sanktionen zu Unrecht in ein falsches Licht gerückt würde. Die Kämpfe, in die der damalige Staatssekretär Franz Morak in revanchistischer Absicht mit Teilen der Kulturszene eingetreten ist, waren Teil des Spiels.

Seither ist vieles passiert. In ihrer naiven Marktgläubigkeit trug eine wieder sozialdemokratisch dominierte Kulturpolitik 2007 – 2017 wesentlich zu einer weiteren Ökonomisierung des Kulturbetriebs bei. Im Ergebnis führte dies zu einem Verlust der gesellschaftspolitischen Kraft von „Kultur“, von dessen Hervorbringungen heute niemand mehr ernsthaft erwartet, sie könnten relevante Entwicklungen in die eine oder andere Richtung nachhaltig beeinflussen. Stattdessen erweist sich die Behauptung einer „Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik“ aus den 1970er Jahren als ein Bumerang. War diese ursprünglich dahingehend konzipiert, die Errungenschaften liberaler Demokratie mit kulturspezifischen Mitteln zu unterstützen, so scheint diese Intention mittlerweile von Rechtspopulisten gekapert. Sie verstehen es, Kulturpolitik vorrangig als Beitrag zur gesellschaftlichen Polarisierung und damit sozialen Verungleichung umzudeuten. Mit dem Überhandnehmen einer rechten kulturellen Hegemonie ist es damit zu einer Neudefinition von „Kultur“ gekommen. Im dominant gewordenen rechten Diskurs werden kulturpolitische Fragen vorrangig entlang ethnischer, religiöser und sozialer Zugehörigkeiten verhandelt, während die staatliche Organisation des Kulturbetriebs in den Hintergrund tritt.

Kulturpolitik aktuell

Auf der Grundlage nimmt es nicht Wunder, dass der neue türkise Kunst- und Kulturminister Gernot Blümel dem Kultursektor nur eine geringe Bedeutung zuweist. Wenn er die weitgehende Fortschreibung der Bundeskunst- und Kulturfördermittel als Erfolg beschreibt (Für 2018 wurden 456,6 Millionen Euro veranschlagt (im Vergleich zu 451 Mio. Euro in 2017); für 2019 wurden 455,1 Millionen Euro in Aussicht genommen), so zeigt er in der laufenden Kommunikation mit den meisten Betriebsangehörigen fast schon demonstratives Desinteresse. Weithin unterbelichtet blieben bislang Fragen zur Zukunft der Bundesmuseen, des Denkmalschutzes oder der Filmförderung, die nach 2000 noch für größere öffentliche Diskussionen gesorgt hatten. Ein Schattendasein fristet auch das Gedenk- und Jubiläumsjahr 2018, von dem bislang keinerlei demokratiepolitische Impulse ausgehen. Das zeigt sich auch an der halbherzigen Eröffnung des „Hauses der Geschichte“ in der Neuen Burg am Wiener Heldenplatz, ein von Beginn an konfliktträchtiges Projekt, das die Regierung Kurz in bereits verkleinerter Form von ihren Vorgänger*innen übernommen hat. Und auch für die bereits in der letzten Legislaturperiode marginalisierte Freie Szene bedeutet die weitgehende Budgetfortschreibung nichts Gutes; immerhin ist zu erwarten, dass die wenigen „Kulturellen Leitbetriebe“ (Morak) in den nächsten Jahren ein immer größeres Stück des Förderkuchens für sich beanspruchen werden.

Rechtspopulistischer Mainstream

Der strukturelle Bedeutungsverlust der nicht institutionalisierten Kulturszene ist aber wahrscheinlich nur ein Grund, warum deren Proteststimmen heute wesentlich leiser und punktueller ausfallen als noch zu Beginn der 2000er Jahre. Immerhin ist diesmal klar, dass es sich bei der Neuauflage einer ÖVP-FPÖ-Regierung nicht um einen einmaligen politischen Betriebsunfall handelt, sondern dass sich die politischen Verhältnisse nachhaltig nach rechts verschoben haben. Sie können auf breite Zustimmung einer Bevölkerung zählen, die die Leistungen des Kulturbetriebs für immer weniger relevant bei der eigenen Lebensbewältigung einschätzt. Dazu können beide Regierungsparteien mittlerweile auf eine lange Geschichte der Verschärfung der Migrationsbestimmungen bauen. Mitausschlaggebend ist wohl auch die Erfahrung, dass die Widerstandsformen 2000 und in den Folgejahren nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben. Dazu kommt, dass die Vertreter*innen des Widerstands zu Beginn des neuen Millenniums noch auf einen europäischen Solidaritätszuspruch auch auf offiziell-politischer Ebene setzen konnten. Heute haben progressive zivilgesellschaftliche Initiativen in ganz Europa gegen einen rechtspopulistischen Mainstream zu kämpfen, der ihnen die Aufrechterhaltung von elementaren Grundwerten erschwert. Und sie treffen auf eine Opposition, die sich nach Jahren der korrumpierenden Anbiederung an den neoliberalen Zeitgeist nicht mehr in der Lage sieht, ein überzeugendes politisches Gegenkonzept zu vertreten, um dem Schwung des neuen jungen Regierungschefs auf überzeugende Weise Paroli zu bieten.

Kulturpolitik ohne Profil

Das, was die türkis-blaue Regierung bislang gezeigt hat, deutet nicht auf die Absicht hin, sich – wie in der apostrophierten guten alten Zeit – nochmals mit Hilfe des Kulturbetriebs politisch besonders profilieren zu wollen (und sei es im öffentlichen Schaukampf gegen seine progressiven Kräfte). Eine neue Generation smarter Kulturpolitiker wie Kurz oder Blümel setzen nicht mehr auf „Kultur“ als Mittel der Völkerverständigung sondern sie arbeiten an der Errichtung einer „Festung Europa“, deren kulturelle Bestimmung zwar weitgehend undefiniert bleibt und doch gegen alle Arten von Eindringlingen verteidigt werden muss. Bezogen auf diesen politischen Primat verlieren weite Teile nationalstaatlicher Kulturpolitik somit ihr eigenständiges Profil und ihre Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben. Ihre Restbestände werden umgelenkt auf die Mühlen des Migrationsdiskurses. Was bleibt sind weitgehend unzusammenhängende Versatzstücke einer Kulturlandschaft, die sich – staatlich zunehmend unkoordiniert – vor allem an internationalen Kulturmarkterfordernissen zu orientieren hat. Und so werden die Donnerstagsdemos mit und ohne Kulturschaffende wohl noch öfter stattfinden müssen.

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Eine ausführliche Analyse der schwarz(türkis) – blauen Kulturpolitik im Vergleich zu Schwarz-Blau 2000 – 2006 von Michael Wimmer erscheint im Frühjahr 2019 in einem von Emmerich Talos herausgegebenen Sammelband „Schwarz-Blau“.

Seit November finden auch in Linz Donnerstagsdemonstrationen statt, koordiniert von der gfk – Gesellschaft für Kulturpolitik, getragen von einer Vielzahl an Initiativen. Die nächste DonnerstagsDemo Linz ist am 13. Dezember 2018.
in-linz-ist-donnerstag.at

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