Von der Bühne in die Armut

Bis 2024 wird Österreich in die Liga der „superalten“ Länder aufsteigen. Das bedeutet mehr PensionistInnen und auch einen Anstieg der Altersarmut. Eine Berufsgruppe, die davon besonders betroffen scheint, sind (freie) SchauspielerInnen. Ein Gewerkschaftsvorsitzender, eine Betroffene und eine Unterstützerin erzählen.

Laut Statistik Austria wurden 2016 im Dezember 2.761.648 Pensionen und Renten insgesamt ausbezahlt. Aktuell sind 200.000 von diesen PensionistInnen armutsgefährdet. Damit befindet sich Österreich unter dem OECD-Durchschnitt. Ausschlaggebend für die Höhe der Alterspension sind Faktoren wie durchgehende Erwerbsarbeit und die Höhe des erzielten Einkommens. Umgekehrt heißt das: Unterbrochene Erwerbsbiografien, ein niedriges Einkommen und fehlende Versicherungszeiten führen zu einer niedrigen Pension. Oft schaut am Ende selbst mit der Ausgleichszulage nur die Mindestrente heraus. Im Bereich der freien Schauspielkunst beginnt die Altersarmut sogar schon lange bevor man das Pensionsalter erreicht.

Erwin Leder, Foto: Wolfgang H. Wögerer, Wien CC BY-SA 3.0, from Wikimedia Commons

„Im Schauspiel gibt es keine Jobgarantie, du musst dich bewähren, ein Leben lang“,

so Erwin Leder, Vorsitzender der Fachgruppe „Freiberufliche Filmschauspieler und Sprecher in Film und elektronischen Medien“ der younion_Die Daseinsgewerkschaft. „Der Schauspielberuf ist allgemein armutsgefährdet.“

Die Altersarmut resultiere vor allem aus der geringfügigen Beschäftigung beziehungsweise einer sporadischen Beschäftigung. „Wie sollen diese Leute auf 40 bis 45 Berufsjahre kommen?!“, fragt Leder, selbst Schauspieler und Kenner der Branche, empört.

Was ihm besonders sauer aufstößt ist die Tatsache, dass es mit den SchauspielerInnen – wie übrigens auch mit allen freischaffenden KünstlerInnen anderer Sparten – Menschen trifft, die viel private, gänzlich unbezahlte Zeit in ihre Arbeit stecken. „Für manche Rollen braucht es ein Spezialtraining, man muss vielleicht eine Sportart erlernen. Das sind alles Zusatzleistungen, die jedoch außerhalb der Dienstzeit stattfinden und deshalb weder vergolten noch versichert werden.“ Es ist üblich, dass man bereits zwei Monate vor dem offiziellen Probenbeginn an einer Rolle arbeitet. „So kommen diese ganzen unversicherten Zeiten zustande. Theoretisch müsste man das auch versichern“, so Leder. Die Vertragszeit beginne allerdings erst mit Probenstart.

 

Seriöser Beruf

„In den 1970er Jahren war das noch ein seriöser Beruf, wie jeder andere auch. Man war angestellt, versichert, wurde bezahlt und hat gut leben können. Sprich, man war abgesichert.“ Heute drohe permanent das Prekariat. Derzeit gibt es in Österreich rund 350 freie Gruppen und Bühnen und etwa 3000 freiberufliche SchauspielerInnen, wobei die Dunkelziffer groß sei. „Das Sozialversicherungsthema ist seit 20 Jahren ein permanenter Herd.“

Seit 1999 gibt es den Künstler Sozialversicherungsfonds, ein Bundesgesetz über die Errichtung eines Fonds zur Förderung der Beiträge der selbstständigen KünstlerInnen zur gesetzlichen Sozialversicherung. „Diese ist aber sehr unausgegoren, weil allein die Bewertung, wer als Künstler gilt, nach fragwürdigen Kriterien beurteilt wird“, meint Leder. In Deutschland sei das anders geregelt, da bekomme jedes Mitglied der Künstlersozialversicherung automatisch etwas bezuschusst.

Anders sieht es an Bundes-, Landes- und Stadttheatern aus. „Hier gibt es Kollektivverträge, eine strenge Einhaltung von Arbeitszeiten und fixe Verträge.“ Angesprochen auf die „Kettenverträge“, meist Einjahresverträge, die jährlich bei einem so genannten „Verlängerungsgespräch“ vom jeweiligen Intendanten oder der jeweiligen Intendantin verlängert oder eben nicht, werden, sagt Leder: „Die Freiheit der Kunst verlangt es, dass Intendanten und Regisseure sich aussuchen, mit wem sie arbeiten wollen.“ Dies sei im Theaterarbeitsgesetz (1. Jänner 2011), welches das Schauspielergesetz von 1922 abgelöst hat, verankert. „Das TAG ist eine Verbesserung des Angestelltengesetzes, da etwa Normalarbeitszeiten bei Schauspielern nicht anwendbar sind“, gibt der Gewerkschafter zu bedenken. Allerdings gibt es Bestrebungen, wie man die künstlerischen Mitspracherechte stärkt und die DarstellerInnen mehr in Entscheidungsprozesse miteinbindet – etwa die Initiative Art but Fair und das Ensemble-Netzwerk.

 

Private Katastrophen

Bettina Buchholz, Foto: Reinhard Winkler

Wenn es einen trifft, ist es aber auch hier eine private Katastrophe. Nach 18 Jahren durchgehendem Engagement, wurde etwa der Vertrag von Bettina Buchholz am Landestheater Linz nicht mehr verlängert. Mit 48 Jahren steht die Wahllinzerin vor der Entscheidung, der Schauspielkunst adé zu sagen. „Ich bin bildungsbereit und mache eine Ausbildung zum Coach.“ Altersarmut ist bislang kein Thema gewesen, mit dem sich die erfolgreiche Mimin auseinandersetzen musste. „Ich dachte nicht, dass mir das nach so langer Zeit am Theater passiert. Die Existenz ist da schon massiv bedroht.“ – Bittere Fußnote: An einem Theater in Deutschland wäre sie nach 15 Jahren unkündbar gewesen. Gerade als Frau sei es im Schauspielberuf in ihrem Alter ungleich schwieriger als für Männer. „Weil es keine Rollen für Frauen in meinem Alter gibt!“ Eine Studie über audiovisuelle Diversität bestätigt diese Wahrnehmung zumindest im Film- und Fernsehbereich: Frauen bis 30 kommen gleich häufig vor wie ihre männlichen Kollegen und verschwinden dann graduell, sodass dann auf eine Frau über 50 acht Männer kommen!

„In meinem Alter habe ich das Gefühl, dass ich das meiste Können habe. Es fließt, man hat Wissen, man hat Kompetenz“,

so Bettina Buchholz. Und dennoch gibt es dafür keinen Platz.

 

Hilde Wagener Heim

Lotte Tobisch, Foto: By Manfred Werner – CC-BY-SA-3.0, from Wikimedia Commons

Ein Ort in dem KünstlerInnen, die finanzieller Unterstützung bedürfen, ihre Pension verbringen können, ist das Hilde Wagener Künstlerheim in Baden bei Wien. Das Haus wird vom Verein „Künstler helfen Künstlern“ finanziert und hat mit seiner Präsidentin Lotte Tobisch eine prominente wie engagierte Kämpferin. „Wenn man sehr alt ist und weiß, dass man die Welt nicht erlösen kann, macht es Freude, ein paar Leuten den Lebensabend zu verschönern“, sagt sie. Sie kennt die Schwere der Unterhaltungsbranche und macht sich darüber keine Illusionen:

„Wenn man nicht fix engagiert ist, lebt man von der Hand in den Mund. Dann kommen Zeiten, wo nix ist und man merkt plötzlich, wie geschwind das Geld weg sein kann.“

In einem Video, das für die Unterstützung des Heimes wirbt, sagt es Testimonial und Tatort-Kommissar Harald Krassnitzer wohl richtig: „Jetzt bin ich ganz oben, aber wer weiß, eines Tages kann es mir auch so gehen und dann bin ich froh, dass es diese Institution gibt.“

 

Alles geben

„25 Jahre lang, 6 Tage die Woche steht man auf der Bühne mit dem Gesicht an vorderster Front und zwar in jedem Zustand. Dann wirst du aus dem System gekickt, weil das System das kann“,

zieht Bettina Buchholz ihr Resümee. Der Schauspielberuf ist einer, den man, sofern man gesund und arbeitsfähig ist, ein Leben lang ausüben kann und meist auch will. „Wenn man allerdings sein Leben lang Unsicherheit spürt, immer überlegen muss wie man Miete zahlt, die Familie ernährt, dann wird es schwierig zu funktionieren und seine Stimme aufrecht zu erhalten“, insinuiert Erwin Leder. „Ganz ehrlich: ich würde keinem meiner Kinder empfehlen, diesen Beruf zu ergreifen“, fügt er hinzu.

Der Weisheit letzter Schluss kann das allerdings nicht sein. Denn wie langweilig und eintönig sähe wohl eine Welt ohne Theater, Oper, Tanz, etc. aus? „It takes art to make a company great“, postulierte schon Tschick-Hersteller und Kunst-Förderer Philip Morris nicht ganz uneigennützig. Nur ein Gedankenexperiment, aber: was würde wohl passieren, wenn man das Wort „company“ mit „country“ ersetzt und die CEOs dieser „Firma“ in die Pflicht nimmt?

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