Die rechte Hetz’ aus dem Netz

4chan, Qanon, Cambridge Analytica: Wie die US-amerikanische Alt-Right-Bewegung das Netz für den Kulturkampf nützt.

Rückblickend ist es fast schon rührend, nachzulesen, welche Hoffnungen mit dem Aufkommen des Internets verbunden wurden. Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern würden sich ganz einfach online begegnen und voneinander lernen können, das gesammelte Weltwissen wäre überdies für alle frei verfügbar, Frieden und Wohlstand für Alle wären entsprechend nur noch eine Frage der Zeit, lautete eine beliebte Prognose vor 20 Jahren.

Die Wirklichkeit sieht anders aus: Obwohl das Internet vom kostenlosen Sprachenlernen bis hin zu wissenschaftlichen Publikationen, Nachschlagwerken
und Studiengängen Möglichkeiten bietet, von denen Generationen davor nicht einmal zu träumen wagten, sind erschreckend viele Menschen nicht an Wissen und Fakten, sondern lediglich an der Bestätigung ihrer eigenen Vorurteile interessiert. Während andere genau dies zu nutzen suchen, um ihre politische
Agenda durchzudrücken – oder Geld zu verdienen.

 

Wie der Kulturkampf im Internet began

Angela Nagle: Kill All Normies. Online Culture Wars from 4chan and Tumblr to Trump and the Alt-Right. (Zero Books, Juni 2017. ISBN: 978-1-78535-543-1)

In ihrem Buch «Kill all normies» beschrieb die irische Kommunikationswissenschaftlerin Angela Nagle, wie der neue Kulturkampf im Internet begann: Aus dem Imageboard 4chan – einer Website, auf der Bilder veröffentlicht und diskutiert werden – ging die eigentlich eher linke und antiautoritäre AnonymousBewegung hervor. Anonymous wurde nach und nach von Rechten übernommen, die dort ihren Hass auf Frauen, Liberale und Minderheiten unzensiert ausleben konnten. Letztlich sorgte 4chan sogar dafür, dass Trump Präsident werden konnte. Die dortigen Trolle zogen für ihn in den Wahlkampf und brachten ihre eingängigen Memes, Slogans und einfachen Weltsichten mit. So lautete bis vor einigen Monaten jedenfalls die Erklärung vieler politischer BeobachterInnen – bis sich herausstellte, dass die 4chan-Methoden weiter verbreitet waren, als gedacht. Was vor allem im deutschsprachigen Raum als Facebookskandal wahrgenommen wurde, umfasste weit mehr als die gezielte Ausspionierung und Beeinflussung von US-WählerInnen.

 

Die Methoden der Trollnetzwerke

Das britische Unternehmen Cambridge Analytica bediente sich – ob zufällig oder nicht, wird vielleicht in künftigen Gerichtsverfahren geklärt werden – auch der Methoden, die aus Trollnetzwerken wie 4chan bekannt wurden: Neben psychologisch durchkalkulierten Kampagnen setzte man auch auf Schmutzkampagnen.

Eingängige Memes, Fakenews und gefälschte Bilder prasselten in den sozialen Netzwerken unaufhörlich auf die ausgemachte Zielgruppe der möglichen TrumpWählerInnen ein. Eigens gegründete Facebookgruppen sorgten dafür, dass die Zielgruppe sich untereinander vernetzte. Am Ende hatte man für diese nichts ahnenden Menschen eine komplette Parallel-Realität geschaffen: Selbst wer misstrauisch wurde, hatte kaum eine Chance, die erhaltenen Informationen zu verifizieren, denn vorausschauend hatte Cambridge Analytica schon Monate zuvor passende Webseiten aufgesetzt und mit SEO-Strategien bei den Google-Suchergebnissen auf vordere Plätze gebracht. Ebenso wie auf den einschlägigen Alt-Right-Blogs wurden dort die glatten Lügen und umgebogenen Fakten zu Wahrheiten erklärt.

 

Hass säen, Glaubwürdigkeit ernten

Photo by Capturing the human heart. on Unsplash

Ähnlich gingen die MitarbeiterInnen der russischen Trollfabrik vor, die auch in den amerikanischen Wahlkampf eingegriffen hatten. Tausende ihrer enttarnten Accounts wurden in diesem Jahr von Twitter gelöscht – der Sender NBC hatte allerdings Twitter-MitarbeiterInnen konspirativ damit beauftragt, die Inhalte dieser Accounts zu speichern, so dass sie eingehend analysiert werden konnten: Interessanterweise bestand das Hauptziel dieser Trollaccounts weniger darin, Trump zum Sieg zu verhelfen. Vielmehr ging es darum, Hass zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen zu säen und sie gegeneinander aufzustacheln.

Die eigentlich DurchschnittsamerikanerIn spielenden Trolle wurden erst anlässlich viel diskutierter politischer Ereignisse zu Hassverbreitern. Und posierten dann nicht nur als knallharte RassistInnen, die Schwarze in ihren Tweets übelst beleidigten, sondern auch als AktivistInnen der Bürgerrechtsbewegung «Black lives matter». Während Demonstrationen verbreiteten sie unter anderem Lügengeschichten wie die, dass Ku Klux Klan-Mitglieder in voller Montur aufmarschiert seien oder Schauergeschichten über angebliche Gewalt schwarzer DemonstrantInnen. In mindestens einem Fall organisierten sie sogar selber Demos. Und, wie die UserInnen von 4chan es vorgemacht hatten, produzierten sie massenhaft Memes mit eingängigen Slogans, die begeistert geteilt wurden. Ihre Propaganda hat nachhaltigen Erfolg – Alt-Right und andere rechte Gruppen hatten schließlich zuvor bereits ausgedehnte Kampagnen gegen die «MSM», die ihrer Meinung nach nur Lügen verbreitenden Mainstream Media, gemacht. Und so erklärten von CNN befragte UserInnen, die unbedarft Tweets russischer Trolle geteilt hatten, dass der Sender bekanntlich immer lüge und die Troll-Geschichte sicher nur erfunden habe.

 

Wer ist Qanon?

Wodurch ein weiterer Akteur leichtes Spiel hat, der im Oktober 2017 weitgehend unbemerkt als «Qanon» die Social Media-Bühne betreten hatte.

Qanon führt das fort, was auf 4chan begonnen wurde. Um nicht nur diese Zielgruppe zu erreichen, erweckt die anonyme Figur gezielt den Eindruck, ein hochrangiger Insider der Trump-Regierung zu sein. Trump, so Q, sei nämlich ein hochintelligenter Schachspieler, der seinen Gegnern jederzeit um zig Züge vorausdenke, weswegen er die Entmachtung der politischen Eliten von langer Hand geplant habe. Und deren Treiben sei so schrecklich, dass die Wahrheit niemandem zuzumuten sei, weswegen der Anonymling täglich vage Andeutungen, kryptische Fotos und Halbsätze postet. Vermutlich genau wissend, dass nicht nur 4chan-UserInnen Spaß an Detektivspielereien haben, versorgt Qanon seine mittlerweile weltweiten Fans täglich mit genügend Stoff für lange Spekulationen.

Was unter dem Hashtag #Qanon passiert, ähnelt einem Spiel, das 12-, 13-jährige Mädchen früher gern spielten. Dabei sucht man sich einen nichtsahnenden Klassenkameraden und beschließt, dass der sich in eine der Mitspielerinnen verliebt habe. Und beobachtet ihn fortan genau. Selbst im Spiel bekommt alles, was er tut und sagt, umgehend eine ganz besondere Bedeutung – egal, ob er schweigt, hustet, sich durch die Haare fährt oder sein Pausenbrot isst. Alles kann (unter großem Gelächter der Eingeweihten, natürlich) dahingehend interpretiert werden, dass es Zeichen seiner immensen Verliebtheit ist. So ähnlich verhält es sich mit den Qanon-Voraussagen: Wer bereit ist, sie zu glauben, wird immer irgendein aktuelles Ereignis auf der Welt finden, auf das sich der anonyme Nostradamus ganz bestimmt bezogen hat.

 

Lügen mit Folgen

Qanon könnten unpolitische Nerds sein, die sich einen Spaß erlauben wollen. Oder russische Trolle, die ein neues Betätigungsfeld fanden. Vielleicht verbergen sich aber auch Alt-Rightler hinter dem Pseudonym, die eine Chance gesehen haben, alle Verschwörungstheorien, die derzeit in Umlauf sind, zusammenzufassen. Qanon sind sie jedenfalls wohlbekannt, so verwendet er beispielsweise immer wieder Versatzstücke des so genannten Pizzagates, einer längst zigfach widerlegten Lüge, wonach führende Demokraten gemeinsam in einer Washingtoner Pizzeria einen KinderhandelRing betreiben. Der Vorwurf, Kinder zu vergewaltigen und zu ermorden, ist eines der Standardmittel von AltRight, um missliebige Prominente zu diskreditieren.

Die Gefährlichkeit von Qanon besteht darin, dass der Account Menschen einredet, im Besitz von Geheimwissen zu sein – und sie gleichzeitig ermutigt, selber Nachforschungen anzustellen. Das hatte im Fall der Verschwörungstheorie vom Pizzagate fast zu einem Blutbad geführt. Am 4. Dezember 2016 war ein mit einem Sturmgewehr bewaffneter Mann in die Pizzeria eingedrungen, um eigenen Aussagen nach die dort festgehaltenen Kinder zu befreien. Die Polizei konnte ihn überwältigen.

Photo by Jon Tyson on Unsplash
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