Roma und Sinti in Österreich – auf dem Weg zu höherer Bildung

Im Vergleich zu vielen unserer Nachbarländer ist die schulische Situation von Roma in Österreich ein wenig diskutiertes Thema. Einerseits kann dies auf die verbesserte Bildungssituation autochthoner Gruppen, andererseits auf mangelnde Information und Wahrnehmung von Roma im Schulsystem zurückgeführt werden.
Es gibt keine aufschlussreichen Bildungsstatistiken oder umfassende empirische Untersuchungen zur Thematik, dennoch kann behauptet werden, dass sich die Bildungssituation der schon lange in Österreich lebenden autochthonen Roma in den letzten 25 Jahren merklich verbessert hat (Luciak & Gärtner-Horvath 2012). Inwieweit dies für alle Untergruppen – Burgenland-Roma, Sinti und Lovara – in gleichem Ausmaß gilt, ist nicht näher erforscht. Jedenfalls ist das vermehrte Abschieben von Kindern der Burgenland-Roma in die Sonderschule – eine Praxis, die teilweise bis in die 1990er Jahre anhielt – mittlerweile passé und der Abschluss der Pflichtschule zum Normalfall geworden. Vereinzelt werden selbst höhere Bildungsabschlüsse von Roma-Angehörigen erzielt. Die Anerkennung autochthoner Roma als österreichische Volksgruppe (1993), die Öffentlichkeitsarbeit von Roma-Vereinen und die von ihnen angebotenen Lernhilfeprogramme können hierfür als wichtige förderliche Faktoren angesehen werden.
Dem weithin noch bestehenden Informationsmangel betreffend Geschichte, kulturelle und sprachliche Merkmale sowie die aktuelle Lebenssituation von Sinti und Roma entgegenzuwirken, sieht auch der in Oberösterreich beheimatete Verein Ketani als wichtige Aufgabe. An Schulen, anderen Bildungseinrichtungen und im Bereich der Fortbildung von LehrerInnen wird mittels Vorträgen, Filmen oder Lesungen versucht, Vorurteilen und Stereotypenbildung vorzubeugen und Roma-spezifische Themen in den Unterricht einzubringen. Auch die Hintergründe für die oft prekäre soziale Lage von Roma in Europa werden dabei näher beleuchtet.
Teilweise anders als die Situation der Volksgruppenangehörigen stellt sich jene der in Österreich lebenden Roma mit Migrationshintergrund dar. Über die Bildungssituation dieser mittlerweile zahlenmäßig wesentlich größeren Gruppe, zu denen Kalderaš, Gurbet und Arlije-Roma gehören, ist noch viel weniger bekannt. Kleinere wissenschaftliche Erhebungen sowie die Erfahrungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Roma-Vereinen deuten jedoch darauf hin, dass es verstärkter Unterstützungsmaßnahmen bedarf, um deren Bildungsbeteiligung zu erhöhen und der Gefahr von Sonderschulüberweisungen vorzubeugen (Luciak 2009). Auch über diese Gruppen fehlt es im Schulbereich an Wissen und Sensibilisierung im Umgang mit den Roma-SchülerInnen. Oftmals mangelt es zudem an der Zusammenarbeit zwischen Schulen und Angehörigen der Roma-Gemeinschaften. Die wenigen Roma-MuttersprachenlehrerInnen und Roma-AssistentInnen aus den Vereinen können nur an ausgewählten Schulen ihre wichtige Rolle als Kontakt- und Vermittlungspersonen einnehmen.
Seit 2011 beschäftigt sich eine Gruppe von Angehörigen unterschiedlicher Roma-Gruppen, die über einen höheren Bildungsabschluss verfügen, gemeinsam mit MitarbeiterInnen aus Roma-Vereinen mit der Bildungssituation von in Österreich lebenden Roma und Sinti. Im Rahmen von Workshops, die vom Verein Initiative Minderheiten initiiert und von der Abteilung für Erwachsenenbildung des Unterrichtsministeriums finanziert werden, konnte eine Reihe von förderlichen und hinderlichen Merkmalen für die Bildungskarrieren der Roma-SchülerInnen herausgearbeitet werden. Neben dem schulischen und familiären Bereich wurde dabei die Bedeutung der sozialen Lage der Roma-Gruppen in Österreich und der sich im Lauf der Geschichte wandelnden gesellschaftlichen Verhältnisse näher betrachtet. Um einen noch besseren Einblick in schulische und außerschulische Bildungsmöglichkeiten sowie Berufsperspektiven von Roma und Sinti zu erlangen, plant diese Gruppe gegenwärtig eine österreichweite qualitative Untersuchung in den verschiedenen Roma-Gemeinschaften. Dabei soll die erst kürzlich veröffentlichte Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma als Vorbild dienen (Strauß 2011), welche nach entsprechender Schulung in wissenschaftlicher Methodik und Forschungsdurchführung von Sinti-Angehörigen selbst durchgeführt wurde.

 

 

 

Literatur:

Luciak, Mikael: Behinderung oder Benachteiligung? SchülerInnen mit
Migrationshintergrund und ethnische Minderheiten mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Österreich. SWS Rundschau 49, Nr. 3, 369-390, 2009
 
Luciak, Mikael/ Gärtner-Horvath, Emmerich: Roma in Österreich – Erfahrungen von Bildungsungleichheit einst und heute. In: Sabine Hornberg/ Christian Brüggemann (Hg.) Die Bildungssituation von Sinti und Roma in Europa. Münster u.a.: Waxmann, erscheint Frühjahr 2012

Strauß, Daniel (Hg.): Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma / Dokumentation und Forschungsbericht. Marburg: I-Verb.de 2011

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