Mander, s’isch Zeit

Silvia Riedmann kommentiert den Tiroler Wahlkampf.
 

Am 28. September 2003 ist Wahltag. In Tirol wird – wie auch in Oberösterreich – der Landtag neu gewählt. Doch die brütendheißen Sommertage präsentieren sich lethargisch, lahm und leer. Die vor solchen Ereignissen übliche Wahlkampfstimmung will nicht so recht aufkommen, es gibt keine heiß umkämpften Themen und selbst die normalerweise allerorts affichierten Wahlplakate sind bislang nur vereinzelt sichtbar. Wenngleich sich letzteres einem All-Parteien-Übereinkommen schuldet, die Werbekampagnen erst kurz vor dem Urnengang zu starten, lässt die auch ansonsten fade Ruhe nur einen Schluss zu: Der Wahlausgang scheint schon jetzt besiegelt.

Vor der populistischen One-Man-Show des amtierenden Landeshauptmanns Herwig van Staa erstarrt jedes noch so kümmerliche Pflänzchen oppositioneller Themensetzung. Er beherrscht die regionalen Medien vom Bericht über den Kommentar bis hin zu den Klatschspalten. Der eine oder andere Ausritt in die Agenden der Bundespolitik, den er zum Beispiel hinsichtlich der künftigen Pensionskürzungen vorexerzierte, sichert ihm die Themenführerschaft auch in jenen Informationskanälen, die selbst den politikfernsten Tiroler noch erreichen. Die zahlreichen Werbebeilagen, die mit diversen Gratisblättern in die Tiroler Haushalte flattern, bejubeln die Erfolge der amtierenden Landesregierung und positionieren sehr vorteilhaft die „erfolgreiche“ ÖVP-Regierungsmannschaft. Vorne dran und nahezu omnipräsent – der Landeshauptmann.

Das einzige Themenfeld, das nun schon seit Jahren für emotionale Entrüstung beim Tiroler Publikum sorgt und das auch das heurige Sommerloch stopft, der – in der Tat überbordende – Transitverkehr über den Brenner, ist schon lange kein rein grünes Thema mehr. Spätestens seit einigen Autobahnblockaden, die vom Verbundenheits-Mythos zur Tiroler Scholle dominiert wurden, ist klar, wohin die Reise geht: Wieder einmal muss in den Bergen zum Äußersten gegriffen und die eigene Existenz gegen einen schier übermächtigen Feind von außen verteidigt werden: „Mander, s’isch Zeit“ heißt es heute wie vor fast 200 Jahren. Der Analogieschluss zu den bäuerlichen Rebellen des Jahres 1809 rund um Andreas Hofer liegt deshalb nahe.

Und van Staas Wahlkampfstrategen wissen diese Nähe einzusetzen: Seine ruppig-trotzigen Kommentare über die Aufhebung des sektoralen Fahrverbots für LKW mit nicht lebensnotwendigen Gütern (wie Müll, etc.) durch den Europäischen Gerichtshof etwa oder die Ikonographie der offiziellen Pressebilder (sie zeigen van Staa sitzend vor einem berühmten Brustportrait von Andreas Hofer) deuten auf eine geschickte Nutzung dieses Ur-Tiroler Nationsmythos für die Imagebildung des Landeshauptmanns hin.
Die anderen Parteien wirken einstweilen wie die Lämmer vor der Schlachtbank: Dem wortgewaltigen, polternden Auftreten van Staas scheinen sie selbst in diesem Themengebiet lediglich undeutliches Lavieren zwischen den Positionen (von Seiten der derzeit regierungsbeteiligten SPÖ), mangelhaft kommunizierte Lösungsvorschläge (durch die medial schwach repräsentierten Grünen) und schlichte Absenz (der von internen Konflikten zerrissenen FPÖ und der noch um ihre Kandidatur in zahlreichen Bezirken ringenden KPÖ) entgegen setzen zu können.

Kulturpolitik ist für die Wahltaktiker der einzelnen Parteien scheinbar auch kein übermäßig interessantes Feld, obwohl der Landeshauptmann, der auch die Kulturagenden des Landes leitet, genügend Reibeflächen bieten würde. Van Staa machte nämlich bereits in seiner Antrittspressekonferenz sein Kulturverständnis deutlich: Kultur im Spannungsfeld zwischen Moderne und Tradition (Stichwort: Laptop & Lederhosen) sei identitätsstiftend und imagebildend für Tirol.

Was er damit genau meinte, präzisierte er in einer Reihe nachfolgender öffentlicher Statements. So zum Beispiel in einem Zeitungsartikel anlässlich der Generalversammlung des Landesverbandes der Heimat- und Trachtenverbände: „Die Volkskulturvereine sind mit Subventionen nicht reich beschenkt. Van Staa: ,Sie bekommen einen Bruchteil dessen, was andere ver-experimentieren.’“ In einem anderen Interview stellte er fest, dass er als Tourismusreferent dafür plädiere, eine stärkere Verbindung zwischen Kultur und Tourismus herzustellen. Weder die Ankündigung von Subventionskürzungen im Jahr 2004 noch die Streichung von Kunstankäufen durch das Land Tirol vermochte die anderen Parteien hinter ihren warmen Ofenplätzen (oder in der Sommerhitze wohl eher aus dem kühlen Freibad) vorzulocken.

Lediglich die Tiroler Grünen – dank des persönlichen Engagements der Innsbrucker Stadträtin Uschi Schwarzl, die mit einem Grundmandat der Landeshauptstadt in den Landtag einzuziehen hofft – halten dem immer wieder ihre eigene kulturpolitische Position ernsthaft dagegen. Die restlichen Parteien zeichnen sich durch geradezu beklemmendes Stillschweigen, unterbrochen von punktuellen Interventionen, aus1.
Es ist zu hoffen, dass der Wahlkampf zumindest in seinen letzten Zügen noch aus dem künstlichen Tiefschlaf erwacht und dass die Oppositionsparteien (oder solche, die es demnächst sein werden) endlich auch pointiert kulturpolitische Position beziehen.
 

Sylvia Riedmann <

1) Außer von der SPÖ war es der Autorin bis zum Redaktionsschluss unmöglich, jene Teile des Wahlprogramms der kandidierenden politischen Parteien zu erhalten, die sich auf Kunst und Kultur beziehen, da – so die meist mündlich vorgebrachte Entschuldigung – die Programme größtenteils noch gar nicht existieren. Aus diesem Grund musste die an dieser Stelle geplante Analyse von kulturpolitischen Positionen entfallen und durch einen Kommentar, der seine Informationen aus der Medienrealität bezieht, ersetzt werden.

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