Regionale Kulturentwicklung und Gemeindekulturpolitik aus der Sicht von Franz Kornberger
Im Folgenden eine gestraffte Wiedergabe des Vortrags „Regionale Kulturentwicklung und Gemeindepolitik“. Vorgetragen im Rahmen der Veranstaltung „Drei Länder – eine Region. Kulturarbeit im Salzkammergut“ von Franz Kornberger am 11. April 2003.
Was sind die wesentlichen Schwerpunkte in der regionalen Kulturpolitik und -arbeit?
Ich möchte mit einem Zitat des ehemaligen Kunstministers Scholten anlässlich eines Besuches im Kino Ebensee 1994 beginnen: „Ein gut programmiertes Kino kann zwar nicht die Diskussion um die Todesstrafe verhindern, aber es kann die Menschen dagegen immunisieren, mitzuhetzen.“ Das sagt sehr viel darüber aus, was Kulturpolitik auch in der Region leisten kann, soll und muss, wenn sie sich als integrierender Bestandteil einer Gemeindepolitik versteht. Kommunale Kulturpolitik, wie ich sie verstehe, ist regionale Kulturentwicklung, nicht mehr und nicht weniger.
Mein Heimatort Ebensee ist einerseits bekannt für sehr lebendiges Brauchtum und lebendige Volkskultur, andererseits aber auch für eine sehr attraktive zeitgenössische Kulturszene, vor allem Musikszene. Bekannt aber auch dafür, dass wir uns mit der Schaffung des Zeitgeschichtemuseums eine Einrichtung in einem kleinen Ort geschaffen haben, die die Stadt Wien noch immer nicht zustande bringt, nämlich ein Haus der österreichischen Geschichte: Oder wie es der ehemalige Wiener Stadtschulratspräsident Kurt Scholz ausgedrückt hat: „In Wien solle man sich schämen, dass man nach Ebensee fahren muss, wenn man so etwas sehen will.“
Wie schaut die Praxis aus? Welche finanziellen Rahmenbedingungen hat man in einer Gemeinde wie Ebensee, um so etwas machen zu können?
Ich habe ein Kulturbudget von ca. 140.000 Euro pro Jahr zur Verfügung. Wenn ich die fixen Bereiche abziehe – eine Musikschule und zwei Museen, auch die Förderung der Kirchen und des Kultus fällt in meine Zuständigkeit –, bleiben an freier Förderung ganze 44.000 Euro im Jahr. Da besteht ein gewisser Gestaltungsspielraum, aber auch hier sind bereits zum Teil Strukturförderungen enthalten.
Ich glaube, ein wesentlicher Punkt ist, dass es in Ebensee keine Kulturverwaltung mehr gibt, und somit keine Personalkosten. Die vorhandenen Geldmittel fließen nicht in eine verwaltende Struktur, sie gehen zur Gänze an die Szene, die Vereine und Veranstalter, bzw. an die Einrichtungen und Strukturen.
Struktur und Autonomie
Kultur braucht keine Verwaltung, aber Kultur braucht Struktur. Strukturen sind zum Teil Räume, können aber auch nicht-räumlich sein bei Vereinen, die eine finanzielle Basis brauchen. Das ist notwendig.
Ich halte nichts von den Diskussionen der letzten Monate und Jahre, dass die öffentliche Hand nur mehr Projekte fördert, aber keine Strukturen mehr. Ich halte diesen Umgang der Politik für verantwortungslos, weil ich der Meinung bin, dass Kultur Strukturen braucht, wenn sie erfolgreich sein will. Über kurz oder lang wird es keine Projekte mehr geben, wenn es keine Strukturen mehr gibt, die diese Projekte tragen können. Hier wird auf allen Ebenen ein Irrweg beschritten.
Was sind Strukturen? Es geht nicht nur um die Musikschule, die sehr wichtig ist, sondern auch um zeitgenössische Kulturstätten. Wenn ich mich dazu bekenne, dass ich für Blasmusikkapellen funktionierende Musikerheime brauche – und dazu bekenne ich mich – dann muss ich aber gleichzeitig sagen, ich brauche auch Proberäume für die Bands, wo sich niemand aufregt, wenn es laut ist. Es bedarf einer verantwortungsvollen Kulturpolitik, das in der Öffentlichkeit durchzusetzen und zu erkämpfen. So sehr ich zu unserem Heimatmuseum stehe, bin ich froh, dass wir ein Zeitgeschichtemuseum haben.
Kultur braucht Autonomie. Das ist für mich einer der wesentlichsten Punkte. Ich habe als zuständiger politischer Referent relativ wenig Arbeit mit der Kulturpolitk in Ebensee, weil wir eine starke Autonomie und gute Kulturträger haben, die mich relativ wenig brauchen. Meine Aufgabe ist es, ihnen Arbeitsmöglichkeiten und Arbeitsfelder zu bieten: strukturell, finanziell und natürlich auch in der öffentlichen Diskussion.
Kulturarbeit braucht auch Sicherheit. Ich halte es auch im Zusammenhang mit der „Projektitis“ für sehr problematisch, dass man Leute, die sich mit Kulturarbeit beschäftigen, ständig in einem sozial unsicheren Umfeld arbeiten lässt.
Das gilt für die Künstler genauso wie für diejenigen, die sich in der Kulturvermittlung um Professionalisierung bemühen.
Für mich sind die Schwerpunkte der regionalen Kulturarbeit im Salzkammergut das Ermöglichen. Wir machen nicht selber Kulturarbeit, wir können das nicht. Kulturpolitik muss ermöglichen, muss viel zulassen, muss unterstützen und muss experimentieren. Und nur, wo es wirklich erkennbare Defizite gibt, muss die Kulturpolitik eingreifen und versuchen, das Defizit zu beheben.
Regionale Identität und Kulturentwicklung
Warum brauchen wir regionale Kulturentwicklung? Natürlich geht es um regionale Identität. Wir leben in einem Spannungsfeld zwischen Globalisierung einerseits und andererseits dem Rückzug in die eigene Innerlichkeit. Das hat viel mit regionaler, mit eigener Identität zu tun. Gerade der ländliche Raum braucht Impulse, die die Kultur geben kann, indem sie aus der engen Innensicht ausbricht. Es gibt ein Menschenrecht auf Kultur, auch hier am Land. Es geht nicht nur darum, den Begriff der „Kultur für alle“ in die Praxis umzusetzen, sondern darum, auch „Kultur durch alle“ zu ermöglichen. Es reicht nicht, ein Event nach dem anderen zu holen, damit sich die Leute alles anschauen können. Es geht darum, Möglichkeiten und Strukturen zu schaffen, dass sich Leute beteiligen können, sei es als Kunstschaffender oder als Kulturvermittler. Es ist spannender für junge Leute, bei der Organisation eines Rockkonzertes selber mitzuarbeiten und Boxen zu schleppen, als sich nur eine Eintrittskarte zu kaufen.
In Ebensee haben wir anlässlich der Erstellung des Gemeindeleitbildes sehr ausführliche Kulturdiskussionen geführt, wo im Rahmen der Ortsentwicklung verschiedene Problembereiche der Zukunft des Ortes erörtert worden sind. Aufgabe der Kulturpolitik ist es, Kulturentwicklung als konzeptiven Bestandteil der kommunalen Arbeit einzufordern. Wir haben in breitem Konsens mit der Bevölkerung einige Leitsätze erarbeitet, anhand derer ich das näher erläutern werde.
„Die kulturelle Vielfalt unseres Ortes mit ihrem Nebeneinander verschiedenster kultureller und künstlerischer Ausdrucksformen zwischen Tradition und Avantgarde, Brauchtum und Zeitgenössischem ist wesentlicher Bestandteil unserer Identität.“ Genau diese Widersprüchlichkeit, genau diese zwei verschiedenen Pole machen die Identität eines Ortes aus, der stolz ist, dass er nicht so eindimensional ist.
In der Identität geht es sehr viel um Einzigartigkeit, um Unaustauschbarkeit. Für mich ist wesentlich, zu wissen, was man will. Will man ein eigenes Profil als Ort oder Region gewinnen? Oder will man der 45. Spielort auf der Tourneelandkarte eines österreichischen Kleinkünstlers sein?
Querschnittsmaterie Kulturpolitik
Kulturpolitik ist selbstverständlich Gesellschaftspolitik und agiert nicht in einem Freiraum. Die Freiheit der Kunst und Kultur als solche ist ein Gradmesser für die Freiheit der Gesellschaft insgesamt. Darum sollte man sich durchaus auch fragen, warum heute immer mehr versucht wird, über Subventionsvergaben und Kulturpolitik Instrumentalisierungen zu betreiben.
Kultur und Kulturpolitik in der Gemeinde müssen Stellung beziehen. Peter Turrini hat das einmal so formuliert: „Wem alles gleich gültig ist, dem ist alles gleichgültig.“
Ich möchte mit einem Zitat aus dem Ebenseer Leitbild anschließen: „Gemeinsam bemühen wir uns, unser Kulturverständnis von Demokratiebewusstsein, Humanität, Toleranz, Solidarität, Minderheitenschutz und Antirassismus zu vertiefen, und deswegen den Wert der Kultur nicht an ihrem kommerziellen Erfolg zu messen.“ Man muss in der Kultur werten. Man kann nicht sagen, es gilt alles, weil wir so tolerant sind. Sachen wie Intoleranz kann man mit Toleranz nicht begegnen. Darum hat Kulturpolitik gerade am Land, in den Gemeinden, eine ganz wesentliche Schutzfunktion. Offensives Auftreten gegenüber allen Zensurversuchen ist notwendig. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass auch das Drohen mit oder das Durchsetzen von Subventionskürzungen Zensurversuche sind. Das darf auf kommunaler Ebene nicht geschehen. Wenn das versucht wird, hat die Kulturpolitik aufzustehen und Stellung zu beziehen.
Kultur in der Gemeinde ist Querschnittsmaterie, sie zieht sich durch viele Bereiche hindurch. Das muss man auch wahrnehmen. Man soll sich einmischen, sich erfolgreich einmischen bei den Bauangelegenheiten. Da geht es um Architektur, um die Entwicklung eines Ortes. Das ist auch Angelegenheit der Kultur, die man nicht dem Baureferenten alleine überlassen darf. Zum Beispiel kann man bei Neugestaltungen ein künstlerisches Projekt – mit ordentlicher Ausschreibung, Jury und Dotierung – fordern, statt den Architekten einen Brunnen mitplanen zu lassen, weil es ohnehin in einem geht. Es geht nicht nur um die Qualität des Kunstwerkes, es geht auch um die Lebensbedingungen der Leute, die für uns Kunst schaffen.
Wenn ich Kulturpolitik als Querschnittspolitik nehme, möchte ich trotzdem Abgrenzungen vornehmen: Kulturpolitik ist nicht Wirtschaftspolitik. Umwegrentabilität darf kein Kriterium für Kulturpolitik sein. Kultur kann und soll Impulsgeber sein. Kulturpolitik nur mehr auf die Frage zu reduzieren „Was bringt das Event?“, darf nicht passieren. Wenn eine Gemeinde oder Stadt Events will – und auch meine Gemeinde will sie aus dem Kulturbudget finanziert haben – dann frage ich normalerweise „Was steht im Vordergrund? Wirtschaft oder Kultur?“ Ist es die Wirtschaft – dann ist es Angelegenheit des Wirtschaftsreferenten. Man muss das aber im Ort thematisieren, damit der Bevölkerung der Unterschied klar wird.
Kulturpolitik ist auch nicht Sozialpolitik. So sehr ein funktionierendes Vereinsleben dafür Vorraussetzung ist, dass in einem Ort das soziale Netz besser funktioniert, das Zusammenleben besser funktioniert; so sehr eine Jugendkulturstätte erfolgreich sein kann im Auffangen von Jugendlichen, die sonst Probleme hätten – dann sind das gute Nebeneffekte, aber eben Nebeneffekte.
Das Kulturreferat ist kein Veranstaltungsreferat. Zumindest nicht in Ebensee, die Gemeinde führt keine einzige Kulturveranstaltung mehr selber durch. Das machen die Strukturen, die alle autonom sind, und die Vereine mit unserer Unterstützung. Die können das, ganz einfach gesagt, besser. Wir leiten durchaus Veranstaltungswünsche weiter an die Vereine und klären im Gespräch mit dem Verein, ob die Gemeinde mitfinanzieren kann und ein Risiko abnehmen kann. Aber es muss das Interesse der Kulturvermittler vor Ort vorhanden sein, das ist Vorraussetzung. Wenn sich niemand engagiert, läuft man Gefahr, dass man bei der großen Dichte der Veranstaltungen frustriert vor leeren Hallen sitzt. Davon hat niemand etwas: weder der Künstler, noch der Zuschauer, und der Veranstalter am allerwenigsten.
Franz Kornberger
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Werkraum Abersee – Raimund Bahr und Franz Kornberger. Die gesammelten Vorträge dieser Veranstaltung werden nach und nach in der Zeitschrift „Der koarige Tag“ veröffentlicht.
Werkraum Abersee, Raimund Bahr
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