Landschaften der Tat

Ljubomier Bratic informiert über ein Innovationstopfprojekt zum Thema Antirassismus.

 

Das Projekt „Brückenschlag. Ein Weg zu neuen strategischen Realitäten“, realisiert vom Verein Maiz im Rahmen des KUPF-Innovationstopfes ’02, geht in die entscheidende Phase. Ziel ist die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen MigrantInnen und MehrheitsösterreicherInnen im Bereich der antirassistischen Öffentlichkeitsarbeit. Ein Bericht über die ersten Projektphasen, die Publikation eines Buches und die Veranstaltung von Workshops zum Thema Rassismus.

Rassismus Das migrationspolitische Markenzeichen, das mit dem Erosionsprozess der FPÖVP Regierung jetzt hoffentlich sein Ende finden wird, heißt „Integrationsvertrag“. Mit der Übernahme des berühmten Wortes signalisierte die neue Regierung im Jahr 2000, dass sie nichts anderes tun würde, als die alte Strategie der großen Koalition der SPÖVP, deren Hauptparole bekanntlich „Integration statt Neuzuwanderung“ war, zu übernehmen. Diese Feststellung stimmt und stimmt wiederum nicht. Was das I-Wort als ein parteiübergreifendes ausländerpolitisches Paradigma betrifft, bemühte sich die rechtsliberale Regierung um eine Fortsetzung.

Hier geht es um nichts anderes als um eine Reaktion des Staates auf die Unmöglichkeit und Erfolglosigkeit der Versuche, die Migration zu stoppen. Letztlich scheiterten also alle diese Versuche am Widerstand der MigrantInnen. Und wenn man einen Gegner nicht besiegen kann, dann macht man sich ihn nicht zum Freund, sondern versucht ihn mit anderen Methoden unter Kontrolle zu bringen. Es sollte mittlerweile klar sein, dass derjenige, der das I-Wort in den Mund nimmt, damit auch die Notwendigkeit des Einwanderungsstaates bejaht. Das tat die FPÖVP Regierung. Andererseits fühlte sich diese Regierung aber im Unterschied zur SPÖ weder dem Toleranzprinzip noch dem ÖGB verpflichtet.

Der ÖGB vertritt seit je – durch ihre volle Unterstützung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes – eine Position, die vor allem darauf zielt, die „ÖsterreicherInnen“ von der Konkurrenz durch die MigrantInnen am Arbeitsmarkt zu „schützen“. Das ist der Sinn von solchen Begriffen wie „Bundeshöchstzahlüberziehungsverordnung“, „Ersatzkraftverfahren“, „Beschäftigungsbewilligung“, „Arbeitserlaubnis“, „Befreiungsschein“ usw. Aus Rücksicht zu dieser Art des proletarischen Rassismus vertritt die SPÖ die Position der gesetzlich geregelten Ausschlusses der MigrantInnen. Allerdings nicht in der Form der „Saisoniers“ und „Erntehelfer“, weil hier aufgrund von den sklavenartigen Verhältnissen dieser Menschen das gesamte Sozialsystem in Frage gestellt wird.

So weit können und wollen die sozialliberalen Interessensvertretungen der MehrheitösterreicherInnen nicht gehen, weil sie sich dadurch selbst ein Grab schaufeln würden. Nur in diesem Punkt also unterscheiden sich die Migrationsregime der ehemaligen Großen Koalition und der gerade zerbrochenen FPÖVP Regierung. Die SPÖ, AK, ÖGB und auch die Grünen nehmen das I-Wort immer in den Mund, wenn es um die Rechtfertigung der bestehenden rassistischen Gesetze geht. Der FPÖ und ÖVP genügen diese Gesetze nicht und sie wollen eine Verschärfung. Keiner stellt die Frage nach der grundsätzliche Sinnhaftigkeit dieser Gesetzgebung. Dies ist die Frontlinie der Kämpfe, die den Inhalt des I-Wortes bestimmen. Und sicher nicht die von Teilen der NGO-s bemühte Assimilation. Assimilation ist nur das Endziel, auf das alle oben angeführten Interessensvertretungen hinstreben. Die Unterscheidung zwischen Assimilation und Integration wird nur dann bemüht, wenn es um eine Graduierung des Rassismus in Österreich geht.

Antirassismus Auch wenn es vom Mainstream kaum wahrgenommen wird, gibt es in Österreich wie in anderen europäischen Ländern einen Antirassismus. Dieser hat in der Geschichte Österreichs vielfältige Transformationsprozesse hinter sich und ist in der gleichen Vielfalt wie sein Gegenpart Rassismus zu finden. Die Grundformel, egal ob es um Kämpfe der Jüdinnen und Juden und diverser Slawengruppen in der Monarchie oder um diejenigen der MigrantInnen nach dem Staatsvertrag von 1955 geht, ist die des Kampfes um Gleichheit in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft. Eine besondere Rolle in diesem Kampf nehmen die Selbstorganisationen der MigrantInnen ein. Diese strukturierten sich ausgehend von dem nationalistischen Nährboden in Österreich, bedingt durch die Kommunikationsmöglichkeiten, entlang der Herkunftslinien. Die Strategie erwies sich langfristig erfolgreich und führte zu der Änderung des früheren migrationspolitischen Regimes der „Rotation“ zu dem der „Integration“. Diese Änderung der Kontroll- und Disziplinierungsmechanismen ist als Zugeständnis an die Beharrlichkeit der migrantischen Netzwerke zu werten. Sie führte sowohl zu einer Erweiterung der Herrschaftsstrukturen als auch zu einem differenzierten Widerstand.

Seit Anfang der 1980er Jahre entstanden, neben den bestehenden gut funktionierenden MigrantInnenvereinen, diverse Beratungs- und Betreuungsstellen. Allen diesen Einrichtungen dient das Wort „Integration“ als Orientierungsidee. Sie schafften es, finanziert vom Staat, in der ersten Periode ihres Bestehens die MultiplikatorInnen der migrantischen Selbstorganisationen an sich zu binden, sei es in Form der Vorstandsmitgliedschaft oder konkreter Arbeitsverhältnisse. Dadurch kanalisierten sie die politischen Bestrebungen der MigrantInnen in ihrer Arbeit und innerhalb dessen atomisierten sie sie mit nur für einzelne lieferbaren Hilfsmaßnahmen. Die MigrantInnen, die diese Hilfe empfangen haben, waren und sind nicht die Vereine oder eine Form von Gruppe, die auch Politik zu betreiben imstande wäre, sondern nur der/die Einzelne.

Die wirksamste Hilfe, die sie bis heute liefern können, ist die der sogenannten „Intervention“. Es handelt sich dabei um eine Hilfe für vereinzelte Menschen innerhalb des migrantischen Körpers, die vor allem auf persönlichem Engagement der MitarbeiterInnen dieser sozialen Einrichtungen beruht. Durch den Anruf beim Herrn Stadtrat oder Herrn Gewerkschaftsfunktionär funktioniert einiges, aber eben nur für eine winzige Zahl und nur um die anderen zu beruhigen. Auch wenn diese Einrichtungen vorgeben, die rassistischen Gesetze zu bekämpfen und kritische Stellungsnahmen zu Gesetzesentwürfen schreiben, ihre Rolle als verlängerter Arm des Staates, ist es, die MigrantInnen zum Schweigen zu bringen.

Erst mit den tektonischen Veränderungen der 1990er Jahren, den Lichtermeeren, mit einem gewaltigen Aufbruch des moralischen Antirassismus, der in dem Kasperl aus Kärnten ihren Hauptfeind zu erkennen glaubte, und dem daraus folgenden Kahlschlag unter den politisch engagierten Initiativen, formierte sich der Widerstand neu. Nicht mehr „Toleranz“ (ausgehend von der Erkenntnis, dass derjenige, der toleriert, im Unterschied zum Tolerierten, über Entscheidungsbefugnisse verfügt und nur als Heuchler zu sehen ist) wollen die neuen AntirassistInnen, nicht mehr „Identität“ (ausgehend von der Tatsache, dass diese von denjenigen, die herrschen definiert wird und nicht umgekehrt), nicht mehr „Multikulturalismus“ (ausgehend von der Tatsache, dass Kebap und Cevapcici bisher noch in keinem Staat zur politischen Gleichheit geführt haben) und nicht mehr „Nationalstaat“ (ausgehend von der Tatsache, dass dieses Gebilde das Zentrum jedweder Minorisierung und Entmächtigung darstellt).

Diese neuen AktivistInnen suchen den Anschluss zu alten Formen der migrantischen Selbstorganisationen. Sie lehnen jegliche Art von Bevormundung in ihrem politischen Auftritt ab, und sie bekennen sich von vornherein zum politischen Antirassismus. Das Gegenüber, der Feind ist nicht die Kultur, die Identität usw. sondern der Rassismus, der in den nationalstaatlichen Strukturen als deren wesentlicher Bestandteil besteht. Sie wollen das, was die minorisierten politischen Subjekte seit je für sich beansprucht haben: Gleichheit und Freiheit, die Égaliberté.

Diese Art des Antirassismus ist es, dem in der Publikation „Landschaften der Tat. Vermessung, Transformationen und Ambivalenzen des Antirassismus in Europa“ in unterschiedlichen lokalen Kontexten nachgegangen wird.

Ljubomier Bratic

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