Über das gleichnamige Sommerfestival des Vereins „Musik Kultur St. Johann“ schreibt Melle Strele
„Nicht gerade der gelungenste Titel für ein Sommerfestival unseres Vereins Musik Kultur St. Johann“, dachte ich mir, vor allem nachdem ich mit einem Künstler über eine Auftragsarbeit bezüglich der Installierung eines Kulturschutzlehrpfades gesprochen hatte, und dieser meinte, er könne es von seiner künstlerischen Haltung nicht vereinbaren, hier in St. Johann einen pädagogisch-politischen Weg zu konzipieren. Das sei ihm vor seinen Künstlerkollegen (vor allem denen in der Hauptstadt, wie ich annahm) schlichtweg zu peinlich. Solch eine banale Geschichte könne er nicht mitverantworten.
Zwar dachte ich mir, eine Kulturkarawane mit namhaften Künstlern, die gerade zeitgleich durch Österreich tourte, hatte auch keinen ansprechenderen Titel, war aber trotzdem durch dieses Erlebnis und durch heftige Diskussionen innerhalb der Planungsgruppe (mit heißen Diskussionen um die Idee, einen Kultur-Freistaat zu gründen – und das bei meinem tiefen Mißtrauen Staaten gegenüber) einigermaßen verunsichert. So wollte selbst ich als ursprünglich starke Befürworterin dieses Projekttitels das Ganze am liebsten abblasen. Doch der Zug war bereits abgefahren und zwar in Richtung begeisterter Zustimmung von Seiten der Tiroler KulturInitiative (TKI), sonstiger Kunstfördergremien und FreundInnen des Vereins.
Der Festivaltitel rief außerordentlich großes mediales Echo hervor, was sowohl auf den leicht verständlichen Begriff aber sicherlich auch auf den Umstand zurückzuführen ist, daß mit diesem Inhalt der Nerv der Zeit getroffen wurde. Tatsächlich kann von einer ausreichenden Beleuchtung des Inhaltes nach einem Fesivalprogramm von zwei Wochen nicht gesprochen werden, und innerhalb des Vereins kam schon der Gedanke auf, nächstes Jahr ein Kulturschutzgebiet II auszurufen.
Wie sollte auch das Wunder geschehen, daß nächstes Jahr die Situationsbeschreibung unsere Festivaltextes nicht mehr aktuell wäre, wo doch vielmehr mit einer Verschärfung der Situation für kritische Kulturvereine zu rechnen ist. In Anlehnung an den Sager des einfachen Parteimitgliedes bezüglich seiner Auffassung vom guten Betragen Kulturschaffender lautete der Untertitel für unser Festival folgerichtig : „Denn sie bissen die Hand, die sie fütterte.“ Österreich zählt zu den reichsten Ländern der Welt. Im Zuge der Wiederauferstehung wirtschaftsliberaler Ideologien und deren radikaler realpolitischer Umsetzung wird das Vorhaben eines budgetären Nulldefizits zum wichtigsten gesellschaftlichen Ziel erhoben. Soziale, kulturelle, bildungs-, medien-, und gesundheitspolitische, arbeits-, und bürgerrechtliche Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte werden geopfert und bedingungslos diesem Ziel untergeordnet.
Das Kunstministerium der Kulturnation Österreich wurde abgeschafft, Kunstangelegenheiten zur Chefsache degradiert. Medienwirksame Prestigeobjekte, liebliche Seebühnen, konturlose Festivals, denen die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, inhaltlichen und künstlerischen Erfordernissen fremd sind, verschlingen tendenziell immer größere Summen der weniger werdenden öffentlichen Mittel. Kunst verkommt zusehends zu volkstümlichem Gaudium ohne gesellschaftlichen, progressiven und realpolitischen Anspruch.
In dieser Situation, in welcher die Luft zum Atmen für Künstlerinnen, Kulturschaffende und Publikum dünner wird, schafft Musik Kultur St. Johann für 15 Tage „ein Kulturschutzgebiet“. Als Aufschrei des Protests gegen sich verstärkende kunstfeindliche Tendenzen, aber auch als Motivation an liberale Geister in Politik und Gesellschaft, kritische und dadurch oftmals schmerzhafte künstlerische Meinungsäußerungen weiterhin zu fördern.
Seit 2-3 Jahren stellen wir als Verein mit drei großen Bereichen – Kino Monoplexx, Kindertheateraufführungen und Konzertveranstaltungen – verstärkte Akzeptanz in der Bevölkerung fest. Diese Verbesserung in der Resonanz beim Publikum, den Sponsoren und der Presse führen wir hauptsächlich auf die sehr konsequente und qualitätsvolle Arbeit der ehrenamtlichen Mitglieder als auch des engagierten Geschäftsführer/Obmannes Hans Oberlechner zurück. Dem gegenüber steht die kaum spürbare Verbesserung der Akzeptanz in der Gemeindepolitik und beim Tourismusverband. Wie es den Eindruck macht, halten diese Institutionen lieber am „netten, harmlosen, entschärften, oberflächlichen, hirnlosen St. Johann Tourismusimage“ fest, als sich den ungewöhnlichen, schärferen, aufdeckenden Strömungen, die durch Musik Kultur St. Johann hereingetragen werden, zu öffnen. Die Gemeinde gab uns zum Beispiel im Zuge des Wegfalles der Getränkesteuer 2000 keine schriftliche Zusage für ihre traditionellerweise geringe Subvention von 100.000 ATS bis Juni. „Wie soll man unter diesen Bedingungen noch seriös arbeiten?“, fragten wir uns.
Die Gemeinde fragte sich allerdings bloß, wie wir so unbotmäßig und undankbar sein könnten, angesichts ihrer Zwangslage alles Geld für Schneekanonen und sonstigen Tourismusschnickschnack hinauswerfen zu müssen, und wo doch alle anderen Vereine auch gekürzt werden müßten. Ein klares Ja zur bewährten Kulturarbeit im eigenen Ort, so wie es von anderen Gemeinden (wenigen, aber doch) gegenüber ihren Initiativen in der selben Situation zu hören war, kam den St. Johanner Gemeindefunktionären völlig utopisch vor.
Jedes Jahr wiederholt sich der beinharte Kampf um Subventionen – allzuviele Kulturinitiativen wissen nur zu gut, wie viel Energie, die an anderer Stelle wesentlich nützlicher eingesetzt werden könnte, dabei verbraucht wird. So fordern wir zusammen mit der TKI das 3-Jahres-Modell, um über einen längeren Zeitraum geplant effektivere Arbeit leisten zu können.
Die Kürzungen von Seiten des BKA II/2 1999 – 2000 betrugen im Falle von Musik Kultur St. Johann 33%! Das Land Tirol blieb bei seinen versprochenen Leistungen und stellt sich für uns mit Abstand als der seriöseste Partner dar! Kulturarbeit ist aufs engste verbunden und ist Ausdruck für den Handlungsspielraum der in einem Staat (wenn wir ihn nun schon mal haben), den die BürgerInnen genießen oder unter dem sie zu leiden haben, und so wird Kulturarbeit stets auch politische Implikationen aufweisen. Im Sinne des Komponisten Lachenmann, dessen schwieriges Werk im Zuge des Festivals von Barbara Romen und Gunter Schneider in perfekter und äußerst beeindruckender Weise zur Aufführung kam, meine ich in einer freien Wiedergabe seines Zitates: „Freiheit ist keine Substanz zum Aufbewahren, sondern muß permanent gewonnen werden.“
Melle Strele