Dude, bleib doch in Berlin…

Manchmal läuft’s eher glatt und manchmal läuft’s eher holprig, manchmal stolpert man und manchmal rappelt man sich eh wieder auf – kann aber nicht immer so sein und muss auch gar nicht immer so sein. Die Kitzmantelfabrik in Vorchdorf war den Versuch sicher wert.

Ein bisschen Geschichte

Die Kitzmantelfabrik ist eine alte Lederfabrik in Vorchdorf. Im Jahr 1995 hört die Familie Kitzmantel auf, Schuhe herzustellen und im Jahr 2001 kauft die Gemeinde das Gebäude. Eine kleine Utopie regionaler Kulturarbeit entsteht. Denn am Anfang hört sich alles wunderbar an und sieht super aus. Es gibt das feste Bestreben, das Gebäude der kulturellen Nutzung zuzuführen, es gibt einen Architektenwettbewerb, um Flair und Nutzen des Gebäudes zu vereinen, es gibt den neu ins Leben gerufenen Verein Kitzmantelfabrik, dem das Management und die inhaltliche Gestaltung anvertraut wird und dann gibt es noch Geld. Im Entstehungsprozess und nach der Eröffnung werden noch Floskeln wie „optisches, technisches und inhaltliches Vorzeigeprojekt“ oder „Meilenstein im Bereich der nachhaltigen Regionalentwicklung“ ausgepackt. Und ein Jahr nach der Eröffnung wird der Verein Kitzmantelfabrik eingepackt.

Die Scherben des Vereins Kitzmantelfabrik

Entstanden ist der Verein Kitzmantelfabrik aus einem Arbeitskreis der Gemeinde, der sich mit der Nutzung des Gebäudes beschäftigte und sich aus Vertretern von Kulturvereinen, Wirten, der MarktmusikantInnen und der Musikschule zusammensetzte. Recht kurz ging das recht gut. Man gab sich größte Mühe, der Fabrik eine Seele zu verpassen, etablierte sich bei Bevölkerung und Künstlern, erreichte in seinem kurzen Bestehen eine hohe Strahlkraft und viel positive Resonanz. Das liest sich jetzt ganz fein, war aber trotzdem nicht genug. Nach einem Jahr Tätigkeit wurde dem Verein im Jahr 2010 von der Gemeinde die Verwaltung entzogen. Die inhaltliche Gestaltung oblag theoretisch zwar weiterhin dem Verein Kitzmantelfabrik, aber auch das war mehr eine Farce und weniger das Gelbe vom Ei. Und Anfang 2013 folgte schließlich die Auflösung und heute fuhrwerkt die Gemeinde mit dem Fabrikgebäude und veranstaltet dort zwar noch immer kulturelle Veranstaltungen, aber vor allem auch Hochzeiten, politische Feierlichkeiten oder Autopräsentationen. Zwar können Vereine wie der Kulturverein Dezibel oder Guten Morgen Vorchdorf weiterhin Veranstaltungen in der Kitzmantelfabrik abhalten, dies jedoch als normale Mieter und mit inhaltlicher Gestaltung hat das leider nichts mehr zu tun.
So ist das in Vorchdorf und Vorchdorf ist nicht Allewelt und ohne großes Hinterfragen ist die Geschichte hier auch aus. Aber lassen wir es einfach mal nicht gut sein.

Von nichts kommt nichts

Richard Baldinger, Vorstand des Kulturvereins Dezibel und ehemals Mitbegründer des Vereins Kitzmantelfabrik, beschreibt die Hauptproblematik so, dass zwar für Kauf und Renovierung des Gebäudes viel Geld (immerhin 3 Mio. Euro – aufgeteilt auf Gemeinde Vorchdorf, Land Oberösterreich und Landesmusikschulwerk) aufgebracht wurde, dann aber für die laufenden Kosten, die so ein Projekt eben mit sich bringt, schlagartig das Verständnis fehlte. Von der Gemeinde wurde erwartet, dass das Projekt einerseits großteils ehrenamtlich organisiert wird und andererseits nulldefizitär wirtschaftet. Entschuldigung, was? Ehrenamt hat seine Grenzen! Kultur ist nicht nulldefizitär! Dazu happert’s zu viel in den Hirnen!

Der Blick durch das Ofenrohr über den Tellerrand ins Gebirge
oder Größenwahn im Kleinformat

Wie kommt’s zu dieser Situation in Vorchdorf? Das jetzt nur auf den akuten Zahlungsunwillen einer Gemeinde zu schieben, wäre sicher zu wenig weit gedacht. Viel mehr greift da natürlich so einiges ineinander. Werfen wir einen Blick auf die einzelnen Puzzleteile und sind gespannt, welche Optik wir dann schieben.
Auf der Homepage der Kitzmantelfabrik werden unter der Rubrik „Intelligentes Raumkonzept“ schon einige Fragen beantwortet. Von einem Hauptsaal für bis zu 600 Personen ist die Rede, von einem neu errichteten Glasfoyer für bis zu 100 Personen, von einem Gastro-Bereich, von einer vollbespielbaren Hofbühne, von 150 Veranstaltungen pro Jahr. Da schau her, nicht schlecht – für Linz oder so.
Aber Moment mal, in Vorchdorf leben grad mal 8000 Hanseln. Um von diesen 8000 Leuten 150 mal im Jahr 600 in die Kitzmantelfabrik zu locken, muss man dort schon irgendwas verschenken. Und das lässt sich mit einem Nulldefizit wahrscheinlich auch nicht vereinen. Und ja, klar hinkt das Argument, weil nicht nur Vorchdorfer in die Kitzmantelfabrik kommen dürfen. Deswegen auf zum nächsten Puzzleteil.
Im theoretischen Einzugsgebiet von Vorchdorf liegen Gemeinden wie Lambach, Gmunden, Ohlsdorf oder Vöcklabruck. Die haben alle eigene Kulturvereine mit eigenen Veranstaltungszentren. Dieser Fakt gepaart mit österreichischem Lokalpatriotismus, da bleibt nicht viel übrig, aber leider identifiziert es sich mit der Heimatgemeinde halt am leichtesten. Und was will man in einem derart großen Rahmen noch anbieten? Jeden Sonntag Wunschkonzert der Marktmusik? Irgendwann kommen die Vorchdorfer auch da nicht mehr hin.
Die Sinnhaftigkeit regionaler Kulturprojekte steht außer Frage. Doch um den Regionen auch gerecht werden zu können, muss in den richtigen Dimensionen gedacht und die richtigen Verhältnisse müssen hergestellt werden.

Aufpassen, Leute!

Auf fm4.orf.at gibt es unter einem kurzen Artikel aus dem Jahr 2009 über die Neueröffnung Kitzmantelfabrik in den Kommentaren einen sehr schönen, sehr bezeichnenden Wortwechsel, der es durch seine Aussagekraft einfach verdient hat, hier wiedergegeben zu werden.
„und wer bitte verirrt sich nach vorchdorf?“
„?? dude, bleib doch in berlin… die zugkraft, spezialität und charme kleiner, ländlicher locations ist auf gar keinen fall zu unterschätzen. in vorchdorf geht garantiert einiges.“
Sehr recht haben die beiden und ein bisschen ist Vorchdorf halt doch Allewelt. Im Endeffekt fußte das Scheiterlein der Kitzmantelfabrik einfach am falschen Maßstab. Das hätte nicht sein müssen. Was bleibt, ist ein warnendes Lehrbeispiel für die regionale Kulturarbeit und nicht nur deswegen war sicher nicht alles umsonst. Wird schon.

Dieser Artikel entstand nach einem Gespräch mit Richard Baldinger vom Kulturverein Dezibel und Rosa Mair vom Kulturverein Guten Morgen Vorchdorf auf der Gallerie der Kitzmantelfabrik vor der Kulisse des ÖVP-Sommerfestes. Der Pühringer Peppi ist übrigens wirklich klein.

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Autor:

Gabriel Penninger ist Dichter und Krankenpfleger, er macht beides schon und noch länger und überhaupt gern. Seit der Verwendung von Bio-Dünger wachsen die Chilipflanzen wie irr. Hot..

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