„Pioniere der Gentrifizierung“

… oder Keimzellen des Widerstands?

Zwischennutzungen von Leerstand werden kontrovers diskutiert. Oft wird gerade bei Kunst- und Kulturprojekten kritisiert, sie würden die neoliberale Umstrukturierung der Stadt letztlich fördern und durch das Eingehen zeitlich begrenzter Nutzungsverhältnisse zur Prekarisierung des Lebens beitragen. Somit wird Zwischennutzungsprojekten oft jeder emanzipatorische Charakter abgesprochen. Wenn Projekte es aber schaffen, sich auf der Ebene der Lebensrealitäten ihrer Nachbarschaft mit dieser zu vernetzen und eine gemeinsame Praxis zu etablieren, können sie durchaus potenziellen Widerstand gegen die Zwänge der Stadtentwicklung von oben fördern.

 

Das (un)geliebte Modell der „Kreativen Stadt“

Das Konzept der „Kreativen Stadt“ ist ein gehyptes Erfolgsversprechen, das dem Unternehmen Stadt zu Prosperität und internationaler Wettbewerbsfähigkeit verhelfen soll. Zur Verbesserung harter und weicher Standortfaktoren, die die private Kapitalakkumulation stimulieren sollen, zählt unter anderem die Bindung der quantitativen, qualitativen und kostengünstigen Arbeitskraft der Wissensarbeiter_innen und der kaufkräftigen höheren Einkommensschichten an die Stadt. Deren Vorstellung vom „guten Leben“ findet sich in einer Stadtplanung wieder, die durch Gentrifizierung, Privatisierung und Reorganisation öffentlichen Raumes gleichzeitig die Präsenz niedrigerer Einkommensschichten und unerwünschter sozialer Konflikte in die Peripherie verdrängt. In diesem Modell trägt das Kulturschaffen existentiell zu der gewünschten Bindung bei.
Kunst- und Kulturschaffende werden als Idealtypus des „Ich-Unternehmers“ imaginiert, der selbstorganisiert, zu 100 Prozent auf eigene Rechnung, am liebsten ohne staatliche Absicherung und trotzdem hochmotiviert Kulturgüter entwickelt und unter die Menschen bringt. Begleitet wird dessen Treiben von weiteren Arten von prekärer Arbeit und Aktivität, die insgesamt ein florierendes Bild ergeben. Im Wunschdenken von Städteplaner_innen und Politiker_innen muss dieses Bild nur in der Stadt gesät werden, um ein in ihrem Sinne bis dato wenig interessantes oder wenig genutztes Viertel aufzuwerten. Nach der „kreativen Belebung“ ziehen dann solidere Gewerbe und solventere Mieter_innen ein, Weiterentwicklung in der Wertsteigerung des Raumes ist nach oben offen, so die These.
Im Zusammenhang mit Leerstand wird die Konstruktion der Kreativen Stadt und der selbstausbeuterischen Kreativschaffenden oft als Argumentation gegen Zwischennutzungen verwendet. Undifferenziert wird den Kreativen vorgeworfen, zwangsläufig und unvermeidbar Gentrifizierungspionier_innen zu sein oder zu werden. Dieser verkürzte Schluss verhindert eine präzise Auseinandersetzung mit dem durchaus ambivalenten Potenzial von Zwischennutzungen und dadurch das Erkennen und Stärken von möglichen widerständigen Strategien.

Unter den gegebenen Umständen

Eine Zwischenutzung ist nicht auf Permanenz und Verbindlichkeit angelegt und damit grundsätzlich prekarisierend für die Nutzer_innen. Eine prinzipielle Forderung im Zusammenhang mit Leerstand sollte die langfristige Freigabe dieses Raumes sein, zum Beispiel in Form einer Vergemeinschaftung. Leerstand entblößt ein marktwirtschaftliches Scheitern in der städtischen Produktion und im Handel oder die kapitalistische Ausbeutungsstrategie der Spekulation.
An leerstehenden Gebäuden lassen sich Wertschöpfungs- und Herrschaftskritiken verorten und konkret argumentieren. Die Forderung nach Nutzung eines bestimmten Raumes bringt Menschen zusammen. In der Auseinandersetzung darum wird aus den einzelnen ein gemeinsames Interesse, und die als abstrakt empfundenen Verhältnisse können an konkreten Problemen behandelt werden. An einem begehrten Ort realisiert, bindet und konzentriert sich der (Mit-)Gestaltungswille der Menschen an ihrer Stadt. Der Prozess beinhaltet damit an sich schon emanzipatorische Anteile. Darüber hinaus aber sind ein Bewusstsein der Handelnden und eine reflektierte Positionierung im Kampf um den städtischen Raum als Lebensgrundlage maßgeblich.
Um entgegen einer Verdrängung zu wirken, sollte sich ein Zwischennutzungsprojekt in bestehende lokale gemeinschaftliche Strukturen einbinden und das Hereintragen von „höheren“ und teureren Standards in’s Viertel unbedingt vermeiden. Sucht ein Projekt hingegen eigentlich den wirtschaftlichen Anschluss an irgendeinen Markt, zum Beispiel den Kunstmarkt, und nutzt die günstige Miete als Produktionsvorteil, trägt es sicherlich zur Gentrifizierung bei. Jedes Projekt bringt wahrscheinlich eine Belebung und eine Veränderung mit sich.
Es wird dann Widerständigkeit gegen die neoliberalen Interessen der Stadt und gegen deren Prekarisierungsstrategien geschaffen, wenn sich in der Vernetzung mit der direkten und erweiterten Nachbarschaft auch eine solidarische Alltagspraxis entwickelt. Greift ein Projekt historische, politische und soziale Gegebenheiten vor Ort auf und kann damit an Bedürfnisse einer Nachbarschaft direkt anknüpfen, kann es auch in sehr kurzer Zeit zu einem wichtigen Anlaufpunkt werden.
Es geht darum, Solidarität in den alltäglichen Belangen des urbanen Lebens zu entwickeln. Zum Beispiel in Bezug darauf, das Leben mit wenig Geld zu gestalten. Hier ließen sich wichtige Bündnisse bilden, durch die gemeinsam für das Wohlsein aller besser gesorgt ist, als das jede_r für sich tut.

 

Anna Hirschmann und Raphael Kiczka sind aktiv bei Platzda!? und kümmern sich bei der IG Kultur Wien um die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Leerstand, damit sich eine „Stadtgestaltung von unten“ auch aktiv Raum im Blätterwald nimmt.

platzda.net

Der Artikel wurde in der Zeitschrift Kulturrisse 03/2012 erstveröffentlicht. In voller Länge nachzulesen auf:

kulturrisse.at

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