DIN 8325-2:1989-12

Falls Sie im Sommer mit ihren Lieben auf einem Campingplatz verweilten, dann stehen die Chancen gut, dass Sie ihren inneren Rhythmus, ihre innere Uhr wieder „richtig“ gestellt haben – und zwar schon nach etwa fünf Tagen. Soviel Abstand von fremdbestimmten Einflüssen braucht es, dass sich der Körper wieder an Sonnenstand, Länge der Tage und den Nachtstunden orientiert.
Niemand fügt an, dass dieser schöne Effekt beim Teufel ist, sobald die „Sommerzeit“ mit der „Winterzeit“ wechselt. Zur Erinnerung: Der Unfug „Zeitumstellung“, der keinen Nutzen hat und die Leute tagelang aus der Bahn wirft, hat keinesfalls Tradition. Er ist eine kollektive Erfahrung, die mehr von Umbrüchen gekennzeichnet ist. Die Zeitumstellung nennt sich im Winter klassisch „Normalzeit“. Derselbe Tatbestand im Sommer nennt sich Daylight Saving Time – und schon lässt die Effizienz grüßen. Trotz Lobbyarbeit ließen sich erste Bemühungen in Sachen Zeitumstellung zu Beginn des 20. Jahrhunderts zuerst nicht realisieren; dann im 1. Weltkrieg war es soweit. Es kamen weitere Umstellungen aus „energiepolitischen“ Gründen in Zeiten der Ölkrise hinzu. In den 90er Jahren kam es wenig überraschend zur EU-weiten verbindlichen Anpassung an die Zeitumstellung.
Chronobiologisch hat sich die Zeitumstellung als echte Schnapsidee entpuppt, da Menschen mit Schlafstörungen und organischen Erkrankungen durch die zeitliche Irritation Probleme bekommen. Und was die energiepolitischen Interessen betrifft, hat das Kalkül zum Einsparen nicht funktioniert. Es ist vielmehr eine Farce: Regionen und Gebiete mit Zeitumstellung brauchen signifikant mehr Strom. Auch wenn die Moral meist an der eigenen Nasenspitze endet, wären dies eigentlich gute Gründe, ein weiteres Mal eine Petition gegen die Zeitumstellung ins Leben zu rufen. Denn, das Wort gegen eine energiepolitisch fragwürdige Regelung zu erheben, die zudem chronobiologisch ein Witz ist, macht durchaus Sinn. Wer profitiert davon, fragt man sich?
Und welchen Benefit wollte man sich von einer (!) „gesparten Sonnenstunde“ erhoffen, wenn im Finanzkapitalismus Transaktionen global in Bruchteilen von Sekunden gesteuert werden. Die Zeitumstellung gibt sich in Relation dazu als alter Opa, der am Stock geht.
Angesichts der weltweiten Krisen scheint die Auseinandersetzung mit der Zeitumstellung sicher vielen bloß als Problemchen. Welcher Hahn kräht danach? Die Zeit vergeht, sie wird umgestellt und danach nimmt alles ein wenig unrhythmischer seinen Lauf.
Wer unter Daylight Saving Time-Stress leidet, kann ihn mit Fred Friths „Morning Song“ aus dem Film „Step across the Border“ lindern. Das unter DIN 8325-2:1989-12 geregelte Weckerläuten wird durch den Gesang von Iva Bittová zur Melodie, die jedoch sehr melancholisch daherkommt. Aber schließlich gilt: Wer von Lohnarbeit abhängig ist, ist es meist auch vom Weckerläuten. Und dann ist die Melancholie durchaus berechtigt.
Jeder muss einmal aufwachen. Und dann muss man weiterschauen.

Auch der Autor hört auf den Namen Fred. Aufwecken lässt er sich von Wecker oder Mobiltelefon aber nicht.

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