Man kann.

Man muss nicht, man kann. Auch onhe Kulturhauptstadt. Von Norbert Traweeg

 

Am Himmelfahrtstag des August ging Luk Perceval im Rahmen der „Theaterlust 2” in den Untergrund, in das Stollensystem unserer Stadt, aber auch seiner Menschen. ”Die Verborgene Stadt” heißt diese filmische Dokumentation des belgischen Theatermannes, die in ergreifender und hochpoetischer Art Räume der Vergangenheit aufmacht, die man betreten kann. Es ist eine in hoher künstlerischer Stimmigkeit formulierte und nie den Zeigefinger erhebende Annäherung an die Nachtseiten von Linz, nicht „nur” der Vergangenheit wegen, einfach für ein neues Zugegensein hier in der Stadt, in der wir leben, arbeiten oder in die wir immer wieder kommen. Die Verborgenheit manifestiert sich in einer äußeren Geologie – wenn auch unter Tage – durch ein Untergrundsystem, das die Länge von 14 Kilometer hat und eine Größe von 7 Fußballfeldern umfasst und von zwangsarbeitenden KZ-Insassen errichtet wurde. Blicke, die der Film auch freisetzt, führen in die innere Beschaffenheit von Menschen zwischen Verdrängen, Vergessen, Auseinandersetzung, Nichtwissen, Ohnmacht, Schweigen, Wegsperren, Bewältigung, Schuld…… Linz ist – um ein Wiener Wort von Karl Kraus abzuändern – nicht nur mit Kultur, sondern auch ober und unter Tage mit Asphalt gepflastert. Asphalt, Beton, der ein Gedächtnis hat, über das kein Gras wachsen kann, auch wenn noch soviel darüber scheint. Perceval hat einen möglichen Raum geschaffen, den man betreten kann. Man muss nicht, man kann.

Was mir auffällt: Es gibt bei vielen Menschen einen relativ hohen Sättigungsgrad an Kulturhauptstadt, der aber zumeist nicht vom zu extremen Kulturkonsum, sondern von einer Dynamik, die vom rundherum herzurühren scheint. – Rundherum meint zum einen „Linz09”, zum andern aber auch, dass man nur um etwas kreisen, aber nicht ins Zentrum vorstoßen will. Distanz ist gut und nötig zum Beobachten, sie bewahrt die kritische Souveränität, aber verhindert mitunter ein tieferes Teilhaben und Einlassen. Die Neben – und Hauptgeräusche der Organisation und des Kuratels von Linz09 haben wir schon oft verhandelt und werden es auch weiter tun. Aber eines kann man auch wahrnehmen, dass die Grundenergie, die in der Stadt momentan vibriert, eine sehr anregende geworden ist, die in dieser Art und Intensität für mich noch nie wahrnehmbar war: Nicht nur ob der ungeheuerlichen Dichte an Kultur, sondern ganz einfach dann, wenn ich mich auf den Hauptplatz setze und gewisse verborgene Winde des Aufbruchs erschnuppere. Man muss nicht, man kann und Linz ist auch nächstes Jahr noch Linz – ganz und gar ohne Kulturhauptstadt. Die Stadt sind wir und nicht der Vatikan.

Norbert Traweeg ist spielender, lehrender und schreibender Musiker.

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