Berlin, Berlin!

Warum diese Stadt Andi Liebl 1 Monat lang an das Maximum seines Schlafdefizits brachte.

 

Den vergangenen März verbrachte Andreas Liebl als Austauschmitarbeiter in einem Kunstverein in Berlin. Während die Tage dem ACUD gewidmet waren, gehörten die Nächte der Stadt. (in kursiv: Fragmente aus dem Reisetagebuch)

Ein Austausch

14 Tage weg. Weg aus dem bekannten Umfeld rein in eine thematisch verwandte, aber ansonsten gänzlich unbekannte Initiative. Frischluft schnuppern, internationale Erfahrung sammeln. So in etwa waren die ersten Vorstellungen, die das Programm BECC (Bridge between Cultural Centres), angeboten und ausgeschrieben vom ENCC (European Network of Cultural Centres), bei mir wachrief. Spannend, die Gelegenheit am Schopf packen, raus aus der Provinz, mitmachen! Tatsächlich handelte es sich um die Idee, MitarbeiterInnen verschiedener Kulturhäuser quer durch Europa miteinander in Verbindung zu bringen und für kurze Zeit einen Tausch des Arbeitsplatzes vorzunehmen. Das Projekt hatte seinen Start im Oktober 2008 in Brüssel, wo sich an die dreißig teilnehmende Organisationen einfanden, um einander kennen zu lernen und vorbereitende Fragen zu klären. Für März 2009 wurde das Abschlusstreffen als »Evaluation Seminar« in Berlin angesetzt.

Das ACUD

Der Kunstverein ACUD in Berlin Mitte wurde die Homebase meines Austauschs. Genauer: das Büro von Felix Goldmann, Theatermacher des Hauses und Gründungsmitglied des Vereins. Das ACUD ist eine Initiative mit Wurzeln bis zurück in die Wendezeit, hervorgegangen und getragen von der Lust, einen der vielen Leerstände mit kulturellem Leben zu füllen. Was als Hausbesetzung begann, ist heute quasi institutionalisiert, aber trotzdem durch und durch prekär. Denn Kulturstadt Berlin hin oder her, auch hier gibt es das Gefälle abwärts von der Repräsentationskultur hin zur Zeitkultur.

Heute war mein quasi erster ACUD Tag. Die Feuerpolizei war im Haus, sie waren nicht unbedingt begeistert. Für mich war das ein guter Einstieg, denn vorangegangen ist eine große Zusammenräumaktion. Nun kenn ich das Haus von oben bis unten. Und ein Platzerl im Büro hab ich mittlerweile auch bekommen.

Kurzum, alles sehr vertraut hier. Das ACUD beherbergt zwei kleine Kinos, ein Theater, ein Sessioncafe, einen elektronischen Klub (Calabash), künstlerische Büros, einen Mädchenklub und eine Kantina. Geöffnet ist täglich, das Theater und der Calabash Klub spielen von Donnerstag bis Samstag. Das sorgt für kontinuierliches Kommen und Gehen in diesem verwinkelten Haus an der Invalidenstraße.

Die Nachbarn

Unweit der Veteranenstraße findet sich die Ackerstraße sowie ein Stückchen weiter die Oranienburgerstraße. Dort haben der »Schokoladen« und das »Tacheles« ihre Heimstätten. Der Schokoladen ist ein Wohn- und Kulturprojekt aus den 90er Jahren. Ebenfalls ausgehend von einer jungen Initiative mit dem Ziel, Platz für Kunst und Kultur zu schaffen, gibt es heute Ateliers, Räume für die Berliner Stadtzeitung Steinschlag, ein Orph-Theater, einen Konzertraum mit Bar und den »Klub der polnischen Versager«, ein kleiner Versammlungsraum für vorwiegend Literarisches. Eindeutiger in Richtung Kunst ist das Tacheles orientiert, allerdings sind die Dimensionen dieses Hauses schlicht enorm, das Ding ist riesig! Unzählige Ateliers, Riesenausstellungshallen und Konzerträume, Kino, Bars und eine große Freifläche mit Werkstätten vor dem Haus sind hier untergebracht und werden auch mit internationaler Resonanz betrieben. Damit ist das ACUD in bester Gesellschaft und zumindest theoretisch nicht alleine mit den Problemen, die es gibt. Denn seltsamerweise fehlt eine strategische Vernetzung dieser Häuser, ein gemeinsames Vorgehen gegenüber Politik, Verwaltung und Privatunternehmungen.

Die Hülle

Eine der Gemeinsamkeiten der 3 erwähnten Häuser liegt unter anderem in den Besitzverhältnissen von Grund und Gebäude. Ein Problem, dem Mitte März in einer stadtweiten Demonstration Ausdruck verliehen wurde, im Rahmen einer Freiraumdemo. Denn das fragwürdige Vorgehen von Stiftungen und Immobilienbüros trifft nicht nur Häuser der Kunst und Kulturszene, sondern auch alternative Wohnprojekte sowie reihenweise Private. Das Motiv im Hintergrund ist klar: profitable Verwertung von Grund und Boden.

Völlig beeindruckt hat der Besuch des Tacheles, nicht weit vom ACUD weg. Das ist ja ein Haus! Am Hinterplatz findet sich sowas wie die rödawerkstatt, nur in groß. So der Kunst beim Entstehen zuschauen, wird quasi ausstellungsmäßig präsentiert. Das ganze Rundherum schaut stellenweise und auf den ersten Blick schon ordentlich abgeschlissen aus. Aber beim genaueren Hinsehen entpuppen sich hunderte Details, die dem Haus seine faszinierende Struktur geben.

Initiativen, die vor Jahren begonnen haben, Leerstände zu nutzen und zu diesem Zweck auch Adaptionsarbeit leisteten, sind heute mit neuen Eigentümerverhältnissen konfrontiert, die ihrerseits in der Wahl der Waffen nicht gerade zimperlich umgehen. Die Palette reicht von verwaltungstechnischen Schikanen über Spionage und üble Nachrede bis zu handfesten Verfahren wie Räumungsklagen und Zwangsversteigerungen. Während das ACUD das Gebäude über eine Stiftung zugunsten des kulturellen Zweck erwerben konnte (und dafür noch lange zahlen wird) steht dem Schokoladen wie dem Tacheles noch eine krasse Zeit bevor. Erst vor wenigen Wochen noch geisterten Meldungen über die angedrohte Schließung dieser Häuser durch die Medien. Das Tacheles verweigert seit Januar die Herausgabe der Schlüssel an den Investor Fundus-Gruppe und versucht über eine Rettungsaktion zu 3 Millionen Euro zu kommen, um das Gebäude zu übernehmen, der Schokoladen wehrt sich standhaft gegen die Zerschlagung seiner Gewerbe und Wohnräume durch die Friedrich Trier GmbH.

Die Stadt

Das erste Mal in Berlin, entsprechende Aufregung meinerseits. Dann die banalste Großstadterfahrung der anderen Art: die sprechen ja alle meine Sprache! Trotz des vielen Neuen wirkt die Stadt vertraut, die Leute sind herzlich, offen und interessiert. Zur Orientierung dienen ein Ausschnitt aus dem Stadtplan in der Hosentasche, die weiterreichenden Pläne der Wartehäuschen, der riesige Fernsehturm, die reichhaltige, aber wie bei uns verkommerzialisierte Plakatkultur und zwei Magazine, die das bunte Vielerlei der Stadt Woche für Woche zusammentragen.

Schön langsam gewöhne ich mich an die Größe der Stadt. Ich habs auch aufgegeben, die Umgebung nur per Fuß zu erkunden – das war wirklich eine blöde Idee. Egal, seit vorgestern hab ich ein Fahrrad, ein Schnäppchen vom Flohmarkt. Berlin per Fahrrad zu erleben ist optimal: kaum Berge, viele Radwege bzw. breite Gehsteige.

Die Leute, die ich traf, geizten nicht mit Erzählungen und mir fiel auf, dass da ein großes Bewußtsein ist für die Geschichte der Stadt. Eine Geschichte wie aus einem Science Fiction Roman, die Geschichte von Ost und West, die bis heute Stoff für stundenlange Gespräche liefert und vor Absurditäten, die Leute schmerzlich erfahren mussten, strotzt. Es ist ein murmeliges Gefühl das in mir aufsteigt, als ich den Verlauf der Mauer ein Stück weit abgehe. Ich bin erstaunt über die Leichtigkeit und den Witz, den Leute in ihre Erzählungen über die Erfahrungen in der einst getrennten Stadt legen.

Gestern führte mich meine Tür-Aktion auf einen Schrottplatz in Mitte. Da läufts kulturell ein wenig anders ab als auf unserem Schrottplatz, das ganze Zeugs landet total stöberunfreundlich in Riesencontainern, ein paar Teile für eine Türkonstruktion zu finden schlicht unmöglich. Der Tipp mit dem Flohmarkt in Treptow-Köpenick löste dann mein Problem, da war alles zu finden.

Nach und nach entsteht auch immer mehr der Eindruck von mehreren Städten, die Stadt hat viele Gesichter und kann nach der nächsten Ecke gänzlich anders aussehen. Was sich durchzieht, sind die vielen kleinen Läden, wo sich Leute durch Nischenprodukte eine Lebensgrundlage verdienen und Räume von Stadtteilinitiativen, die der Gestaltung der Umgebung nicht atenlos zusehen, sondern kräftig mitmischen.

Die Nacht

Die Auslotung des Berliner Nachtlebens war dann so eine Geschichte für sich. Nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was es an Konzertläden gibt, war in der kurzen Zeit zu schaffen. Die Bandbreite der Räume sprüht vor Lebendigkeit. Kollektive, Vereine, private Initiativen, kommerzielle Klubs. Kaum eine Ecke, wo es nicht rein, runter, rauf geht in ein Haus, in einen Raum wo dann zu später Stunde Livemusik spielt. Herausragende Geschichte war da wohl der Besuch der UFA Fabrik in der Nähe des ausgedienten Flughafens Tempelhof. Das vormalige UFA Film-Kopierwerk wurde in den letzten 30 Jahren zum Kulturzentrum umgebaut. Den Aktivitäten der BewohnerInnen und MitarbeiterInnen liegt die Vorstellung zugrunde, verschiedene gesellschaftliche Bereiche sinnvoll miteinander zu verbinden. Stichwort: Kunstbetrieb versus gesellschaftlicher Utopie, wobei hier eindeutig die Utopie gewonnen hat.

Sehr schön!

www.encc.eu/home.php www.acud.de www.schokoladen-mitte.de http://super.tacheles.de/cms www.ufafabrik.de/intro.php www.zitty.de www.tip-berlin.de

Andi Liebl ist im Vorstand der KUPF und Geschäftsführer des Jugend- und Kulturhaus Röda in Steyr.

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