Der Lack ist ab.

Wenige Monate vor den Wahlen 2009 versinkt Oberösterreich in einem Morast von Polizeigewalt, Hitlerverherrlichung und einem Allparteienbeschluss zur Internetzensur. Derweil baut Google im Landesinneren ein neues Datenzentrum. Ein kulturpolitischer Kommentar.

Die vielen Gebete haben nichts gefruchtet. Noch 2008 waren Anstand und Gottesfurcht der oberösterreichischen Landesausstellung »Salzkammergut« als kulturelle Leitmerkmale einer in ihren Traditionen tief verwurzelten Region voran gestellt. Ein Jahr später folgte ein Ansteigen der internationalen Aufmerksamkeit, die man besser zum Teufel wünschen möchte. Die Welt musste sich Anfang Mai davon überzeugen, dass eine Veranstaltung zur mahnenden Erinnerung an den NSTerror in Ebensee zum Ziel neonazistischer Übergriffe geworden war. Jugendliche hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Gewehren attackiert, skandierten rechtsradikale Parolen und versetzten das Land in einen Wochen lang andauernden Schockzustand.

Wenige Tage zuvor war in der Zeitung schon einmal von Gewaltanwendung im öffentlichen Raum zu lesen. Die Linzer Polizei hatte den Aufmarsch zum 1. Mai zum Anlass genommen, sich in einer Prügelorgie auszutoben. Davon betroffen: Neben Beteiligten und Unbeteiligten der Vizerektor der Kunstuniversität in Linz – sowie selbstverständlich das Recht auf Demonstration und Versammlungsfreiheit. Von der freien Meinungsäußerung machte zu Beginn des Jahres der Aktionskünstler Nick Treadwell noch unbeschadet Gebrauch, indem er – die Hand zum faschistischen Gruß erhoben – als »Pink Nickdator « am Linzer Hauptplatz Position bezog. Die Kritik der Satire: Mit der Linz09-Ausstellung »Kulturhauptstadt des Führers« trage das Landesmuseum zur Verherrlichung der Person Adolf Hitlers bei. Zu sehen seien dessen aberwitzige Pläne, nicht aber die historische Verstrickung der Stadt in das verbrecherische Regime. Was ist da bloß passiert mit dem bisherigen Musterland Oberösterreich? Der Lack ist ab. Jahrelang hat sich die Landesregierung, allen voran aber ÖVPLandeshauptmann Josef Pühringer, vorgeblich um ein Image bemüht, das Brauchtum, Wirtschaftskraft und liberale Weltoffenheit zu einem Markenzeichen Oberösterreichs vereint. Die Mixtur aus regionaler Mythenbildung, ökonomischen Kennzahlen und auf Hochglanz poliertem Standort-Marketing kann aber den Blick auf politische und gesellschaftliche Realitäten nicht dauerhaft verstellen. Das müssen in Oberösterreich nun auch jene zur Kenntnis nehmen, die mit der Ausrichtung der europäischen Kulturhauptstadt Linz 2009 zunächst die Zuversicht auf eine kulturpolitische Frischzellenkur verknüpfen wollten. Die Hoffnung war ja auch nicht unbegründet. Der »Kulturkampf«, mit dem die rechtsextreme FPÖ unter Jörg Haiders Führung noch in den 1990er-Jahren besonders aggressiv gegen kritische Kunst und politische Kulturarbeit polterte – insbesondere auch gegen die KUPF –, ist vielen noch in unangenehmer Erinnerung. Die regierende ÖVP, die in Oberösterreich kulturpolitische Erstverantwortung trägt, hat es allerdings verabsäumt, mit Projekten und Schwerpunktsetzungen entschieden und mit allem Nachdruck dagegen zu halten. Stattdessen wendet sich der Landeshauptmann unverändert wie ein frommer Feudalfürst über das ORF Radio an sein Volk, werden Initiativen mit migrantischem Hintergrund als folkloristische Bereicherung mit finanziellen Almosen bedacht. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.

Wen wundert es also, dass Oberösterreich nicht durch ein geistig-avanciertes Klima besticht, sondern schon eher mit der Abwendung von demokratiepolitischen Richtwerten für Schlagzeilen sorgt? In dieses Bild fügt sich auch eine Allparteien-Petition im Landesparlament, die sich für Internetsperren im Falle kinderpornographischer Inhalte ausspricht. Mit dem Ruf nach Zensur ist der Populismus nun auch im Zentrum der Landesgesetzgebung angelangt. Nicht eine differenzierte Auseinandersetzung mit den strafrechtlich relevanten Aspekten der Medienentwicklung wird damit zur Zielvorgabe einer zeitgemäßen Politik, sondern – vor Wahlen wird das besonders deutlich – der niedrige Instinkt, mit dem drakonischen Fingerzeig die Zuneigung des Massenboulevards zu gewinnen. Im Kniefall finden sich eben selbst die Grünen mit ÖVP, SPÖ und FPÖ auf einer Augenhöhe, ungeachtet der Untiefen des Morasts, in dem das politische System zusehends versinkt.

Politische Erneuerung sieht jedenfalls anders aus – und muss Perspektiven verändern und auch erweitern. Wohin sich Oberösterreich entwickelt, steht im Herbst 2009 einmal mehr zur Wahl. Unterdessen errichtet der Suchmaschinen-Gigant Google in Kronstorf ein Datenzentrum. Dabei steht nicht die Orientierung in den Informationsfluten des Internet im Vordergrund der Investitionen. Längst ist der Datenkörper der Menschen im Visier, womit ein erträgliches Geschäft zu machen ist. Aber wen interessiert das schon? Es liegt nicht zuletzt an der Kulturpolitik, ob sie in ihrer Bedeutung für die Gesellschaften der Zukunft noch ernst genommen werden will.

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