Ein neuer Reigen

Reigen Reloaded ist kein erotisches Werk, kein Kopfkissenbuch. Von einem „neuen Kodex der Intimität“ spricht die Literaturkritikerin Daniela Strigl im Vorwort zu dieser Anthologie. Ja, es wird intim, aber nicht unbedingt sinnlich. Die Lektüre macht keine Lust auf Sex, auch sind die Schilderungen von lustvollem Sex spärlich bis nicht vorhanden. Aber das ist auch nicht der Anspruch an dieses „Experiment“, wie es Herausgeberin Barbara Rieger nennt. Ähnlich der Vorlage, Arthur Schnitzlers Reigen aus dem Jahr 1903, zeigen hier elf österreichische Autor*innen, dass Sex mehr ist als ein Kopulationsakt. Dass Sex einen Befreiungsschlag, einen Verdrängungsmechanismus, eine Grenzüberschreitung darstellen kann. Eine Ablenkung, eine Zusammenkunft von Menschen, die außer körperlicher Anziehung keine Gemeinsamkeiten, keinerlei Berührungspunkte haben. 

Besonders Angela Lehner lotet dieses Hin und Her zwischen Anziehung und Ablehnung in dem von ihr verfassten Kapitel Der Idiot und das Baby vollends aus, wenn sie schildert, wie sich ein Ehemann für den Ledermantel und das Essverhalten der Geliebten im Wellnesshotel schämt. Anschließend lässt Martin Peichl Lehners Baby-Figur mit einem Schriftsteller schlafen und ihre größte Angst denken: „Dass er einschläft auf ihr.“ Es ist spannend zu verfolgen, wie Autor*innen die Protagonist*innen der Kolleg*innen übernehmen, sie abwandeln und zu ihren eigenen machen. Jedoch reproduzieren manche Beiträge üble Sexismen: Gustav Ernst schreibt über einen Mann, der eine Frau betrunken macht und ihr das Blaue vom Himmel lügt, um sie abzuschleppen und danach kommentarlos zu verschwinden. Daniel Wissers „nervöser Chef“ traktiert eine abstinente Kellnerin so lange, bis sie doch mit ihm trinkt. Und bei Gertraud Klemm nennt eine Teenagerin den Erwachsenen zwar „Geilspecht“, Nacktfotos schickt sie ihm trotzdem. 

Dass diese Beispiele von Machtmissbrauch unter dem Deckmantel der Sexualität unkommentiert bleiben, verwundert, erinnert aber auch an das Original. Davon können Lesende sich selbst überzeugen: Auch der Reigen von Schnitzler ist abgedruckt. Reigen Reloaded ist ein unübliches Buch, es unterhält mit bitterem Beigeschmack. 

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