Begegnung entstehen lassen

Wie gelingt Diversität? Was können Kulturinitiativen tun? Alice Erik Moe, Jaqueline Scheiber und Tamara Imlinger im Gespräch mit Katja Frey von der Kulturinitiative waschaecht Wels und dem Publikum.

Katja Frey: Kulturprojekte oder -initiativen haben heute oft den Anspruch, divers und intersektional zu sein, scheitern dann aber an der Ausführung. Was kann man tun, wenn es keine Überschneidungen mit den Lebensrealitäten anderer Personengruppen gibt, als Verein, aber auch als Einzelperson?

Alice Erik Moe: Internet! Einfach z. B. eingeben: ‹queer›. Recherchieren. Darüber sprechen. Es braucht Zeit. Wichtig ist der Bewusstseinsprozess: Warum ist das so anstrengend? Nicht streng mit sich selbst sein, Interesse ist da, das ist gut.

Jaqueline Scheiber: In der Sozialen Arbeit gibt es den Ansatz der Lebensweltorientierung: Bitte erkläre mir du deine Realität, wenn du das möchtest, du bist Expert*in dafür. Das ist wertschätzend und mindert ein Machtgefälle. Es zeigt, dass ich mich zwar mit Dingen auseinandergesetzt habe und gleichzeitig trotzdem anerkennen kann, dass ich die Realität von Personen, die auf unterschiedliche Art und Weise diskriminiert sind, nicht nachvollziehen kann.

Tamara Imlinger: Um mehr Gleichwertigkeit zu erreichen, kann ich auch fragen: Darf ich dir etwas aus meinem Leben erzählen?
Moe: Es geht darum, Begegnung stattfinden und entstehen zu lassen – ohne Hierarchien. Die sind da, aber zumindest kann man sie kurz verpuffen lassen und einmal die Alternative sehen. Ich finde es auch wichtig, dass nicht nur von Diversität gesprochen wird, sondern dass z. B. Drag-Personen gebucht werden. Und wenn Personengruppen nicht zusagen, sollte man sich fragen: Fühlen sie sich nicht wohl bei uns? Warum nicht?

Imlinger: Es gibt Jobs z. B. für Community-Building. Es gibt Personen, die Erfahrungen und Strategien haben, sich damit auseinanderzusetzen: Wen lade ich ein? Wer ist Teil unserer Community, wer nicht, was wollen wir daran ändern und welche Möglichkeiten gibt es? Diese Personen kann man einstellen.

Scheiber: Es gibt eine ganz einfache Übung, die jede*r probieren kann: Schau dich um und mach dir bewusst, wer aller nicht im Raum ist. Welche Aktivitäten nimmst du wahr und mit welcher Selbstverständlichkeit, mit welchen Privilegien nimmst du diese Dinge wahr? Welche Menschen siehst du nicht? Wenn ich z. B. reise und keine Wohnungslosen auf den Straßen sehe, denke ich mir: Da stimmt irgendetwas nicht. Es gibt sie ja, warum sind sie nicht sichtbar? Genau so geht es mit vielen anderen Menschen, die sich nicht frei in allen Räumen bewegen können.

Moe: Immer geht es dabei um ein ehrliches Interesse. In der queeren Community erleben wir das sogenannte ‹Rainbow-Washing›. Dabei verkommt die Regenbogenflagge zur Marketingstrategie, ohne dass es wirklich um Inklusion und Partizipation von queeren Menschen geht. Ich finde wirklich okay, dass wir jetzt mainstreamtauglich sind, aber die Authentizität fehlt oft.

Frage aus dem Publikum: Es wirkt, als würde Drag durch gezielte rechtsextreme Agitation in der Mitte der Gesellschaft als Feindbild ankommen. Was kann man tun?

Moe: Interessant ist, dass es bis vor zehn Jahren sogar für Konservative cool war, sich mit Drag Queens gemeinsam in Videos zu zeigen. Jetzt wird v. a. schwulen Männern unterstellt, pädophil zu sein. Ein altes Klischee wiederholt sich, wird auf Drag Queens projiziert. Es ist verletzend und weit von der Realität entfernt. Und was gibt es Cooleres, als eine Drag-Person, die eine Märchenfigur darstellt und lebhaft aus einem Kinderbuch vorliest? Unterstützen könnt ihr uns, indem ihr einerseits zu den Shows kommt und andererseits den Angriffen etwas entgegen haltet, Fakten bringt und aufdeckt, worum es den Rechten geht: um Menschenhass.

Frey: Grenzüberschreitungen und Übergriffe passieren auch während Kulturveranstaltungen. Bestimmte Personengruppen müssen wachsamer sein als andere. Wie kann man eine Veranstaltung so gestalten, dass sie für jede*n sicher ist?

Scheiber: Mir fällt es positiv auf, wenn in einem Lokal ein Zettel hängt, der darüber informiert, dass es ein Codewort gibt, wenn man sich belästigt fühlt. Und dann gibt es ja davor ganz viele Dinge, die man nicht gleich meldet. Wenn ich als weiblich sozialisierte Person Benachteiligung erfahre und Menschen um mich habe, die mehr Privilegien genießen, ist es deren Aufgabe, zu schauen, wie sich andere Männer verhalten. Moe: Es ist gut, wenn viele Lamperl aufblinken, aber das bedeutet sehr viel Eigenverantwortung auf Individuen. Als Veranstalter*innen können wir Awareness-Teams buchen, z. B. AwA*. Man spricht immer vom ‹Safe Space›, also davon, einen sicheren Ort zu schaffen, was nicht geht. Wir brauchen aber zumindest einen Safer Space. Meistens sind Awareness-Personen mit z. B. Lichterketten sichtbar und das ist ein wichtiger Punkt: Die Personen sind da, sind sichtbar. Das vermittelt, dass es eben nicht egal ist, was passiert und dass es Konsequenzen gibt.

Imlinger: Im Kulturbereich wird oft davon ausgegangen, frei von sämtlichen Diskriminierungen zu sein – wir sind aber mitten in der Gesellschaft, die rassistisch, sexistisch, ableistisch etc. ist. Menschsein kann

auch verletzend sein, aber ich kann mich auseinandersetzen damit: Wann habe ich zuletzt selber diskriminiert? Oder jemanden abgewertet? Und wie geht es mir damit? Zettel am Klo sind gut, was wäre mit Zetteln, auf denen steht: Wenn du dich diskriminierend verhältst, melde dich bei uns, reden wir darüber. Und generell plädiert z. B. Eliah Lüthi dafür, vielfältige Zugänge zu ermöglichen, z. B. mit unterschiedlichen Sitz- und Liegemöglichkeiten, Reflexionsräumen, virtuellen Zugängen etc.1

Moe: Man kann sich als Veranstalter*innen auch entschuldigen, wenn etwas nicht gepasst hat. Man weiß aus der Opferarbeit, dass es wichtig ist, zu den betroffenen Personen zu stehen. Manchmal reicht das auch schon.

Imlinger: Kulturinitiativen könnten hier generell transparenter sein. Man muss nicht alle Konflikte ausbreiten, aber man muss auch nicht so tun, als würde alles reibungslos laufen. Wir machen Fehler. Wichtig ist, wie wir damit umgehen.

1 Eliah Lüthis Crip & Mad Kolumne Die Kunst der Unvernunft nachlesen auf → kupf.at/zeitung.

Das Gespräch fand ausgehend vom Thema ‚Körperbewertung 24/7‘ im Rahmen der Veranstaltungsreihe The Future Starts Now des Kulturverein waschaecht Wels statt. Die Reihe wird auf DORFTV übertragen, dort kann man alle Sendungen nach- sehen. Die nächsten Termine: 16.9. zu Mental Health u. a. mit Beatrice Frasl und 2.12. tba.
→ waschaecht.at → dorftv.at

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