Mensch? Maschine? Mensch!

Es ist mucksmäuschenstill im Raum, als die junge Anna-Sophie erzählt, dass sie mit 30 einen Schlaganfall erlitt. Nicht das übliche Alter. Der Grund: Stress. Sie war bis dahin Influencerin – sehr erfolgreich und das war das Fatale. Auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Digitaler Humanismus erzählt sie von dem Druck, unter dem sie stand, dem Zwang, ’geliked’ zu werden. Oder geliebt. Und, dass ihr das alles bis zum völligen Zusammenbruch nicht bewusst war. Neben ihr sitzt ein Forscher der TU Wien. Sein Spezialgebiet: Algorithmen und Künstliche Intelligenz. Nach der Veranstaltung ist er völlig verblüfft. Alles, was er über Cyberkriminalität, diskriminierende Algorithmen und Hate-Speech-speiende Bot-Armeen weiß, zeigte ihm eines noch nicht: dass uns nicht nur der Hass im Netz erdrücken kann, sondern auch die Liebe. In seiner Auffassung gibt es Identitätsklau im Sinne von Datenmissbrauch. Identität im Netz bedeutet auch, dass man sich selbst – oder besser gesagt: das gerade aktive Profil – kuratiert. Es geht nicht nur um Missbrauch durch andere. Es geht auch um Missbrauch durch uns selbst.

Liebe meint in diesem Zusammenhang, Zuspruch generieren zu wollen, Bewunderung, Begeisterung, Aufmerksamkeit. In jedem Fall aber Social Media-Herzchen in Form von Likes, Loves oder Emoticons. So werden nur noch jene Facetten unserer selbst inszeniert und in die Auslage gestellt, die diese Liebe erzeugen. Auf schlecht aufbereitete Postings folgt die Strafe unmittelbar: verminderte Sichtbarkeit, Reichweite und damit kalter Entzug ohne Vorwarnung. Bei Mädchen führt das sogar zu Suiziden, vor allem in den USA, beschreibt Hans-Georg Möller, Professor für Philosophie an der University of Macau. Er nennt das Problem: Identitätsbildung in der Profilizität. Was er damit meint: die Schwierigkeit, unterschiedliche Identitäten in Einklang zu bringen und der Stress, der damit einhergeht. Damit werden Peer Groups befriedigt, aber die Suche nach uns selbst gelingt nicht. Es bildet sich eine soziale Rückkopplungsschleife. Und die Schlinge zieht sich zu – wie bei Anna-Sophie. Stress mit Identität war für den TU-Forscher bis zu diesem Tag: im Netz observiert, abgesaugt, kopiert, manipuliert zu werden und die Handhabe über persönliche Daten zu verlieren.

Beide Sichtweisen führen den Blick auf ein Phänomen: Maschinen erlangen nicht Macht, weil sie intelligenter sind als Menschen. Das sind sie nicht. Sie erlangen sie, weil wir sie regieren lassen. 

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