Blut, Kotze, Gewalt, Tod

Barbara Rieger über das Dilemma mit dem Triggern

Aufstehen und gehen 

Während einer meiner ersten Lesungen bemerkte ich, dass eine Freundin aufstand und ging. Es gefällt ihr nicht, dachte ich und las weiter. Nach der Lesung erfuhr ich, dass sie nur einer anderen Person zur Hilfe geeilt war. Während ich sehr konzentriert eine Szene gelesen hatte, in der meine Protagonistinnen Blut-Freundschaft schließen, war besagte Person aufgestanden und am Weg nach draußen fast zusammengebrochen. Sie hatte eine Blutphobie. Offenbar war es mir gelungen, die Sache mit dem Blut sehr eindringlich zu schildern.

Seitdem bin ich immer ein wenig enttäuscht, wenn bei einer Lesung von mir niemand kollabiert. Hinter diesem Scherz steckt Wahrheit. Für die Person war es allerdings alles andere als lustig, es war ihr sogar so unangenehm, dass sie die Veranstaltung verließ. Nach dieser Erfahrung pflegte ich vor Lesungen zu fragen, ob jemand an Blutphobie litt, ich sprach also eine Art Triggerwarnung aus.

Trigger und andere Warnungen

Das Wort ‘Trigger’ kommt aus dem Englischen, bedeutet Auslöser und meint im psychologischen Sinn Reiz(e), die bei Personen mit (nicht verarbeiteten) Traumata starke Reaktionen wie Zittern, Schwitzen oder Flashbacks auslösen können. Das Verb „triggern“ für „jemanden aufregen“ ist mittlerweile in den Sprachgebrauch übergegangen und wird inflationär verwendet. Triggerwarnungen (TW) vor Texten, Bildern, Social Media-Beiträgen nehmen zu und auch Verlage haben angefangen, Bücher mit Triggerwarnungen zu versehen.

Während manche Kolleg*innen das schlicht als Schwachsinn bezeichnen und andere es begrüßenswert finden, versuche ich es wieder halb im Scherz: „Da müsste ja jeder meiner Texte mit einer Warnung versehen sein.” Und ich frage mich ernsthaft: Wäre das so schlimm?

Als Jugendliche verbrachte ich ein halbes Jahr in den USA und stellte fest, dass dort Altersbeschränkungen für Filme tatsächlich ernst genommen wurden, nicht nur im Kino, sondern auch im privaten Rahmen. Damals fand ich das zwar lächerlich, aber heute denke ich daran, dass ich mich als Kind oft schon nach dem Durchlesen der Fernsehbeilage der Zeitung fürchtete. Ich weiß, wie lange mich die Bilder der Horrorfilme und Thriller, die ich als Jugendliche gesehen hatte, verfolgten. Bei Filmen können also Genrebezeichnungen und Altersbeschränkungen helfen, sich vor unerwünschten Eindrücken zu schützen. Während mich als Kind oft nachhaltiges Grauen erfasste, wenn ich zufällig die meistgelesene österreichische Tageszeitung in die Hand bekam, sind wir heute durch das Internet und Social Media ständig mit zahlreichen Inhalten konfrontiert, die uns nicht nur überfordern, sondern eben auch triggern können. Dabei kann man das Handy oder ein Buch theoretisch jederzeit aus der Hand legen und zu lesen aufhören.

Friss und stirb

Bei meinem zweiten Roman hatten weder der Verlag noch ich daran gedacht, das Buch, in dem es – durch Titel und Klappentext – offensichtlich um die Geschichte einer Essstörung geht, mit einer spezifischen Warnung zu versehen. Ich dachte, dass eine Person, die in irgendeiner Form mit dem Essen kämpft oder gekämpft hat und die das Buch in der Hand hält, weiß, worauf sie sich einlässt. Obwohl einzelne Szenen triggernd sein können, erscheint mir eine Triggerwarnung hier redundant. Bei meinem nächsten Roman wird es um Gewalt von Männern an Frauen gehen und ich möchte, dass sich die Gewalt darin so schleichend und verführerisch entfaltet, dass niemand sie bemerkt bzw. erst dann, wenn es zu spät ist. Bei einem Text, der als Liebesgeschichte daherkommt und mit einem Femizid endet, macht eine Triggerwarnung durchaus Sinn. 

Kunst schafft Empathie

Das Dilemma ist: Als Autorin möchte ich meine Leser*innen kalt erwischen. Ich will sie überraschen, schockieren, ich will, dass sie schwitzen, zittern und weinen, dass ihnen schlecht wird und ja, dass sie den Boden unter den Füßen verlieren. Ich denke dabei aber nicht unbedingt an jene, die selbst Gewalt erfahren, die Essstörungen durchlebt, schwierige Geburten oder andere Traumata durchgestanden haben. Ich möchte so schreiben, dass diejenigen, die nicht an Blutphobie leiden, bei der Schilderung des Bluts kollabieren oder zumindest fast. Ich denke dabei an die älteren Männer, die während der Lesung eines Textes über die Geburt meiner Tochter immer blasser werden, und daran, dass einer nach einer Lesung zu mir kam und mir gestand, wie sehr er sich gewünscht hatte, es sei endlich vorbei. Für mich war das ein Kompliment, denn das ist es, was Literatur kann, was ich mit Literatur will: Erfahrungen vermitteln, die eben nicht nur die eigenen sind und das so eindringlich wie möglich. 

Ich denke daran, wie heftig ich als Jugendliche am Ende der Lektüre von Marlen Haushofers Wand weinte, obwohl mich eine Freundin vorgewarnt hatte. Kürzlich weinte ich wieder, die Tränen liefen mir während eines gesamten Kapitels von Heimat bist du toter Töchter von Yvonne Widler über das Gesicht. Dem Buch vorangestellt ist die Triggerwarnung: “In diesem Buch lesen Sie von Gewalttaten, die belastend und retraumatisierend wirken können.” Ich weine trotz Warnungen, aber ich weine nicht, weil ich traumatisiert bin, sondern weil es schrecklich ist und ich empathisch bin. Ich kann trotzdem schlafen, zumindest meistens. 

Was können wir tun?

Triggerwarnungen im Kontext von Literatur mögen manchmal redundant erscheinen. Wenn sie dazu beitragen, andere Menschen vor Retraumatisierung zu schützen, möchte ich mich nicht dagegen wehren. Vielleicht werden sie in Zukunft Usus? Ich fände es nicht schlimm.

Besonders vor Gruppenlesungen oder anderen Kulturveranstaltungen, bei denen nicht jede Person im Publikum weiß, worauf sie gefasst sein sollte, machen Warnhinweise vor einem Beitrag, der sich mit Blut, Kotze, Geburt, Gewalt, Sexismus, Rassismus, Suizid, Tod und anderen gravierenden Inhalten auseinandersetzt, umso mehr Sinn. Hier sind aber nicht nur Autor*innen gefordert, sondern auch Veranstalter*innen, diejenigen im Publikum zu schützen, die es brauchen.  Sie könnten sich Angebote oder Interventionen überlegen, die Bedürfnisse von Teilhabenden gut auffangen. Als Autorin sehe ich meine Aufgabe darin, so zu schreiben, dass es trotz Warnung an den richtigen Stellen weh tut. Und wo sehen Sie Ihre?

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