Ein Jahr Schwarz-Blau: Nicht alles ist schlecht

Vor einem Jahr hat die KUPFzeitung ExpertInnen um Einschätzungen zu Schwarz-Blau in Oberösterreich gebeten. Nun blickt Politjournalist Christian Ortner für uns auf die Entwicklung: Was hat das erste Jahr der schwarz-blauen Zusammenarbeit mit sich gebracht?

Der Start war durchaus holprig: Als der Vorsitzende der FPÖ, Manfred Haimbuchner, am 22. Oktober 2015 ÖVP-Chef Josef Pühringer ein herzhaftes „Gemmas an!“ entgegenschleuderte, bedankte sich der Landeshauptmann freundlich beim „Herrn Kollegen Entholzer“.

Soeben hatten Pühringer und Haimbuchner den schwarz-blauen Regierungspakt präsentiert, den sie nach der Landtagswahl im September geschmiedet hatten. Dass sich Pühringer nach zwölf Jahren Koalition mit den Grünen plötzlich einen anderen Partner suchen musste, schmeckte dem ÖVP-Chef sichtlich nicht. Haimbuchner nahm den Fauxpas sportlich – die Freude, nicht in Reinhold Entholzers Haut stecken zu müssen, überwog sichtlich. Dieser hatte der SPÖ in seiner Funktion als Parteichef gerade den historischen Tiefpunkt beschert und war politisch bereits abgemeldet.

Dennoch: Pühringers Zerstreutheit an diesem denkwürdigen Tag war ein Vorgeschmack auf das, was im ersten Jahr der schwarz-blauen Zusammenarbeit auf Oberösterreich zukommen sollte. Sie entlarvte einen einst übermächtigen Landeschef, dessen politische Welt am 27. September 2015 aus den Fugen geraten war. Obwohl die ÖVP im Wahlkampf ganz und gar auf das ewige Zugpferd Pühringer gesetzt hatte, verlor die Landeshauptmannpartei bei der Wahl unbeschreibliche zehn Prozent. Das schlechte Abschneiden der ÖVP verunmöglichte eine Fortsetzung der Koalition mit den Grünen und führte Pühringer zum ersten Mal seit seiner Amtsübernahme im Jahr 1995 vor Augen, dass nicht alles in diesem Land nach seiner Pfeife tanzt.

Diese Erkenntnis führte zwangsläufig zu einem neuen Pühringer’schen Selbstverständnis – und dieses prägte das erste Jahr von Schwarz-Blau maßgeblich. So enthusiastisch der Landeshauptmann nach der für die ÖVP so erfolgreichen Wahl 2009 Gratis-Kindergarten, Spitalsreform und andere heiße gesellschaftspolitische Eisen anpackte, so kraft- und perspektivenlos ging er 2015 die Zusammenarbeit mit der FPÖ an, der er im Wahlkampf noch halbherzig vorgeworfen hatte, gegen Menschen zu „hetzen“ und „unser Land zu besudeln“.

Derart in den Seilen hängend, war es für die erstarkte und vor Selbstvertrauen strotzende FPÖ ein Leichtes, der ÖVP die Themenführerschaft zu entreißen – ein Faktum, das sich bereits im schwarz-blauen „Arbeitsübereinkommen“ niederschlägt. Neben vielen Allgemeinplätzen finden sich dort vorwiegend blaue Lieblingsthemen wie die Kürzung von Sozialleistungen für AusländerInnen und die Deutschpflicht in Schulpausen. Beides zieht die FPÖ bislang konsequent durch, hofiert von einer noch immer traumatisierten ÖVP, die fälschlicherweise glaubt, verlorene WählerInnen wiederzugewinnen, indem sie gesellschaftspolitische Positionen der FPÖ übernimmt. Dass nur die Freiheitlichen davon profitieren, zeigen aktuelle Umfragen, die Haimbuchner und Co. zum Teil schon auf Platz eins sehen.

Auf der Strecke bleiben sozial Schwache, wie die im Herbst geführte Debatte um die Kürzung der Mindestsicherung zeigte. Während die anderen Bundesländer noch um eine gemeinsame, sozial verträgliche Linie rangen, war OÖ längst vorgeprescht: Nur mehr 520 statt 914 Euro monatlich für Asylberechtigte, wer keinen „Integrationswillen“ zeigt, verliert weitere 155 Euro. Dass die eigentlich zuständige Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ) als erbitterte Gegnerin der Sozialkürzungen von ÖVP und FPÖ konsequent ignoriert wird, zeugt davon, was von Pühringers ewigem Credo, „das Gemeinsame vor das Trennende“ zu stellen, zu halten ist. Nicht anders verhält es sich beim Umgang mit dem Grünen Rudi Anschober, dem Schwarz-Blau das schwierige Integrationsressort aufbürdete. Wer sich wo und wie zu integrieren hat, bestimmen jedoch in trauter Einigkeit ÖVP und FPÖ – wenn sie etwa ihren eigenen „Wertekompass“ für Schulen durchpeitschen.

Alles schlecht also? Nicht ganz. Zuletzt schien die ÖVP zu realisieren, dass sich das Anschmiegen an die Rechten für sie wenig lohnt. Bei der Festlegung der Schwerpunktthemen für die Herbstarbeit besann man sich auf die einstigen Hauptkompetenzen: Arbeitsplätze schaffen, Wirtschaftsstandort stärken, Forschungsquote heben, Deregulierungsoffensive durchziehen. Kein Wort davon, wie man Flüchtlinge öffentlichkeitswirksam schikanieren oder sozial Schwachen das Leben noch schwerer machen könne. Und mit der Zusammenlegung der Bezirkshauptmannschaften Eferding und Grieskirchen ist immerhin ein erstes Reförmchen gelungen.

Im konkreten Alltag hat das erste Jahr Schwarz-Blau für die OberösterreicherInnen kaum Veränderungen gebracht: Die Arbeitslosigkeit steigt weiter, was sie auch unter Schwarz-Grün getan hätte. Der Lebensstandard ist dennoch weiterhin hoch, die problematischste Frage für die meisten ist: Im Urlaub mit dem Auto nach Jesolo oder doch mit dem Flieger nach Mallorca? Und so lange Pühringer Kulturreferent ist, wird es in OÖ Hochkultur à la Musiktheater geben. Dass traditionell Folkloristisches bei ihm höher im Kurs steht als etwa die gesellschaftskritische freie Kunst- und Kulturszene, ist nicht erst seit Schwarz-Blau bekannt. Und auch die politische Spaltung zwischen Schwarz-Blau und Rot-Grün ist geringer, als man vermuten würde: Exakt 97,2 Prozent aller Regierungsbeschlüsse wurden im ersten Jahr der ÖVP-FPÖ-Regierung einstimmig – also auch mit den Stimmen von SPÖ und Grünen – gefasst.

Was sich verändert hat, ist die Atmosphäre in diesem Land: Mit dem Erstarken der FPÖ ist auch das Selbstbewusstsein ihrer zuletzt immerhin fast 264.000 WählerInnen gestiegen. Wer über AusländerInnen herziehen oder Flüchtlinge als Plage bezeichnen will und sich zur Abhilfe einen kleinen Führer herbei wünscht, muss das nicht mehr verstohlen in der abgeschotteten Burschenschaftsbude tun. Er kann das, die rot-weiß-rote Fahne schwenkend, im Bierzelt tun. Er kann es ungeniert und unter großem Beifall Gleichgesinnter in sozialen Medien tun. Und er fühlt sich im Recht, weil es jene, die seit einem Jahr politische Verantwortung tragen, genauso machen. Wer sich, wie Elmar Podgorschek von der FPÖ, als Sicherheitslandesrat bezeichnet und wegen der Flüchtlinge Bürgerkriegsszenarien in OÖ heraufbeschwört, hat seine politische Berechtigung verwirkt. Wenn die ÖVP, egal ob unter Pühringer oder seinem Nachfolger, solchen Absonderlichkeiten nicht entschieden entgegentritt, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit gänzlich – und 2021 auch den Landeshauptmann-Sessel an die FPÖ und Manfred Haimbuchner.

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