Die Charlies von gestern

Obertöne. Medienkolumne von Olja Alvir

Wahljahr heißt Integrationsdebattenjahr – und Edition 2015 ist noch zusätzlich angefeuert durch die Attentate auf das Magazin Charlie Hebdo in Paris, eine Veranstaltung und eine Synagoge in Kopen hagen sowie die mittlerweile auch in Wien und Linz sprießende bzw. wuchernde PEGIDA- Bewegung.
In Österreich gipfelt diese angespannte Situation in einer medialen Debatte zur sogenannten «Integrationsunwilligkeit »: SP-Landeshauptmänner Niessl und Voves sowie VP-Minister Kurz forderten beispielsweise sogar Geldstrafen für Eltern, die «integrationsunwillig » scheinen oder Elternsprech tage in der Schule versäumen.
Die Tatsache, dass solch lächerliche Forderungen (verfassungs-)rechtlich wohl nie durchsetzbar wären, einmal beiseite – bei diesen konkreten Sagern ging es wohl auch ums Herausschlagen politischen Kleingelds. Dennoch zeigt die allgemeine Art und Weise, mit der hierzulande das Zusammenleben verschiedener Menschengruppen verhandelt wird, eine profunde Scheinheiligkeit im Werte- und Rechtsverständnis auf: Die Charlies von gestern, die sich eben doch groß Meinungsfreiheit auf die Fahnen schrieben, möchten heute Menschen mit anderer Meinung (Religion, «Kultur») wegen mangelnder Anpassung sanktionieren.
Wir müssen von einer Konzentration auf Maßregelung, Normen und Richtlinien für «die Anderen» wegkommen und an einer Gesellschaft arbeiten, die Perspektiven für alle Menschen anbieten kann. Beispielsweise für jene, die einen Schleier tragen, jene, die in die Moschee gehen und ja, auch jene, die kein Deutsch lernen können oder wollen und die in einer zunehmend feindlicheren Umgebung lieber in als Parallelgesellschaften verschrienen Communities unterkommen. Im Namen der Freiheiten nämlich, auf die wir Zentraleuropäer*innen so stolz sind. Denn gleichzeitig Meinungs- und Religionsfreiheit propagieren und dann denen mit anderer Meinung und / oder Religion toxische «Integrationsunwilligkeit» zu unterstellen, das geht nicht.

Olja Alvir konsumiert hauptberuflich Medien und arbeitet als freie Journalistin und Autorin (in Wien).
olja.at

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