Die Ränder der Kulturarbeit

less rock more talk: In der zeitgenössischen, initiativen Kulturarbeit manifestieren sich neue Inhalte und neue Player, die „fast ohne Kultur“ auskommen. Doch ist es sinnvoll, die neuen Initiativen rund um Ökologie, Medien und Nachhaltigkeit als Kulturarbeit zu vereinnahmen? Im Zweifel ja, findet Jürgen Lüpke. Die Ränder der Kulturarbeit eröffnen uns nämlich mögliche Zukünfte.

Tendenzen
Wer den KUPFsonntag im Februar 2014 oder ein paar Wochen später die Jurysitzung zum KUPF Innovationstopf besucht hat, wer sich die Radioshows der IG Kultur und die Newsletter der TKI reinzieht, entdeckt möglicherweise Tendenzen: viele junge Initiativen und viele aktuelle Projekte / Kollektive, so scheint es, unterscheiden sich von den mittlerweile «klassischen» Kulturinitiaiven des letzten Jahrhunderts. Sie produzieren oder vermitteln (politische) Kultur nicht indirekt über das «Veranstalten» von Musik, Kunst, Theater, sondern arbeiten sich unmittelbar an kulturellen Begriffen und Gegebenheiten ab: Raum, Technologie, Arbeit und so weiter – ganz ohne Umwege über Konzerte, Kabarettabende oder Vernissagen.

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„Kulturarbeit stand für partizipative, politisch engagierte Arbeit im kulturellen Feld und/oder mit kulturellen bis künstlerischen Mitteln […] Der Ansatz der klassischen Avantgarde, die Trennung zwischen „Kunst und Leben“ aufzuheben, sollte wieder belebt werden. [… Es] ging nicht um die Schaffung neuer Werke, sondern auch darum, kulturelle Produktionen etc. […] zu veranstalten.“
Monika Mokre / Elisabeth Mayrhofer

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Kings of the road & drama queens
Die meisten Initiativen, die in der KUPF organisiert sind, veranstalten die künstlerischen Outputs anderer. Es gibt dazu viele Motive, spontan scheinen mir zwei generalisierbar: die Liebe zur jeweiligen Sparte, zum konkreten Genre sowie die unmittelbare Chance, sich und seine Umwelt einzubringen, zu bearbeiten und gesellschaftlich relevant zu sein. Das «Veranstalten» ist oft Vehikel für dahinterliegende Notwendigkeiten: Utopie-Produktion, kulturelle Nahversorgung, selbstbestimmtes Arbeiten, Teilhabe sind die dazugehörigen Schlagworte. Je nach Initiative verschwimmen dabei die Grenzen zwischen Artists und Audience, je nach Gruppe ausgeprägt ist auch die politische Motivation und Wirksamkeit: manche wollen bloß mal anständige Mucke aufs Dorf holen, andere an einer neuen Welt bauen.
Letzteres teilen sie definitiv mit den «neuen» Initiativen: diese beschäftigen sich mit Kultur abseits künstlerischer Aufladung – sie beschäftigen sich mit den Grundlagen unserer Kultur im dramatischen Sinne des zivilisatorischen Zusammenhalts: sie errichten vertikale Gärten in den Zentren und Community Gardens in der Peripherie, sie reparieren kaputte Elektrogeräte in OTELOs und errichten freie Radiosender in Afrika. Sie vermitteln juristisches Wissen zu Hausbesetzungen wie -genossenschaften, betreiben biologische Landwirtschaft ganz ohne Romantik. Kurz: Da tut sich was neues.

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„[…] Den explizit politischen Anspruch haben heute nur einige Initiativen. Wir unterstellen aber, dass sie natürlich alle politisch agieren in ihrer Organisationsform, indem wie sie an einem Ort agieren. Sie sind sich oft der politischen Relevanz nicht bewusst.“
Stefan Haslinger
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Nicht aufregen!
Natürlich ist weder das eine altvaterisch noch das andere ein Novum. Viele veranstaltende Initiativen sind höchst politisch und gesellschaftlich aktiv, speziell errungene Kulturzentren (KAPU, Schl8hof, …) sind Kristallisationspunkte für politisches Engagement und Widerständigkeit. Nicht zuletzt durch subkulturelle Aufladungen geschieht dort Politisierung und unschätzbar wichtige gesellschaftliche Arbeit. Und speziell in Netzwerken wie der KUPF finden sich viele, deren Motivation für das Kulturschaffen primär politisch ist: maiz, die freien Radios und die Solidarwerkstatt oder auch fiftutu% seien hier als Beispiele vorgebracht. Die KUPF und viele andere nennen das mit berechtigtem Stolz initiative Kulturarbeit – kritische Arbeit an und mit zeitgenössischer Kultur. Aber: Fortschritt verlangt nach Dynamiken, und «Kulturarbeit» ist ein dehnbarer Begriff: der Linzer luft*raum oder die Leondinger urbanfarm bearbeiten Kultur deutlich unmittelbarer: sie beschäftigen sich sehr praktisch mit Alternativen zur herrschenden Ökonomie oder mit den Folgen europäischer Migrationspolitik – zwei Felder, die stark die europäische Gegenwartskultur prägen und repräsentieren. «Kultur» wird also nicht künstlerisch aufgeladen oder soll «vermittelt» werden, sondern wird nüchtern-soziologisch als unser Umgang miteinander und unserer Umwelt gesehen. Auffallend ist der Impact mancher dieser Initaitiven: Sie arbeiten, durchaus szene-untypisch, mit Wohlwollen und Einbindung der Menschen und Mainstream-Medien und schaffen mitunter erstaunliche Tatsachen.

Bobos, Dreamer, Neohippies?
Wohin sich die kulturarbeiterischen DIY-Werkstätten, Radl-Reparierer und Öko-Aktivistinnen entwickeln werden, ist noch nicht abzuschätzen. Im schlimmsten Fall eine kleine Blase der Naivität mit raschem Ablaufdatum, ein wenig alter Wein in neuen Schläuchen, und im besten Fall die ProtagonistInnen einer Post-Wachstums-Wirtschaft. Whatever, nix is fix! Gegenwärtig jedenfalls ist interessant und augenfällig, dass viele der ProtagonistInnen aus der «klassischen» freien Kulturszene kommen und sich selbst auch dort verorten. Auch das Interesse derartiger Initiativen an der vielzitierten «alten Tante» KUPF ist erstaunlich. Fast 25 (alte und junge!) KIs sind in den letzten beiden Jahren der Kulturplattform beigetreten. Was vor ein paar Jahren möglicherweise als «zivilgesellschaftliches Engagement» oder APO eingeschätzt wurde, fühlt sich heute als Kulturarbeit an. Und agiert auch so.

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„Boomt Kulturarbeit deswegen, weil die „Linke“ im weitesten Sinne sich zunehmend in kulturlinke Positionen und Zusammenhänge zurückzieht? Ist die „Linke“ auf einem Rückzugskampf und die Kulturarbeit unser Dschungel, wohin wir uns zurückziehen?“
Klemens Pilsl

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Chancen, Gefahren, Irrtümer
Für die alte Tante mag das Gutes bedeuten: eine Frischblutinjektion nach der anderen treibt ihr jugendliche Röte in die Wangen. Das Interesse der «neuen Initiativen» am Netzwerk und dem akkumulierten Know-How schmeichelt wohl. Auch der KUPF-Schaffensschwerpunkt der letzten beiden Jahre, die intensive Auseinandersetzung mit Regionalentwicklungen und entsprechenden Fördertöpfen, ist dem geschuldet. Aber: Ist das eigentlich Kulturarbeit, wenn man neue Taschen aus alten Kleidern bastelt oder drei alte Fahrräder zu einem Zombiebike zusammenschmeißt? Eine berechtigte, aber gefährliche Frage, da sie eine «echte Kulturarbeit » impliziert, die die anderen bestenfalls faken. Schlagend wird die Frage aber spätestens beim Drängeln am Trog: ist doch ohnehin für die bestehende Freie Szene nicht genug Fördergeld vorhanden, wird es mit jedem neuen Player noch enger – und sollten Kulturförderungen wirklich auch noch auf 3D-Drucker, GenossenschaftsgründerInnen und ErnährungsaktivistInnen verteilt werden?
Die alten Hasen seien beruhigt ! Das Senioritätsprinzip scheint derzeit kaum gefährdet. Die Förderkürzungen im Kulturbereich sind nicht den «Jungen», den «Neuen» oder gar dem «Fremden» geschuldet, sondern dem Sparwahn der PolitikerInnen. Die KUPF beobachten schon lange, dass es junge Initiativen zugunsten der Bewährten kaum zu Basisförderungen schaffen. Und ähnlich wie beim Verhältnis der initiativen Kulturarbeit zur Kreativwirtschaft schaut es auch bei dem zu den «neuen Initiativen» aus: Diese finanzieren sich kaum aus bestehenden Kulturtöpfen, sondern setzen ganz woanders an: Sie saugen Geld zum Beispiel aus den grüneren Wirtschaftstöpfen des Landes, sie beanspruchen europäische Regionalentwicklungsgelder, lassen sich mit Umweltschutz-Geldern prämieren, beantragen Sozial- & Bildungsgelder oder teilfinanzieren sich – siehe die freien Radios im KUPF-Netzwerk – sogar über Pressetöpfe.

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„Kulturarbeit steht in starker Verbindung mit Bildungsarbeit, […] ist nicht getrennt zu denken von unseren Tätigkeiten im sozialen Bereich. Und damit ist sie nicht getrennt von politischem Aktionismus zu denken.“
Rubia Salgado
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Das mag zwar nur eine Momentaufnahme sein, aber das Problem liegt natürlich weniger im kulturellen Feld als im verwaltungspolitischen: Die historisch gewachsene Ressortaufteilung in den Körperschaften (Kultur, Soziales, Bildung, Jugend, …) scheint nicht ewig dem Stand der Gesellschaft entsprechend. In ferner Zukunft entscheidet möglicherweise – man wird noch träumen dürfen – eine Fördergeberin vorab prinzipiell über die Förderwürdigkeit und macht sich erst dann Gedanken, welches inhaltliche Ressort welchen Beitrag zur Fördersumme leistet. Momentan müssen die bittstellenden EinreicherInnen viel Energie dafür aufwenden, die jeweiligen konkurrierenden Ressorts einzeln abzuklappern und zu überzeugen.

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„Seit längerem ist nicht klar, was Kulturarbeit ausmacht und was sie von anderen Aktivitäten im kulturellen Feld unterscheidet. Gehen wir also davon aus, dass Kulturarbeit noch immer wichtig ist, so gilt es, diesen Begriff zu überdenken, zu diskutieren oder auch um ihn zu streiten.
Monika Mokre / Elisabeth Mayrhofer
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Binsenweisheiten und 21st century Kulturarbeit
Peripherien haben schon immer die Zentren beeinf lusst und manchmal sogar abgelöst. Auch die Ränder der Kulturarbeit bewirken eine Zukunftsfähigkeit der Kulturarbeit. Sie sitzen an den Schnittstellen zur Sozial- , Bildungs- und Medienarbeit, sie agieren volkswirtschaftlich oder auch ökosozial. Sie sind kein Visionäre, VerführerInnen oder Superwuzzis, einige reden Topfen, manche werden mit wehenden Fahnen untergehen und andere groß rauskommen. Aber sie sind weder Ressourcenvergeudung noch Bedrohung, sondern eine Chance im besten dialektischen Sinne. Sie erweitern die Wirkmächtigkeit des initiativen Kulturbetriebs zumindest temporär weit in die Zivilgesellschaft und erobern diskursive Deutungshoheiten für die Kulturarbeit. Sie eröffnen der initiativen Kulturarbeit neue Felder, neue Distinktionsflächen, neue Handlungsräume, Heterotopien und im besten Falle sogar ein bisschen Zukunft. 21st century Kulturarbeit eben. Ŧ

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Sämtliche angeführten Zitate stammen aus dem KUPF-Online-Fundus, konkret aus der Publikation „Kultur, Arbeit, Misere“, 2008  → kupf.at/node/2080

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