Warum auch in digitalen Netzen der Schritt ins Reale notwendig bleibt

Die Herausforderungen einer digitalen Gesellschaft: Frau Tschörda weiß Rat.

Kulturarbeit ist für mich in erster Linie Arbeit an der Gesellschaft und Weiterentwicklung von gesellschaftlichen Strukturen. Wie langweilig ich es finde, wenn Kulturarbeit zum Bespaßen von ausgewähltem Klientel verkommt und lebendige Subkulturen zugunsten von Brot und Spielen marginalisiert werden! Kulturarbeit findet meiner Meinung nach immer mittendrinn statt, auch die Ränder der Kulturarbeit befinden sich ebenda. Es gilt, in abgegrenzten kulturellen Netzen die Schnittmengen zu finden. Wenn die Überlappungen durchlässig sind, bedeutet das ja nicht, dass ein Einheitsbrei entsteht, es besteht vielmehr die Möglichkeit zur gegenseitigen Inspiration. Warum nicht mit Toleranz und Respekt gelegentlich seine Horizonte erweitern?

Wenn wir den Anspruch haben, uns möglichst effizient zu vernetzen und die besten Tools zu nutzen, die wir im Netz finden, dann überrollt uns ganz schnell eine unpackbare Welle an eierlegenden Wollmilchsäuen, die für «Randarbeit» viel zu mächtig sind, weil sie uns den Blick auf das Wesentliche mit technologischem Kleinfuzzelkram versperren. Ganz schnell wirft das auch Fragen nach Inklusion, Niederschwelligkeit, Zumutbarkeit und Barrierefreiheit auf. Wie bleiben wir effizient, wenn wir unsere Kräfte bündeln wollen?

Ich habe als Netzwerkerin in den letzten Jahren viele Initiativen gesehen, in einigen mitgearbeitet und dabei gerade mit dem Schritt ins Digitale auch viele Transformationen erlebt. Ich muss leider auch sagen, dass neue Technologien oft ganze – anfänglich brilliante! – Ideen abgewürgt haben. Aber warum? Überfordert uns die Technik, wenn wir als Gruppe agieren? SystemtheoretikerInnen, Soziologen und Soziologinnen arbeiten sich seit langem an diesen Themen ab, offenbar muss man im Digitalen immer schneller neue Gegebenheiten ausloten können, weil Selbstorganisation zwischen Chaos und Struktur in online-Netzwerken nochmal ganz andere, wesentlich schnellere Dynamiken entwickelt, vor denen selbst technologie-affine Menschen kapitulieren. Ich hab das selber erlebt. Aktuell fließt ein großer Teil meiner Energie in den luft*raum, einen Raum «für eigentlich eh alles». Was einst aus dem losen Netzwerk «frühling2012» keimte, manifestiert sich nun im realen Raum, dem luft*raum. Und dieser reale Raum ist – bei meiner ganzen Liebe für Kommunikation in digitalen Medien – ein, wenn nicht DER essenzielle Faktor. Er ist die Schnittstelle zwischen kulturellem, sozialem und ökologischem Engagement in wechselnden Inkarnationen und Spielarten. Auch im luft*raum ist es wie so oft so, dass die treibenden Kräfte hinter dem Kulturangebot eine handvoll engagierter Menschen sind. Der luft*raum ist ihr Spielplatz, sie jonglieren mit Gegebenheiten und erschaffen eine Vielfalt, die ziemlich oft sehr spontan sein muss – und wenn sich mal was nicht wie geplant ausgeht – dann halt nicht!

Neue Medien und Tools werden spärlich aber doch effizient genutzt, wir bringen uns die Handhabung gegenseitig bei. Auf diese Art geht sich ein Maximum an Freiheit und Flexibilität sowie ein Mindestmaß an Koordination und Struktur aus.
Und wenn man die Tür des tatsächlichen Raumes für eigentlich eh alles öffnet, dann sind wir wieder dort, wo sich die Ränder der Kulturarbeit befinden: nämlich mitten in der Gesellschaft. Und da stecken alle über kurz oder lang ihre Nase mal herein 🙂

Gerda Haunschmid ist in unterschiedlicher Form seit 1998 im Netz unterwegs, auch als tschörda und gschaftlhuawar in. Sie will nur spielen.

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