Was braucht die Kultur – was braucht das Leben?

Aileen Derieg über das Kulturverständnis, das im Kulturhauptstadtdenken steckt.

 

Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt nicht ganz. Bekanntlich leistet es sich die Stadt Linz im Jahre 2009, sich als Europäische Kulturhauptstadt zu präsentieren. Nachdem diese Ehre auch nicht wenig kostet, stellt sich logischerweise die Frage, wer davon profitieren soll. Die »Wirtschaft« soll selbstverständlich dadurch angekurbelt werden, es sollen möglichst viele Touristinnen und Touristen von den beeindruckenden kulturellen Angeboten hergelockt werden, und sie sollen dermaßen beeindruckt werden, dass sie wieder kommen und überall erzählen, wie großartig diese Stadt ist. Selbstverständlich gilt das nicht für sogenannte »Wirtschaftsflüchtlinge«, sondern nur für die Länder, aus denen sogenannte KulturtouristInnen herkommen – und wieder gehen. Positiv beeindruckt werden sollen selbstverständlich ebenfalls wachstumsstarke Firmen, die eine arbeitsplatzbeschaffende Niederlassung in Linz überlegen könnten. Und was hat das nun mit Kultur zu tun? Was das alles mit Kunst zu tun haben könnte, ist hier nicht die Frage, da Kunst lediglich eine Dienstleistungsrolle im allgemeinen Konstrukt der Kulturhauptstadt spielt. Das Kulturverständnis, das im Kulturhauptstadtdenken steckt, betrifft eben lediglich die Erhöhung der wirtschaftlichen Attraktivität. So ist es auch kein Zufall, dass die Linz09-Publikationen in erster Linie wie durchdesignte Werbeprospekte aussehen. Genauso wenig zufällig wurde ein hoch dotierter Kulturmanager engagiert, um das Kulturhauptstadtjahr zu gestalten, eine Aufgabe, die er im gegebenen Rahmen zweifellos gut erfüllt. Aber wirtschaftliche Anliegen, so berechtigt und wichtig wie sie auch sein mögen, decken auf keinen Fall das gesamte Kulturleben einer Stadt ab. Diese wirtschaftliche Sicht interessiert sich in erster Linie für fertige »Produkte«, ob als greifbare Kunstwerken und -veranstaltungen, oder als »Projekte«, die in einem kontrollierbaren Prozess dargeboten werden. Solche Produkte können dann auch nach entsprechenden Kriterien in Hinblick auf ihre Qualität bewertet werden. Es gibt aber auch andere Qualitäten, in erster Linie eben Lebensqualität, und dafür ist nicht ein wirtschaftlich orientiertes Kulturmanagement verantwortlich, sondern eine weiterdenkende Kulturpolitik. Um eine Kultur zu fördern, in der auch Kunst gemacht, rezipiert, gelebt, angeregt und anregend werden kann, bedarf es bestimmter Bedingungen, die mit dem Konstrukt einer Kulturhauptstadt wenig bis gar nichts zu tun haben. Zu diesen Bedingungen gehören Zeit – frei von Produktionszwängen, um sich auszutauschen, nachzudenken, Gedanken weiter zu spinnen – und Raum, wo Menschen zusammen kommen, etwas ausprobieren, Ideen umsetzen und diese und sich weiter entfalten können. Eine Grundbedingung ist, dass das Leben überhaupt leistbar ist: wer ständig gehetzt leben muss, weil die Kosten für Wohnraum, Lebensmittel, Gesundheit u.ä. schwer abzudecken sind, braucht sämtliche eigenen kreativen Energien, um durchzukommen. Dass Kreativität auf Knopfdruck und nur bei Bedarf aktiviert werden kann, ist ein Mythos der Creative Industries, der dazu führt, dass schöpferisch denkende Menschen sich irgendwann überfordert, ausgebrannt und ausgenutzt fühlen. Die kreativen und engagierten Menschen, die in Linz leben – ob »Eingeborene« oder »Zuagraste« -, sind nicht lediglich als Rohmaterial zu betrachten, das dem Kulturmanagement verwertungsmäßig zur Verfügung steht. Wir leben hier, im vollsten Sinne des Wortes, und wollen weiterhin auch nach 2009 hier leben, und zwar mit allem, das zum Leben dazu gehört: Freude, Arbeit, Forschungsdrang, Feiern, Müßiggang, Freundschaften, Erholung, Tatendrang … eben Kultur.

Aileen Derieg arbeitet als freiberufliche Übersetzerin, lebt in Linz. http://eliot.at

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