Einzementiert? Ein Ort und seine Gedenken.

Am 17. Mai finden im Ebenseer Ortsteil Finkerleiten die Feierlichkeiten zum Gedenken an die Befreiung des KZ Ebensee statt. Ein Bericht von David Guttner.

 

Am Morgen des 17. Mai 2008 werden einige Reisebusse den Anstieg zu dem ein paar Höhenmeter über dem Talboden liegenden Ortsteil wagen. Wie jedes Jahr im Mai. Wie immer im Mai, werden die Busse auf einer großen Wiese zu stehen kommen, die ansonsten als Fußballfeld dient, was allerdings nur durch ein zwar vorhandenes, jedoch schon mehr als altersschwaches Tor erkennbar ist, so aufgerissen und zerfurcht ist dieses Feld. Wenn die Busse, nachdem sie alle Jahre wieder gekehrt, wieder verschwunden sein werden, wird der Platz auf Wochen nicht mehr benutzbar sein. Behaupten zumindest die Kinder des Ortsteils. Da sollte der Bürgermeister endlich etwas tun, meinen sie. Wie jedes Jahr werden den Bussen Menschen entsteigen: vor allem junge und auch sehr alte Menschen. Immer älter werdende Menschen. Und von Jahr zu Jahr werden die Alten weniger.

Nicht nur mit Bussen und anderen Fahrzeugen werden sie kommen. Sie werden den abgelachten Hügel auch zu Fuß erklimmen. Sie werden durch die Gassen des in sich geschlossenen Ortsteils wandern, sie werden auf ihn hinunter blicken, von einer noch höheren Anhöhe aus. Dort, wo die vielen Löcher aus dem dunklen Fels heraus klaffen. Sie werden viele Sprachen sprechen: englisch, französisch, polnisch oder italienisch. Und kaum deutsch. Deutsch ist die Sprache derer, die hier leben. Oder ein zumindest stark an das Deutsche erinnernder, eigenwilliger Dialekt. Nur werden die, die hier leben, diesem Ansturm auf ihre sonst sehr stille Siedlung großteils fern bleiben. Sie werden sich in ihre Einfamilienhäuser zurückziehen, oder zu Verwandten fahren. Oder sich auf eine ausgedehnte Shoppingtour begeben. Wie jedes Jahr. Am Samstag, den 17. Mai 2008, finden im Ebenseer Ortsteil Finkerleiten die Feierlichkeiten zum Gedenken an die Befreiung des KZ Ebensee statt. Im Herbst 1943 wurde das sogenannte »Arbeitslager Zement« errichtet, um in unterirdischen Stollenanlagen die Raketenproduktion der deutschen Kriegsindustrie zu sichern. Diese Stollen mussten allerdings erst von KZ-Häftlingen in den Ebenseer Fels geschlagen werden. Unter kaum vorstellbaren Bedingungen. Raketen wurden in Ebensee nie produziert. Gegen Kriegsende war das Lager mit über 18.000 Häftlingen, unter ihnen auch die Häftlinge des mittlerweile berüchtigten Geldfälscherkommandos der ‚Aktion Bernhard’, vollkommen überfüllt. Von insgesamt rund 27.000 Häftlingen starben mehr als 8.500 Menschen im KZ, das Durchschnittsgewicht der ausschließlich männlichen Häftlinge lag bei der Befreiung durch amerikanische Truppen am 6. Mai 1945 nur knapp über dreißig Kilogramm. Seit 20 Jahren betreut Wolfgang Quatember die KZ-Gedenkstätte in Ebensee. Auch ein Museum für Zeitgeschichte, das mittlerweile weit über die Region hinaus bekannt ist, wurde von ihm aufgebaut. Für die jährliche Ausrichtung der Befreiungsfeiern ist ebenfalls Wolfgang Quatember zuständig. Da die Erhaltung der Gedenkstätte dem Bundesministerium für Inneres obliegt, gibt es von Seiten des Landes oder der Gemeinde keine finanzielle Unterstützung für die Betreuung der Gedenkstätte. »Immerhin«, so Quatember, »unterstützt die Gemeinde ideell und moralisch dieses ambitionierte Zeitgeschichteprojekt. Und zwar geschlossen.« Auch die FPÖ schickt jedes Jahr einen Vertreter zu den Feierlichkeiten. Den Grund für die nur zögerliche (An-)Teilnahme der Ebenseer Bevölkerung an der Gedenkarbeit vermutet Quatember in einer gewissen Abwehrhaltung und Konfrontationsscheu: »Warum sollen wir an einem Gedenken teilnehmen, das uns gar nicht unmittelbar betritt?«, so die anzunehmende Grundaussage. Zumindest die immer wieder auftauchenden Hakenkreuz- und SS-Runenschmierereien zeugen von einer gewissen Betroffenheit einiger Menschen in Ebensee. Dabei wird, wer einen anklagenden Ton bei den Feierlichkeiten vermutet, eher enttäuscht werden: die Befreiungsfeiern der letzten Jahre waren durchwegs von einer friedvollen, versöhnlichen – aber auch schmerzhaften Stimmung geprägt. Ähnlich wie bei den internationalen Gedenkfeiern in Mauthausen, verlässt man die Ebenseer Veranstaltungen gestärkt und ermutigt, in dem Bewusstsein, einem tatsächlichen ‚Fest der Völker’ beigewohnt zu haben. Wie eine Annäherung zwischen den, ob der schmucken Siedlung auf diesem grausamen Friedhof kopfschüttelnden Besuchern einerseits, und den sich hinter huyenhecken verschanzenden Anwohnern andererseits funktionieren kann, bleibt fraglich.»Langsam,« so Wolfgang Quatember, »scheint sich das Bewusstsein der Bevölkerung vor Ort doch zu ändern, es werden immer mehr. Gefühlsmäßig zumindest.«Die Befreiungsfeier in Ebensee findet am 17.05.2008 am Gelände des ehemaligen KZ statt. Beginn ist 10.30 Uhr. Die Befreiungsfeier in Mauthausen folgt am Tag darauf. Anfang August 2008 wird der Schriftsteller Christoph Ransmayer im Rahmen der Gmundner Festwochen im Gedenkstollen des KZ Ebensee aus seinem Roman »Morbus Kithara« lesen, der sich zu weiten Teilen auf die Geschehnisse rund um das KZ Ebensee bezieht.

David Guttner ist im Vorstand der KUPF. Lebt und arbeitet in Wien.

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