Angst hat das Hausruckviertel regiert

Über Medienmythen, Hysterie in der Exekutive und die Praxis der Feindschaft beim Festival der Regionen 2003 berichtet Veronika Leiner .

 

Zwei Karawanen zogen während des Festivals der Regionen durch Oberösterreich, die eine mit sieben Kamelen, den „Festival-Lieblingen“ (OÖN), die andere als Schrecken verbreitendes Feindbild im Doppeldeckerbus. Beide Karawanen setzen sich mittels unterschiedlicher Aktionsformen mit denselben Themen auseinander.

Die v.o.n. Karawane symbolisierte mit ihrem Kameltross, bepackt mit technischem Equipment wie Webcam und Satellitenschüssel, die technische Überwachung von Migrationsströmen genauso wie das Durchbrechen von Informationsgrenzen, Informationsmonopolen und Zensur. Recht gemächlich wanderte diese Karawane von Wolfsegg nach Linz und veranstaltete an ihren Lagerplätzen Diskussionen, Filmvorführungen und Vorträge zu Themen wie Medienmacht, Körperkult und Marktwirtschaft und Migration, Integration und Assimilation mit dem Fokus auf neoliberale Globalisierung. Ihre Themen transportierte die v.o.n. Karawane durch aktive Information, sie versuchte Raum zu schaffen für Diskussionen.

Die VolxTheaterKarawane ist mit ihrem zum mobilen Aktions- und Dokumentationszentrum umgebauten Doppeldeckerbus als Teil des noborder-Netzwerks für Bewegungsfreiheit in ganz Europa unterwegs. Wo globalisierungskritischer Widerstand geübt wird, provoziert sie mit theatralen Aktionen im öffentlichen Raum. Mittel sind (un)sichtbares Theater und Kommunikationsguerilla, mit denen herrschende gesetzliche und gesellschaftliche Festschreibungen aktionistisch aufgebrochen werden. Beim diesjährigen Festival der Regionen war diese Karawane mit einer Ausstellung zu Theorie und Praxis, Themen, Zielen und Konzepten globalisierungskritischer Bewegungen unterwegs – und versprach im Festival-Programm aktionistische Interventionen.

Doch noch eine „dritte Karawane“ begleitete das Festival: Medien und Exekutive befanden sich in erhöhter Alarmbereitschaft – womit seit der Verhaftung einiger Mitglieder der VolxTheaterKarawane bei globalisierungskritischen Protesten in Genua 2001 und dem folgenden Medienhype zu rechnen war. Schon bei der Eröffnung des Festival der Regionen in Wolfsegg am Hausruck lagen kolportierte 40 schwer bewaffnete Elite-Beamte im Wald, um den Landeshauptmann vor der als „Pühringer-Fanclub“ auftretenden VolxTheaterKarawane zu beschützen. Fürderhin sahen sich Festival-Leitung, VolxTheaterKarawane und v.o.n.Karawane mit zunehmender Aufmerksamkeit der Exekutive konfrontiert: Vor allem das „Amt für Verfassungsschutz und Terrorismus“ (!) erkundigte sich im Festivalbüro mehrmals täglich nach Aufenthaltsort und geplanten Aktionen der VolxTheaterKarawane, die Medien sprangen auf den Hysterisierungszug auf und das Festival unter dem Motto „Die Kunst der Feindschaft“ wurde zum Feld für die Praxis der Feindschaft.

Die VolxTheaterKarawane sei eingeladen worden, weil es Ziel des Festivals gewesen sei, das Spektrum der „Kunst der Feindschaft“ ernsthaft zu diskutieren. Und eine Gruppe, die seit zwei Jahren als symbolischer Feind der Gesellschaft und des Staates präsentiert worden sei, wäre dafür prädestiniert, so die Festival-Leitung. Allerdings schien sie nicht damit gerechnet zu haben, dass die VolxTheaterKarawane tatsächlich so agieren würde, wie sie es immer tut. Oder: „Wer Widerstand einlädt, muss damit rechnen, dass er auch stattfindet“, wie es die VolxTheaterKarawane ausdrückt.

Selbst wohlmeinende JournalistInnen gehen in ihren Artikeln selten darüber hinaus, zu bekräftigen, dass die VolxTheaterKarawane – entgegen der im Boulevard verbreiteten Ansicht – eben keine Gruppe von gewaltbereiten GlobalisierungskritikerInnen ist. Um Inhalte und Konzepte ihrer die Gemüter erhitzenden theatralen Aktionen geht es in Medienberichten jedenfalls selten: Die Tatsache, dass sich die TheateraktivistInnen mittels offensichtlich gefälschtem Bescheid Zugang zu Schulklassen verschaffen, um dort „biometrische Vermessungen“ („Welche Schuhgröße hat dein Vater?“) an SchülerInnen vorzunehmen, ist heftige mediale Erregung wert. Nicht aber die Tatsache, dass sich weder Direktor noch LehrerInnen gegen einen solchen Eingriff in die Privatsphäre ihrer SchülerInnen verwehren. Diskutiert wird weder die Obrigkeitshörigkeit der PädagogInnen noch geplante Gesetze, die den Weg zum viel beschworenen gläsernen Menschen zum Boulevard machen.

Hier liegt wohl auch ein zentrales Problem der öffentlichen Wahrnehmung der VolxTheaterKarawane: Ihre Themen, Ziele und Konzepte medial zu transportieren, gelingt ihr kaum. Es sei absurd, meinte einer der VTK-Aktivisten in einer Radio FRO-Diskussion am letzten Festivaltag, dass sich Artikel über die VTK nach wie vor fast nur mit Genua befassen. „Das ist das Problem, das wir haben mit der Medienberichterstattung, weil Genua bis zu einem gewissen Grad die bestimmende Assoziation zur VTK ist. Was passiert ist eine Mythologisierung, mit Bildern, die nicht stimmen.“

Ein Problem, mit dem auch die „andere“ Karawane des Vereins ohne Namen (v.o.n.) konfrontiert ist: Medial vermittelt werden hauptsächlich die sieben mehr oder weniger putzigen Kamele. Die v.o.n. Karawane, die allein wegen der Namensähnlichkeit nicht nur einmal mit der VolxTheaterKarawane verwechselt wurde, musste einerseits mit der daraus resultierenden Skepsis umgehen. Andererseits wurde sie sowohl von der Festival-Leitung als auch von den Medien schnell als das liebe, brave Kunstprojekt mit den netten Tieren präsentiert, Inhalte schienen da oft sekundär.

Auch im Umgang mit der künstlichen Aufregung um die Karawanen hat die Leitung des Festivals der Regionen ungeschickt agiert. Hätte sie, so frägt frau sich, nicht früher als erst am vorletzten Festivaltag an die mediale Öffentlichkeit gehen sollen? Ist es zielführend, sich zunächst einmal von einer zum Festival eingeladenen Gruppierung zu distanzieren, deren Arbeitsweise bekannt und deshalb wohl wenig überraschend ist? Von einem Festivalprojekt, das genau so beworben wurde, wie es dann agierte: als „Medienguerilleros“ mit ihrem „Labor für Widerstandstechnologien“ mit „(un)sichtbaren theatralen Eingriffen im Einzugsgebiet des Festivals“. „Angst hat das Hausruckviertel regiert“, meint Dagmar Schink, Linzer Künstlerin und Initiatorin des Projekts v.o.n.Karawane. „Mich hat die Verwirrung, die es mit der Bevölkerung gegeben hat, nicht gestört. Was mich sehr gestört hat war, dass eine Angst entstanden ist vor Karawanen, die ich nicht verstehen kann, weil sowohl unsere, die da jetzt als gute und fast engelsgleiche dargestellt wird, niemandem etwas zuleide getan hat und die VolxTheaterKarawane auch nicht. Die aktivistische Art wie die VolxTheaterKarawane agiert, ist ja jetzt nicht umgearbeitet worden, dass das Erscheinungsbild ein völlig neues wäre für das Festival der Regionen. Also ich versteh die Überraschung nicht. Schon im Vorfeld hätte man die Bevölkerung im Hausruckviertel mit den Inhalten und Aktionismen vertraut machen müssen, um damit eine Sensibilisierung zu erzielen. Da ist aus einer Mücke ein Elefant geworden.“

Mit der künstlichen Aufregung um die Aktionen der VolxTheaterKarawane, die übrigens am vorletzten Festivaltag ihre „artivistischen ‚Kampfhandlungen‘ im Rahmen des Festivals der Regionen“ einstellte, ist vermutlich ein neuer kleiner oberösterreichischer Medienmythos entstanden. Immerhin ergab sich aber zumindest kurzfristig und in beschränktem Rahmen so etwas wie eine öffentliche Debatte über Staat, Staatsmacht und das Verhältnis von Kultur, Politik und Gesellschaft. Ob das als Leistung des Festivals der Regionen zum Thema „Die Kunst der Feindschaft“ oder als Leistung des erfolgreichen Gespanns Exekutive und Medien zu verstehen ist, bleibt dahingestellt.

 

Veronika Leiner

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