Kulturlockdown für 97%: Warum das neue Landesgesetz eine Lex Landestheater ist und fast die gesamte freie Szene zusperren muss

Das Land Oberösterreich hat letzten Freitag ein totales Veranstaltungsverbot angekündigt, von dem aber der „professionelle Kulturbereich“ ausgenommen werden sollte. Alle in der Kulturszene und viele MedienvertreterInnen fragten sich darauf hin, wie wohl diese Anforderung legistisch umgesetzt werden würde, gab es ja eine solche Differenzierung bisher noch nicht. Wir haben das Land OÖ sofort nach der PK darum gebeten, eine möglichst präzise, klare und transparente Definition des Begriffes vorzunehmen, um unnötige Diskussionen zu vermeiden.

Das Landesgesetz wurde Samstags ohne Kommentar veröffentlicht und trat gestern, Montag, in Kraft. Wir als Interessenvertretung haben zwar darum gebeten, es vorab oder sofort nach Veröffentlichung zugeschickt zu bekommen, mussten es am Sonntag dann aber erst auf eigene Recherche im Rechtsinformationssystem des Bundes finden. Man sollte annehmen, dass es bei einem Gesetz, dass hunderte Betriebe und tausende Menschen betrifft, ein öffentliches Interesse an Kommunikation mit den Betroffenen und ihren Interessenvertretungen besteht, aber das ist und bleibt in Österreich leider ein fromer Wunsch.

Das vorliegende Gesetz hat leider die erhoffte Präzision des Begriffes nicht gebracht, im Gegenteil, wie wir in unserer ersten Stellungnahme am Sonntag gezeigt haben. Jetzt, gute 48 Stunden später, haben wir nach einem Kommunikationswirrwarr mit divergierenden Aussagen das schleichenden Gefühl, dass wohl das einzige Ziel des Gesetzes war, den Weiterbetrieb der landeseigenen Einrichtungen zu ermöglichen.

Denn die uns nun vorliegende Erläuterung des Verfassungsdienstes lautet wie folgt:

Zu § 6 Abs. 3: Für die im § 8 Abs. 5 letztere Satz der 3. COVID-19-Maßnahmenvorordnung (bzw. § 9 Abs. 7 der 5. COVID-19-Schutzmaßnahmenveordnung) genannten Kultureinrichtungen, also solche, in denen überwiegend Zusammenkünfte stattfinden, wie insbesondere Theater, Kinos, Varietees, Kabaretts, Konzertsäle und -arenen gilt ergänzend:
Als Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot von Zusammenkünften über 25 Personen dürfen dort Zusammenkünfte nur in solchen Veranstaltungsstätten stattfinden, die – nicht nur überwiegend – sondern ganzjährig und regelmäßig und unter einer unternehmerischen Gesamtverantwortung dem jeweiligen Zweck dienen, also grundsätzlich für den jeweiligen Zweck gewidmet sind.
Voraussetzung ist jedenfalls, dass die Veranstaltungsstätte als solche ganzjährig und regelmäßig, dem jeweiligen Veranstaltungszweck dient und dafür gewidmet ist. Demnach ist eine Zusammenkunft zum Zweck einer Theateraufführung nur in einem Theater, also einem Veranstaltungsraum zugelassen, in dem grundsätzlich ausschließlich Theateraufführungen stattfinden, nicht etwa aber in einem Mehrzweck- oder sonstigen Veranstaltungsräumen.
Als zusätzliches Abgrenzungskriterium dient die notwendige unternehmerische Gesamtverantwortung für die Veranstaltungsstätte im Sinn eines auf den genannten Veranstaltungszweck hin gerichteten dauerhaften und damit auch verantwortlichen Managements, das auch den aus epidemiologischen Gesichtspunkten nötigen sicheren Betrieb einschließlich einer geordneten Abwicklung des Besuchermanagements gewährleistet.
Weitere zusätzlich notwendige Kriterien sind bauliche bzw. ausstattungsmäßige Gegebenheiten, wie fest verankerte, nicht verschiebbare Sitzreihen sowie darüber hinausgehend weitere organisatorische Maßnahmen, wie etwa durch Einzelkarten zugewiesene Sitzplätze, effektive Zutrittskontrollen und geschultes Aufsichts- bzw. Sicherheitspersonal. Alle diese Rahmenbedingungen und Maßnahmen müssen als Gesamtpaket gesehen sicherstellen, dass es vor und während der Vorführung zu keiner epidemiologisch kritischen Durchmischung und Interaktion der Kunden (Besucher) kommt bzw. eine solche von den Rahmenbedingungen her weitgehend ausgeschlossen werden kann.
Wie jede Ausnahmebestimmung ist auch diese im Übrigen von den zuständigen Behörden eng auszulegen, sodass Zusammenkünfte in diesem Bereich nach dieser Bestimmung im Ergebnis nur in den ganzjährig als Theater und/oder Konzertsälen unter einer unternehmerischen Gesamtverantwortung geführten Spielstätten zulässig sein werden.
Die Maskenpflicht richtet sich nach § 1 Abs. 5.

Quelle: Verfassungsdienst des Landes OÖ

Diese Erläuterung wurde laut dem Land OÖ auch Mittwoch Vormittag den für die Auslegung zuständigen Bezirkshauptmannschaften als Richtschnur übermittelt. Während auch hier das Rätsel der „unternehmerischen Gesamtverantwortung“ nicht aufgelöst wird (ein Begriff, der bisher in der zweiten Republik noch nie in einem Gesetzestext aufgetaucht ist), so verbirgt sich ein sonderbares Knock-Out Kriterium in Absatz 5: „fest verankerte, nicht verschiebbare Sitzreihen“ werden als „zusätzlich notwendiges Kriterium“ definiert.

Solche fest verankerten Sitzreihen findet man in Oberösterreich im Musiktheater und Landestheater, im Brucknerhaus und in manchen Sälen des Posthofs, im Theater Phoenix dann noch in den (ehemaligen) Kinos. Aber der Großteil der freien Kulturstätten in Oberösterreich ist auf flexible Nutzung ausgelegt, wo einmal Stehkonzerte stattfinden, dann wieder Sitzreihen stehen oder Tische aufgestellt werden. Das ist auch den wechselnden Formaten der meisten Häuser geschuldet, die gerade am Land in der Regel als Mehrspartenhäuser geführt werden, in denen einmal Theater, einmal Musik, einmal Literatur und einmal Bildungsveranstaltungen stattfinden.

Genau solcherart flexibel genutzte Räume bergen aus Sicht des Landes aber offensichtlich ein höheres Infektionsrisiko, wird doch explizit die Aufführung von Kulturveranstaltungen in Mehrzweckräumen verboten. Das betrifft gerade am Land die meisten Vereine, den abseits der Ballungszentren sind so gut wie alle Veranstaltungsräume nicht für eine singuläre Nutzung gewidmet sondern werden für ein breites Spektrum von kulturellen, gesellschaftlichen, politischen und privaten Zwecke genutzt.

Wir gehen als KUPF OÖ davon aus, dass das Gesetz aus verschiedenen Gesichtspunkten juristisch anfechtbar ist. Das ist am Ende aber wohl ein zweckloses Unterfangen, da das Gesetz längst ausgelaufen ist, bevor eine solche Anfechtung ausjudiziert wäre.

Das vorliegende Gesetz bringt leider eine massive Rechtsunsicherheit für alle nicht-öffentlichen KulturveranstalterInnen in OÖ. Wir empfehlen allen Mitgliedern zur Sicherheit den Versuch einer Genehmigung bei den zuständigen Behörden zu unternehmen, bevor sie eine Veranstaltung absagen. Da das Land OÖ die Behörden aber angewiesen hat, eine restriktive Anwendung des Rechts durchzuführen, müssen wir davon ausgehen, dass der Großteil der KUPF Mitglieder nun in einem de facto Kulturlockdown ist. Es steht weiters leider zu befürchten, dass die Behörden in vielen Fällen nicht rasch genug reagieren werden und der Großteil der KulturveranstalterInnen daher aus Sicherheitsgründen die Veranstaltungen dennoch absagen werden.

Aus Sicht des Großteils der Szene wäre es wohl besser, wenn das Land OÖ einen kompletten Lockdown verhängen würde. Denn dann hätten die freie Szene zumindest Anspruch auf Hilfsleistungen vom Bund. Beispielsweise sind aufgrund der nicht expliziten, sondern nur impliziten Schließung der Kulturbetriebe aus Sicht des AMS die Kulturbetriebe von der neuen Sonder-Kurzarbeitsregel ausgeschlossen, die für Bars und Diskotheken gilt.

Das Land OÖ selbst hat bereits Hilfsmaßnahmen angekündigt. Es bleibt aber fraglich, ob der entstandene Schaden auch nur annähernd ausgeglichen werden wird. Denn alleine der Bund hat über den NPO Fonds im Jahr 2020 den oberösterreichischen Kulturvereinen einen teilweisen Einnahmenentgang von 6,5 Mio Euro ersetzt. Wir gehen davon aus, dass ein Monat Lockdown den gemeinnützigen Kulturträgern in OÖ etwa einen Schaden von 1-2 Mio € pro Monat verursachen wird.

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