Direkte Demokratie?

In den letzten Jahren nimmt die Forderung nach „mehr direkter Demokratie“ Fahrt auf – von links bis rechts, von Dorf bis Bund, von Opposition bis Regierung hört man zahlreiche Rufe nach direkten WählerInnenentscheiden in politischen Entscheidungsfragen.
 

Demokratie? Alles oder nichts!

Ganz ohne wirksame direkte Demokratie sind wir in die Situation einer gefährlichen politischen Gratwanderung geraten. Schon vor den größeren Fluchtbewegungen war das politische System desolat. Hauptsächlich der bewusste Unwille, Asylpolitiken menschenwürdig und früher gemeinsam mit der Bevölkerung zu gestalten, hat die Unzufriedenheit ins Schwarzblaue gesteigert. Diese Situation macht auch die ProKontra-Frage hier in der Kürze nicht leicht.

Mit der IG Demokratie setzen wir uns für eine Art Grundrecht ein, das den Menschen ermöglichen soll, das politische System an sich laufend mitzugestalten. Dazu gehört auch das Agenda-Setting, das bis auf wenige Ausnahmen bei der Regierung liegt. Die wirksame Möglichkeit, menschenrechtskonforme Gesetzes-Initiativen zu starten, würde sich unter veränderten Umständen dafür eignen und Bewegung in wichtige Debatten bringen. Auch die Parteien wären gezwungen, anders Politik zu machen.

Um zu vermeiden, dass Dinge böse enden, mit oder ohne direkter Demokratie, bräuchte es aber eine Reparatur der politischen Diskurse. Dazu braucht es zuerst Transparenz und Informationsfreiheit, damit Politik auf etwas anderem basieren kann, als auf partei- und konzerngesteuerten Medien oder Strache-Postings. Neben anderen wichtigen Punkten sind eine selbstbestimmte politische Bildung für alle und das Thema Ressourcen zentral. Wer hat die Mittel, sich zu informieren, sich einzubringen, eine Initiative zu starten? Gäbe es zum Beispiel eine Demokratiefinanzierung und weniger Parteienfinanzierung, wäre es auch möglich, benachteiligte Menschen in ihrem Engagement zu unterstützen.

 

stefan schartlmüller

Wenn dann eine Dialogkultur hergestellt ist, Ressourcen zur Verfügung stehen und die Wege wie Initiativen gestartet werden, intelligent gestaltet sind, dann spricht nichts dagegen, bindende Abstimmungen ab gewissen Quoren zu ermöglichen.
Zwischen Initiative und Abstimmung bräuchte es etwa noch reflektierte und inklusive Diskussionsprozesse, die es ermöglichen, alternative Optionen in die Abstimmung zu reklamieren.
Dann hätten wir 2013 vielleicht breit über die Sinnhaftigkeit oder sogar die Abschaffung des Bundesheeres diskutiert/abgestimmt. Ganz grundsätzlich sollte durch den direkten Zugang die Zufriedenheit wieder steigen und ein anderes Selbstverständnis von Politik entstehen.

 

Die Krux mit der real existierenden direkten Demokratiecontra

So unangetastet gut die grundlegende Maxime der direkten Demokratie ist, den Volkswillen so unverfälscht wie möglich in politische Entscheidungen münden zu lassen, so haben ihre Ausformungen der letzten Zeit auch offensichtlich gemacht, welche Gefahren sie birgt. Insbesondere das Argument, mehr direkte Demokratie führe zu intelligenteren Kampagnen und in der Folge zu einer informierten Öffentlichkeit, trifft in der Praxis auf Boulevardmedien und Facebook-Algorithmen und driftet ins krasse Gegenteil ab.

Die Forschung zum Thema zeigt dennoch, dass die Bevölkerung umso aktiver und informierter ist, je häufiger es zu direktdemokratischen Beteiligungsprozessen kommt, und zwar vor allem im kommunalen Bereich und auf lange Sicht. Leider erleben wir eine andere Praxis und das meist auf nationaler Ebene: Entweder die Bevölkerung ringt der Politik zu viel zu späten Zeitpunkten eine Entscheidung ab, oder politische Parteien lagern Entscheidungen aus und ködern mit dem Versprechen, der Bevölkerung grundsätzliche Entscheidungen umzuhängen, deren Stimmen.

maxi lengger

Anders als beim Volksbegehren, das als Agenda-Setting fürs Volk ‚von unten‘ funktioniert, machen Volksabstimmungen ‚von oben‘ nur dann Sinn, wenn die Bevölkerung grundsätzlich das Gefühl hat, dass die Politik auf ihre Bedürfnisse und Probleme adäquat eingeht. Ansonsten riskieren solche Referenden erst, wie in jüngster Zeit, an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeizugehen oder ihre Entscheidungskompetenz zu überfordern. Fehlen dem direkt-demokratischen Prozess die Ausgestaltung durch eine tatsächliche, stärkere Einbeziehung der BürgerInnen, führt das zu unbefriedigenden Ergebnissen in einem eher kontraproduktiven Zusammenspiel von repräsentativer Demokratie und direkt-demokratischen Instrumenten.

Dem Bedürfnis nach mehr Partizipation, das für eine gesunde Demokratie wichtig ist, kann aber auch anders Rechnung getragen werden, insbesondere für die Beteiligung an der Willensbildung auf nationaler Ebene: Bei den Übersetzungsprozessen des Wählerwillens innerhalb der Parteien gibt es enormen Spielraum zur Verbesserung und Demokratisierung.

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