Seit dem 4. Feber ist alles anders. Die Szene ist aufgewühlt, Kunstschaffende sind beunruhigt, Initiativen besorgt um ihre Zukunft. Nicht zu Unrecht, war doch der Wahlkampf noch in Erinnerung, der der jetzigen großen Koalitionspartei zu ihrem Erfolg verholfen hat und der an Verhetzung und bösartigster Polemik alles Bisherige übertroffen hatte. Auch die Angriffe auf zeitgenössische KünstlerInnen und kritische Initiativen hatten sich wesentlich verstärkt und sind nun Ð durch die Regierungsbeteiligung Ð zu einem Teil des neuen politischen Stils in diesem Land geworden. Ist seit dem 4. Feber wirklich alles anders?
von Gerhild Trübswasser
Wie hatte es denn bis dahin ausgeschaut in den letzten Jahren? Klar hatte es eine wohlwollende Einstellung der Sozialdemokratie gegenüber der Kultur gegeben – aber ist denn schon vergessen, daß auch die allerhand Anpassungsleistung gekostet hat? Die Kulturszene hatte sich schlecht und recht arrangiert mit den politischen Verhältnissen, aber zumindest ein Ergebnis davon war eine wehleidige Unzufriedenheit mit diesem Arrangement und mit so manchen Einschränkungen, die eine friedliche Kooperation eben verlangte.
Der Aufruhr, der nun durch die Kulturszene wogt, ist einer, der geeignet sein könnte, bestimmte schon etwas träge gewordene Strukturen in Bewegung zu bringen. So unangenehm, unappetitlich und bekämpfenswert so allerhand Drohungen von seiten der neuen Regierung sind und zum Handeln zwingen: die gegenwärtige Situation sollte auch dazu genutzt werden, den Platz und das Gewicht der Kulturinitiativen in unserer Gesellschaft neu zu definieren. Dies könnte durch eine Radikalisierung auf dreierlei Ebenen geschehen und bedeutet:
- die radikale Analyse der aktuellen Ausgangssituation
- die radikale Demokratisierung der Strukturen
- die radikale inhaltliche Debatte mit starkem Gewicht auf den Demokratiediskurs
Die radikale Analyse hat die aktuelle Situation abzuklopfen auf ihre Entstehung und alle jene Möglichkeiten auszuloten, wie die gegenwärtige Situation zur Weiterentwicklung der engagierten Kulturarbeit und des künstlerischen Schaffens genutzt werden kann.
Ein Aspekt der radikalen Analyse sollte auch der Anfälligkeit gelten, gegenüber den Subventionsgebern vorsichtig zu sein, Grenzen vorwegzunehmen – und sei es nur im Kopf. Die eigene Kulturarbeit schon im Vorhinein an ihrer Finanzierbarkeit durch öffentliche Gelder zu messen und (sich) zu fragen „Dürfen wir denn das?“ Zur radikalen Analyse zählt weiters, endlich die längst fällige Unterscheidung zwischen Kulturarbeit und Kultur- und Kunstvermittlung zu treffen und durchzuargumentieren. Die bisher gehandhabte Vermischung dieser beiden Bereiche ist mit ein Grund für die große Diffusität, die seit Jahren die Szene in ihrem Auftreten und ihren Ausdrucksformen hemmt. Ein Grund dafür könnte sein, daß diese beiden Aufgabenbereiche völlig unterschiedliche Aktionspotentiale haben. Kulturarbeit ist zu einem ganz großen Teil gelebte Demokratie – immer noch! Kulturarbeit, wie sie in den Initiativen passieren kann, hat einen großen Vorteil gegenüber den großen kunstvermittelnden Einrichtungen: sie kann in ihrer Arbeit unmittelbare demokratiepolitische Akzente setzen, die nach innen und nach außen wirken. Dazu gehören die eigenen Organisationsstrukturen, die demokratische Entscheidungsprozesse garantieren (sollten) ebenso wie gesellschaftspolitisch relevante Anmerkungen zur Zeit Ð in welcher Form auch immer. Eine zentrale Aufgabe von Kulturarbeit ist die Herstellung eines kreativen Klimas Ð eine schwierige Aufgabe und unter den Bedingungen der Vermischung mit Kunstvermittlung besonders schwierig. Der demokratiepolitische Teil dieser Arbeit wäre dann die weitestmögliche Ausdehnung des kreativen Raums. Diese Arbeit hat qualitativ viel mit Engagement, Kreativität, Kommunikationsfreudigkeit und Ähnlichem zu tun, also Fähigkeiten, die beteiligte Personen mitbringen und zur Verfügung zu stellen bereit sind und die im Rahmen der Kulturarbeit weiterzuentwickeln sind. Kunst- und Kulturvermittlung haben völlig andere Aufgaben. Sie müssen sich viel mehr um die Inhalte kümmern, müssen sorgfältig auswählen, welche Inhalte zu vermitteln sind. Diese Aufgabe scheint mir am klarsten definiert, hier gibt es viele Erfahrungen, Diskussionen, Übereinkünfte in der KI-Szene. Was hier produziert, präsentiert und realisiert wird, fährt auf verläßlichen Schienen und kann wohl als zufriedenstellend bezeichnet werden. Ein weiteres Element im Rahmen der Kunstvermittlungstätigkeit sind die Arbeitsbedingungen. Und dies heißt in Zeiten reduzierter Finanzierungen: Arbeitskampf, Organisierung: gewerkschaftlicher oder sonstiger Art. Dabei geht es ganz klar um Arbeitsbedingungen, und das muß auch nach innen und außen klar gemacht werden. Daß dies gar so schwierig ist, könnte mit der obengenannten Vermischung der Tätigkeitsbereiche zu tun haben: politischer Anspruch, Selbstausbeutung, unabgesicherte Arbeitsbedingungen (Stichwort: jährliche Subventionierung) vermengen sich argumentativ und faktisch zu einem unangenehmen, lähmenden Filz der gut geeignet ist, die Kulturarbeit lustlos und frustrierend und deren Ergebnis ziemlich uninteressant erscheinen zu lassen. Die Begriffe Kulturarbeit und Kunstvermittlung werden noch heute auf hochkarätig besetzten Symposien synonym gebraucht, was zeigt, wie schwer es ist, diese Unterscheidung zu vollziehen, die doch so grundlegend für die Definition der eigenen Tätigkeit und somit des professionellen Selbstverständnisses ist.
Die radikale Demokratisierung der Strukturen trifft vor allem den institutionalisierteren Bereich der KI-Szene und dabei gleich mehrere heikle Punkte, denn: Spielregeln, mit denen Demokratie gelebt werden kann, sind erst einmal herzustellen. So wie in weiten gesellschaftspolitischen Bereichen in Österreich üblich, gibtÕs auch in der Kulturszene diesbezüglich noch allerhand zu tun. So manche Einrichtung wurde mit der Zeit zu einem kleinen Reservat, in dem die Logik der Verwaltung alle Entscheidungsebenen und damit bald auch alle beteiligten Hirne dominiert; in dem Seilschaften die inhaltliche Schwerpunktsetzung vorgeben und dadurch die Einflußmöglichkeiten höchst unterschiedlich verteilt werden. Allein am Beispiel der Geschlechterdemokratie können allerhand Schlüsse über die Verfaßtheit der internen demokratischen Strukturen gezogen werden. (Siehe die Verteilung von Frauen und Männern in den Entscheidungsebenen der Kulturinitiativen!) Die Einrichtung und Aufrechterhaltung demokratischer Strukturen ist mühsam und bedarf ständiger Pflege. Es ist ja nicht so, daß wir alle von vorneherein wüßten, wieÕs geht, denn gerade in Österreich sind ja die Vorbilder spärlich. Schließlich sind wir ein Land, wo seit Jahrzehnten nicht demokratisch legitimierte Machtzentren wie die Sozialpartnerschaft Politik machen und das âAusmauschelnÔ zum Erfolg führt. Davon gilt es sich abzugrenzen. Der schöne Nebeneffekt einer radikalen Demokratisierung der internen Strukturen wäre sicherlich eine höhere Durchschlagskraft der kulturpolitischen Forderungen nach außen.
Die bisher genannten Aspekte verschränken sich mit der radikalen inhaltlichen Debatte Ð im Sinne eines neuen, umfassenden Demokratiediskurses. Es wäre an der Zeit, daß kulturpolitische Praxis und kulturpolitische Theorie in diesem Diskurs wieder zusammenfinden. Die eine leidet an inhaltlicher Auszehrung, die andere kreist um sich selbst, angekurbelt von immer den gleichen Protagonisten. So halte ich es beispielsweise derzeit für eine ziemlich luxuriöse Debatte, darüber zu diskutieren, wem der Begriff Zivilgesellschaft gehört, wie etwa beim vergangenen Symposium der IG Kultur. Es gibt derzeit viel zu tun, denn die Gefahr besteht in der Normalisierung der derzeitigen Verhältnisse: der Ausgrenzung, der massiven Budgetkürzungen für Kultur und Soziales und alles sonstigem, das keine starke Lobby hat, der Fremdenfeindlichkeit, der verbalen Entgleisungen, der offenen Lügen usw. Das Arrangement mit den bisherigen Regierungen hat immer schon Kraft und Qualität gekostet, jetzt geht es darum, Kulturarbeit unter demokratiepolitischen Aspekten neu zu definieren und ebenso neu zu realisieren.