Über die Manifestation von Macht und Masse auf der Straße Anhand einiger (natürlich unvollständiger) Beispiele aktueller Demonstrationsbewegungen werden Unterschiedlichkeiten und Parallelen zwischen verschiedenen Formen öffentlicher Kundgebungen analysiert.
von Silke Drack
Es wird wieder demonstriert in Österreich. Nach den Jahren, in denen Demonstrationen etwas Verstaubtes, Nostalgisches an sich hatten, einen verzweifelten Versuch darstellten, etwas vom alten Glanz der revolutionären Bewegungen anfang des Jahrhunderts zu konservieren. Selten kam man über ein paar hundert TeilnehmerInnen hinaus, nur wenige Proteste erreichten die Größe einer Anti-AKW Bewegung oder eines Lichtermeeres.
Die Methode, Macht und Stärke einer Geisteshaltung oder eines Systems zu beweisen, indem viele Menschen auf der Straße marschieren, ist tief in der mitteleuropäischen christlichen Tradition verankert. Zu vielen christlichen Feiern wurden – und werden – mehr oder weniger durchliturgisierte, symbolbeladene Prozessionen abgehalten, von denen die Fronleichnamsprozession die bekannteste und auffälligste ist. Aber auch bei anderen Festen werden Umzüge abgehalten, wie etwa bei Erstkommunionen, Hochzeiten oder der Palmweihe. Die Funktion ist komplex und vielfältig. Ein tragender Pfosten ist das Gemeinschaftsgefühl, das im gemeinsamen Marschieren erzeugt wird, eine Demonstration der Macht und der Abgrenzung zu anderen Gruppen – obwohl es interessanterweise in nahezu jedem Kulturkreis traditionelle Umzüge gibt; ein weiterer ist die Manifestation des Wunsches nach Veränderung, deren Beginn mit dem Marsch eingeläutet wird. Auch kritische Gedanken wurden im Mittelalter bereits über die Straße unter die Leute gebracht, so stellte der Karneval die oft einzige Gelegenheit im Jahr dar, Kritik an HerrscherIn und Kirche zu üben. Auch heute gibt es autoritätskritische Demonstrationen die als Karneval angekündigt werden, wie etwa die Opernballdemonstration 2000.
Ein wesentliches Element des gemeinsamen Marschierens ist das Abgehen von Stationen. So erhält der Umzug Struktur, die Station wird zum Symbol, das für sich selbst steht. Es ist sozusagen die einzige Struktur, die der Route der Donnerstagsdemos zugrunde liegt, ausser der wöchentlichen Kontinuität. Es werden die Plätze in Wien aufgesucht, an denen das Handeln der nun schon 7 Monate amtierenden Regierung geplant oder durchgeführt wird: das heißt zu den Parteizentralen und zum Parlament, aber auch zu Polizeistationen, in denen Menschen (meist dunkler Hautfarbe) auf mysteriöse Weise zu Tode kamen. Eine gleich agierende Menschenmasse sendet Botschaften an zwei Gruppen von EmpfängerInnen aus – die SympathisantInnen und GegnerInnen. Man bedient sich daher klar verständlicher Symbole und Parolen, die eindeutig einer bestimmten Geisteshaltung zugeordnet werden können. Beliebte Hilfsmittel sind Fahnen in verschiedenen Farben, wobei die Rote Fahne im Zuge der Widerstandsbewegung gegen die FPÖVP Regierung eine Umcodierung erfahren hat. Sie wird oft als Zeichen der Solidarität mit den DemonstrantInnen aus dem Fenster gehalten, was nicht unbedingt heißen muß, daß die BewohnerInnen überzeugte Sozis wären. Die primäre Funktion von optischen Symbolen liegt darin, daß die Umstehenden darauf aufmerksam und emotional davon berührt werden, egal ob es sich um die Monstranz mit der Hostie, dem Bild Öczalans oder dem Marcus Omufumas handelt. Ein bildliches Symbol will wachrütteln und in Erinnerung bleiben. Ohne ins Esoterische abgleiten zu wollen: eine Menschenmasse erzeugt Energie, die Gleichgesinnte ermutigt und die GegnerInnen zur Resonanz zwingt. Dabei war bei den straff organisierten Märschen, wie der Fronleichnamsprozession aber auch den frühen Märschen der KP und der Sozialdemokratie, die Rolle des/r „VorbeterIn“ eine entscheidende. Er/sie hatte es in der Hand, die Masse zu dirigieren und als KatalysatorIn für die aufgestauten Gefühle zu wirken. Dieser Mechanismus sollte in Hitler seine traurige Perfektion erreichen. Menschen, die auf einer Donnerstagsdemo ein Megaphon mithaben, zu unterstellen, sie würden diese Funktion innehalten, ist schon deshalb nicht möglich, weil es dabei jedem/r freisteht, sich mit welchen Hilfsmitteln auch immer an der Demo zu beteiligen. Von der Anfang dieses Jahrhunderts erstarkenden Sozialdemokratie wurden diese Mechanismen aufgegriffen: die Monstranz wurder durch die Rote Fahne ersetzt, der Fronleichnamstag durch den ersten Mai und die gefalteten Hände des Priesters durch die zum Kampf erhobene Faust. Waren die christlichen Umzüge noch geprägt von der Unterordnung unter eine diffuse Gottheit, stellte das Volk sich hier erstmals auf die Füße, organisierte selber Umzüge und Märsche, ohne blind hinter einem/r von Gott gesandten FührerIn herzulaufen. Dies sollte sich schnell ändern. Die nach dem ersten Weltkrieg durch Hunger und Arbeitslosigkeit gebeutelte ArbeiterInnenschaft sehnte sich nach jemandem, der/die sie aus der Misere führen würde. Und da kam dann er, ein kleiner redegewandter Anstreicher und drittklassiger Aquarellmaler, der der Masse versprach, wovon ihre kleinen, unterdrückten und neurotischen Seelen so lange geträumt hatten – nämlich Wohlstand, Macht und Einzigartigkeit. Alles sollte besser werden, und um seinem Vorhaben Nachdruck zu verleihen, inszenierte er gewaltige symbolbeladene Kundgebungen und Aufmärsche. Er selber übernahm die Rolle des Vorbeters, und er machte seine Sache so gut, daß, als er fragte „Wollt ihr den totalen Krieg“, das Volk „Ja“ schrie. Über die Symbolik des Dritten Reiches sind genug Bücher geschrieben worden, um zu beweisen welchen Stellenwert Massenveranstaltungen bei der Manipulation der Masse einnehmen. Was aber nicht heißt, daß alle dynamische Massenveranstaltungen manipulativ sein müssen. Jede Strömung, die sich nicht sicher ist, ob ihre Inhalte der Masse gefallen, aber auf die Masse angewiesen ist, um zu Macht zu gelangen wird sich diese in vielen Büchern nachlesbaren Mechanismen zunutze machen. Das ist der Punkt, in dem sich Demonstrationen – wie die der Sozialdemokratie, Lichtermeere und Donnerstagsdemos u. a. – von inszenierten Spektakeln eines Hitler oder einer FPÖ unterscheiden. Demokratische Massenveranstaltungen liegt eine innere Dynamik, eine Spontaneität des nicht Vorhersehbaren zugrunde. Veranstaltungen wie die Vorstellung der EU-KandidatInnen der FPÖ am 1. 5. Ô99 im Wiener Kongresscenter, bei dem nur SympathisantInnen zugelassen waren, sind manipulativ, weil sie keinerlei Form der Interaktion außer des bedingungslosen Beifalls zulassen.
Eine von unten gewachsene Protestbewegung, wie die Donnerstagsdemo, muß der FPÖ als gefährlich erscheinen. Es paßt nicht in ihr Weltbild, die Masse selbst entscheiden zu lassen, wie sie Politik gestalten möchte. Darauf antwortet die FPÖ mit konstruierten Vorwürfen – es gäbe eine Organisation – und Kriminalisierung. Anscheinend glaubten manche FPÖ-PolitikerInnen (wie Hilmar Kabas) so sehr an die eigenen Manipulationsregeln; daran, daß es genüge, oft genug auf das kriminelle Potential in den Donnerstagdemos hinzuweisen, damit es die Bevölkerung glaubt. Aber ein nicht zu geringer Teil der Bevölkerung hat gelernt, sich ein eigenes Bild zu machen, nämlich daß die Widerstandsbewegung vieles ist, z. B. demokratisch, authentisch und fraktionsübergreifend – aber ganz sicher nicht radikal und kriminell.