Wie sieht Sorgearbeit aus, wenn sie von den eigenen Kindern übernommen wird? Sofia Jüngling-Badia Vater ist von Demenz betroffen. Die junge Erwachsene gibt einen Einblicke in ihre Wohnsitutation.
Inklusives Wohnen
Vor mittlerweile über sechs Jahren bin ich zurück zu meinem Vater gezogen. Der Pflegebedarf meines Vaters machte es für ihn unmöglich, alleine zu wohnen. Mit meinen 20 Jahren war mir dennoch nicht bewusst, wie viel Verantwortung es mit sich bringen würde, die Rolle der pflegenden Angehörigen anzunehmen. Ich wollte anfangs auch nur für ein Jahr bleiben – in der Hoffnung, dass für meinen Paps eine andere Form der Betreuung gefunden werden würde, als die häusliche Pflege durch die Familie.
Dass das Haus mehr Platz bietet, als mein Paps, mein Partner und ich brauchen, wurde uns schnell bewusst. So öffneten wir die Türen für nicht verwandte Personen und passen unser Wohnkonzept immer mehr an die individuellen Bedürfnisse an. Heute ist es eine inklusive Wohngemeinschaft. Das bedeutet, dass bereits beim Einzug für die Bewohnenden klar ist, dass manche Bedürfnisse von der Norm abweichen und einige Aufgaben für alle anfallen, die nicht zum üblichen Alltag von WG-Bewohnenden gehören, denn eine dementielle Veränderung, wie sie mein Vater hat, bringt ihre Eigenheiten mit. Er verwechselt Namen, erzählt Scherze, fragt wieder und wieder nach dem Wochentag und braucht bei einigen Tätigkeiten Unterstützung. Außerdem möchte er beim Kochen und Essen immer mitbedacht werden, denn Kulinarik ist neben der klassischen Musik seine größte Leidenschaft.
Seit der WG-Gründung lebten rund fünfzehn unterschiedliche Personen bei und mit uns, manche für Jahre, andere nur für einige Wochen. Jede*r bringt eigene Perspektiven, Herausforderungen und Stärken mit. Der Alltag ändert sich immer wieder, weil es einen Hund gibt, der zum Spazieren motiviert, oder weil unterschiedliche Sprachen gesprochen werden. So kleben auf vielen unserer Küchenmöbel Beschriftungen, um das Lernen der deutschen Sprache zu erleichtern. Für meinen Paps ist die Mehrsprachigkeit eine Bereicherung, er spricht (wieder) flüssig Englisch und sie hat seine Liebe zu Spanisch und Russisch erweckt.
Mir ermöglicht die Wohngemeinschaft ein weit selbstbestimmteres und bunteres Leben als die klassische Form der Angehörigenpflege.