Natürlich, jüdisch, tödlich

Wer argumentiert eigentlich aller mit ‚Natur‘? Rechte und alternative Milieus stehen sich ideologisch sehr nahe, wenn es ums Eingemachte geht, argumentiert Christian Kreil.

Ende Juli wurde der Linzer Florian O. bei einer Routineverkehrskontrolle festgenommen. Nach O. wurde seit Monaten gefahndet, einem Strafverfahren wegen flapsiger Aussagen zum Holocaust hatte sich O. durch Untertauchen entzogen. Florian O. war bis vor etwa einem Jahr Frontman der wöchentlichen Kundgebungen der Corona-Maßnahmengegner*innen am Linzer Hauptplatz. Freitag für Freitag rührte O. wortgewaltig die Trommel gegen Pharmaindustrie, Masken und sinistre Eliten, von Bill Gates bis Klaus Luger. Im Kofferraum von O.s Autos fand die Polizei den Leichnam seiner kurz zuvor an Brustkrebs verstorbenen Gattin. Sie hatte sich, wie es heute so schön heißt, «schulmedizinisch nicht behandeln» lassen, der Germanischen Neuen Medizin (GNM) offenbar vertraut. «Schulmedizin», das war im Soziotop der Maßnahmengegner*innen die Chiffre für alles verhasste: Evidenz und Impfungen, Maßnahmen und Masken, Wissenschaft und Rücksichtnahme, Anschober, Mückstein und Rauch. Unter der Regie von Florian O. stand die «Schulmedizin» für alles, was FPÖ und MFG während der Epidemie der Verachtung preisgaben. Notabene: Den Begriff «Schulmedizin» prägten die Nazis, die damit die Erfolge jüdischer Wissenschafter*innen in der Medizin diskreditieren wollten.

Absurd, antisemitisch, naturnah?
Die GNM sieht sich als ein Gegenmodell zur «Schulmedizin». Sie beruht auf völlig absurden Flausen des 2017 verstorbenen Mediziners Ryke Gerd Hamer. Hamer und seine Fans gehen davon aus, dass das, was wir als Krankheit verstehen, nur ein «sinnvolles biologisches Sonderprogramm» sei, eine positive Reaktion des Körpers auf angebliche Konflikte mit Vater, Mutter oder wem auch immer. Medizin oder Operationen seien demnach sinnlos, weil sie die Konflikte nicht lösen. Impfungen und Krebstherapien sind gar Teufelszeug und weil der Teufel Name und Adresse hat, wird die Sache höchst politisch: Hamer verkündete, dass Jud*innen und Ärzt*innen in Israel seine Lehre längst anerkannt hätten und klandestin für sich und ihresgleichen nutzten. Den Rest der Welt vergifteten Jud*innen allerdings bewusst mit Impfungen und Chemotherapien. Bei den Kundgebungen in Linz tauchten mehrmals Proponent*innen der Lehre Hamers auf: Die Redner*innen philosophierten ein wenig im Namen des Vereins Studienkreis 5bn über ihr Lieblingsthema: Impfungen seien sinnlos. «5bn» steht dabei für die angeblichen fünf biologischen Naturgesetze, die Hamer postulierte. Den rabiaten Antisemitismus und den Namen Hamer sparte man wohlweislich aus, man war ja auf Kund*innenfang. O. konnte sich nicht immer zurückhalten im Furor gegen Wissenschaft, Evidenz und die jüdische Community: «Die Rothschilds halten die Zügel auf der ganzen Welt in ihren Händen», verkündete er vom Podium herab und in der Heilkunde hätten «naturferne Mediziner» das Kommando übernommen.

Wer Antisemitismus, Hamer-Aktivist*innen und Impfgegner*innen auf den Leim geht
Im Jahr 1995 stand Madeleine Petrovic, die damalige Parteichefin der Grünen, in der ORF-Sendung Help an der Seite Hamers. Die Grünen forderten damals in einer Anfrage an Gesundheitsministerin Christa Krammer (SPÖ): Man solle sich doch mit den Thesen Hamers und anderen «alternativen Krebsheilmethoden» auseinandersetzen. Petrovic ist Geschichte, mit ihrem Agieren in der Initiative «Grüne gegen Impfpflicht» und ihrem Auftritt bei einer Querdenker*innen-Demo hat sich die Expolitikerin in der Partei vollends ins Abseits gestellt. Eine parlamentarische Anfrage der FPÖ aus dem Jahr 2020 ähnelt jener der Grünen vor einem Vierteljahrhundert. Man fordert eine Berücksichtigung von «Alternativmedizin» und beklagt den Gegenwind, der Homöopathie und anderem Unsinn nunmehr entgegenweht. Die radikale Ablehnung von Impfungen (nicht nur gegen Corona, sondern auch gegen Masern oder Kinderlähmung) ist der Hebel, mit dem verängstigte und verunsicherte Menschen getriggert werden für neue, rechte, rechtsradikale Agenden, teils mit Bezügen zur NS-Zeit.

Bioknödel im Supermarkt
Die neurechte Elite findet in alternativen, nachhalti- gen und vorgeblich achtsamen Milieus nach wie vor Mitläufer*innen. Ein oberösterreichisches Biounter- nehmen hat auf der impffeindlichen Webseite «Impf- frei.work» Stelleninserate geschaltet. Das Unterneh- men, dessen Produkte auch in Supermärkten gelistet sind, ist der biodynamischen Landwirtschaft Rudolf Steiners verpflichtet. Bio mit einem Schuss Hokus- pokus, so kann man diese Landwirtschaft charakte- risieren. Steiner, der Begründer der Anthroposophie hat sich nicht nur mit mystischer Landwirtschaft und Waldorfschulen einen Namen gemacht, sondern auch in der Medizin. «Gegen das Karma kann man nicht heilen» – das ist eine zentrale Aussage der Leh- ren Steiners. Seinen Anhänger*innen ist klar: Gegen das Karma kann man auch nicht impfen. Wer an ei- ner vermeidbaren Krankheit leidet oder stirbt, bade letztlich nur mieses Karma aus, das die Person schon verdient habe. Eine Impfung ist demnach ein nicht nur unnützes, sondern auch ein unredliches Mittel, das der Natur und einem höheren Sinn zuwiderlie- fe. Der Unternehmer, dessen Bioprodukte Achtsam- keit im Umgang mit der Natur versprechen, hat wenig Berührungsängste. Beim stramm rechten Videopor- tal AUF1 plauderte er «als Landwirt» über die Nöte der Bäuer*innen und gesundes Biogemüse. Eines der Themen der Website, auf der der Bioproduzent Mitarbeiter*innen suchte: Die «Universalbiologie» Hamers. Unser biobewegter Unternehmer, dessen Biokäsepressknödelrolle wir im Supermarkt finden und der Rabauke O., der von Bühnen herab vor Roth- schild und Co. warnt, sie hätten viel zu plaudern über «Schulmedizin», Germanische Medizin, den Tod und das natürliche Leben.

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