Provokant beharrlich

Klimaaktivismus und Kunst rücken zunehmend enger zusammen. Valentine Auer über Möglichkeiten und Tücken klimaaktivistischer Kunst in Österreich.

Rrrrrriiiiinnnnggghhhh! Ein übergroßer Wecker schrillt vor dem Bundeskanzleramt. Er soll auf die Dringlichkeit von Klima- und Umweltschutz aufmerksam machen und die Regierung aufwecken. Es sei längst Zeit zu handeln, so die durchdringende Botschaft. Dies ist nur ein Beispiel wie Klimaaktivismus und Kunst zusammenspielen, um etwas zu vermitteln, das durch andere Formate nur schwer darstellbar ist.

Die Arktis durch Kunst nach Wien holen

Für den vier Meter großen Wecker zeichnete 2018 eine der bekanntesten klimaaktivistischen Non-Profit-Organisationen verantwortlich: Greenpeace Österreich. Kunst als Vermittlungsmedium zu verwenden, ist für Greenpeace seit Beginn seiner Arbeit zentrales Element, um Aktionen rund um den Klima- und Umweltschutz zu realisieren. «Gute Kunst kann gezielt die Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken, bringt es auf den Punkt, spitzt es zu. Kunst kann helfen, Geschehnisse zu verdeutlichen und sichtbar zu machen, die weit weg oder erst in der Zukunft passieren», sagt Greenpeace-Aktivistin und Aktionsassistentin Jutta Matysek.

So fertigte ein Künstler für eine andere Aktion 2012 einen Eisbären aus langsam schmelzendem Eis an. Der immer kleiner werdende Eisbär konnte bis zu seinem gänzlichen Verschwinden auf einem öffentlichen Platz in Wien beobachtet werden. Entfernungen werden durch Kunst symbolhaft aufgehoben. Das scheinbar niemanden in Österreich zu betreffende Schmelzen der Arktis, das Sterben von Eisbären wird mittels Kunst zu den Menschen in Wien gebracht.

Der performative Wettstreit um Schattenplätze

«Es ist sehr schwierig, diese Bilder zu erzeugen», sagt Isabella Herber. Sie ist Teil der seit den 1990ern agierenden oberösterreichischen Aktionsgemeinschaft Social Impact und spricht ebenfalls das Bild des Eisbären an. «Das ist weit weg von österreichischen Alltagssituationen. Das Problem ist schleichend und wenig greifbar», so Herber weiter. Das Thema Klima hat die Künstler*innen rund um die Aktionsgemeinschaft schon länger interessiert, tatsächliche Projekte wurden zuletzt für den oberösterreichischen Umweltkongress 2019 umgesetzt:

Mithilfe des «Escort-Service» der Bäume zum Beispiel: Als Bäume verkleidete Menschen bieten ihre «Beschattungs-»Dienste an, begleiten Passant*innen,
um ihnen Schatten zu spenden. Eine positive Utopie. Doch die Künstler*innen zeigen auch die negativen Seiten der Klimakrise auf: Bei der «Shadow Challenge» treten zwei Gruppen gegeneinander an. Das Ziel: so wenig Sonne wie möglich abzubekommen. Die Challenge: Sie tragen Solarzellen auf ihren Köpfen, die jeden Sonnenstrahl erfassen. Das Ergebnis: ein Kampf um die spärlichen Schattenplätze. «Dieses Kämpfen um Ressourcen fand ich sehr beängstigend. Das hat mich später noch lange bewegt», erzählt Herber, die selbst bei dieser «Shadow Challenge» teilnahm. Social Impact setzt sich zum Ziel, sowohl Künstler*innen als auch Publikum zum Denken zu bringen. «Wir erschaffen Situationen, die Reaktionen erzeugen und zu einem Erkenntnisgewinn auf beiden Seiten führen sollen. Uns ist wichtig, dass wir keine fertigen Botschaften vermitteln, sondern Leute zum selbstständigen Denken anregen», sagt Herber.

Erzählungen begehbar und Zukünfte erfahrbar machen

Keine Blaupausen oder einfache Lösungen entwickeln, sondern auf die Pluralität der Möglichkeiten verweisen – das ist auch für die Künstler*innen-Gruppe Time’s Up zentral. Seit 1996 verbinden sie Aktivismus mit Kunst, bearbeiten auch die Klimakrise. Immersive Umgebungen werden gebaut, die das Publikum einladen einzutauchen und sie mithilfe eines spielerischen Zugangs zu erforschen. «Erfahrbare Zukünfte» nennen die Künstler*innen das Konzept. So arbeiten sie bereits seit fünf Jahren an einer fiktiven Stadt, direkt am Ozean liegend und doch nicht geographisch verortet. Dort können mögliche Zukunfts- und Alltagsszenarien erarbeitet werden. Die Klimakrise wird dabei genauso thematisiert wie andere Themen, die mit Klima in Verbindung stehen, erzählt Tina Auer: «Wir diskutieren die Klimakrise nie unabhängig von anderen Themen. Denn es geht um Wohlstand, um eine Konsumwende, um Energieressourcen, um Mobilität, um Ernährung bis hin zu urbanen und industriellen Transformationen».

Diese unterschiedlichen Themen werden auch in «futuring exercises» besprochen, also bei Workshops mit interessierten Menschen, die gemeinsam an «Zukünften» arbeiten. Gedacht und künstlerisch umgesetzt wurde zum Beispiel ein Schiffsverkehr, der gänzlich mit alternativen Mitteln betrieben wird. Fairer Warentransport statt fossiler Energie.

Beharrlichkeit statt Provokation

Politische Kunst ist laut Tina Auer aufgrund der politischen, ökonomischen und ökologischen Krisen derzeit sehr sichtbar. Und dennoch: Die Wirkungskraft solcher künstlerischen Aktionen und Interventionen sehen sie wie Herber als gering. Provokative Projekte können zwar kurzzeitig Medienaufmerksamkeit erhalten, nachhaltiger sei jedoch Beharrlichkeit, so Auer weiter: «Es geht darum, drauf und dran zu bleiben. Beharrlichkeit finde ich langfristig wirkungsvoller als Provokation».

Beharrlichkeit kennt auch die Bewegung Fridays for Future (FFF) mit ihren wöchentlichen Klimastreiks nur allzu gut. Auch diese Bewegung wäre ohne Kunst nicht zu denken: sei es das gemeinsame Transpi-Malen, die zahlreichen Künstler*innen, die während den Demonstrationen auftreten, oder die von FFF organisierten Workshops.

Basierend auf der dezentralen Struktur von FFF organisieren sich Menschen in unterschiedlichen Sparten, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. So auch die Artists for Future. Ihre gemeinsame Stellungnahme wurde bereits von 2.900 Kunst- und Kulturschaffenden unterschrieben. «Alle Artists for Future verbindet das Ziel, durch künstlerische Aktionen der Klimakrise eine Öffentlichkeit zu verschaffen und politisch etwas zu bewegen. Die konkrete Motivation ist aber individuell unterschiedlich», sagt Michael Feindler von eben diesen.

Das gilt letztlich für jede klimaaktivistische Kunst. Die Gemeinsamkeit: Egal, ob durch Provokation, der Schaffung von Aufmerksamkeit oder durch Beharrlichkeit, es gilt, ein anderes Bewusstsein für die Klimakrise zu schaffen, auf deren Dringlichkeit hinzuweisen und uns alle wachzurütteln.

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