Ehre, Amt und freier Wille

 – ziviles Engagement als politischer Krückstock? Von Daniela Fürst

Die Statistik Austria stellte 2008 im Bericht Struktur und Volumen der Freiwilligenarbeit in Österreich fest: Insgesamt leisten rund 44 % der österreichischen Bevölkerung über 15 Jahre Freiwilligenarbeit, was einer wöchentlichen Arbeitszeit von 416.223 Erwerbstätigen entspricht. 17,1 % der ehrenamtlich Engagierten arbeiten im Kulturbereich, 7,5 % im Sozial- und Gesundheitsbereich und 5,8 % im Bildungsbereich.

» 109,5 Millionen Euro müsste die Republik Österreich im Budget vorsehen, würde sie jede Stunde, die Freiwillige in Österreich leisten, mit 20 Euro entlohnen – pro Woche, wohlgemerkt.« Das stellen Elisabeth Prammer und Harald Fercher in einem Artikel im Onlinemagazin WirtschaftsBlatt fest. Grund genug für die Wirtschaft, Freiwilligenarbeit als wichtig einzustufen. Neben der Wirtschaft hat aber auch die Politik die Bedeutung von Freiwilligenengagement längst erkannt, und das nicht erst seit Beginn des Freiwilligenjahres. Unbezahlte Arbeits- und Dienstleistungen waren und sind die Basis für ein funktionierendes Gesellschaftssystem. Schon Alfred Gusenbauer sprach von einer »solidarischen Hochleistungsgesellschaft«. Der neue ÖVP-Obmann Michael Spindelegger versucht es positiv zu formulieren und spricht von einem veränderten Leistungsbegriff in der Wirtschaft. Nicht nur Fleiß zählen da für ihn, sondern auch Freude und Motivation, materielle und zwischenmenschliche Leistungen – wie das Ehrenamt etwa. Und er stellt fest: »Ohne solche Leistungen der Zivilgesellschaft könnten wir das System nicht aufrechterhalten.« Das Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit, von der EU für 2011 ausgerufen, hat klar die Stärkung des Freiwilligensektors in einer krisengeschüttelten Wirtschaftslage zum Ziel. Sechs Millionen Euro will man dafür in die Verbesserung der Rahmenbedingungen investieren. In Österreich ist die Kulturarbeit das größte Betätigungsfeld für Freiwillige. Nach Katastrophenhilfe, Sport und Religion steht die Sozialarbeit nur an fünfter Stelle. Da aber vor allem im Sozialbereich, und im speziellen in der Betreuung und Pflege von alten und kranken Menschen seit Jahren griffige und brauchbare politische Lösungen fehlen, konzentriert sich die Politik nicht von ungefähr in ihrer Aufwertungs- und Förderungsarbeit vor allem auf diese Freiwilligen. Oberösterreich hat gleich zwei Organisationen, die sich der Förderung und Unterstützung von Freiwilligenarbeit im Sozialbereich widmen, oder genauer gesagt: jener freiwilligen Leistungen, die zum Nutzen des Gemeinwesens bzw. anderer haushaltsfremder Personen erbracht werden. Wobei noch weiter unterschieden wird zwischen formeller Freiwilligenarbeit im Rahmen einer Organisation oder eines Vereins und der informellen, die ohne institutionellen Rahmen erfolgt und oft als »Nachbarschaftshilfe « bezeichnet wird. Subsistenz- oder Care- Arbeit im häuslichen und familiären Bereich wird – ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Bedeutung – nicht dazu gezählt. Da gibt es also die von der ÖVP OÖ initiierte Börse-Ehrenamt und das SPÖ-nahe ULF – das Unabhängige LandesFreiwilligenzentrum. Beide haben es sich zur Aufgabe gemacht, neben ihrer Kommunikations-, Vermittlungs-, Beratungs- und Informationsarbeit für bereits tätige und angehende Freiwillige auch die gesetzliche Basis zu fördern. Denn viele dieser Tätigkeiten bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone, bzw. könnten sich, beispielsweise bei einem Unfall während der Ausübung, zum Nachteil für die Freiwilligen entwickeln. So wäre es erstrebenswert und sinnvoll, alle freiwillig Tätigen über die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) zu versichern, was natürlich eine enorme finanzielle Forderung an den Staat bedeuten würde. Sozialminister Hundsdorfer hat zumindest versprochen, bis Ende 2011 ein beschlussfertiges Freiwilligen-Gesetz zu erarbeiten, das die Problematik aufheben sollte. Details dazu gibt es noch keine. Zudem wird auch über mögliche Bewertungsmechanismen diskutiert. Freiwilligenarbeit soll sich positiv auf Bewerbungen, Karriereschritte und Bildungsweg auswirken und – zumindest als Idee formuliert – auch auf Pensionszeiten angerechnet werden. Der angedachte sogenannte Freiwilligenpass soll von den Freiwilligenorganisationen ausgestellt werden und eine Dokumentation aller Tätigkeiten in diesem Bereich, inklusive der erworbenen und eingesetzten Fähigkeiten und Kompetenzen, sein. Unternehmen erfahren so mehr über die sogenannten social skills ihrer derzeitigen und auch zukünftigen Mitarbeitenden, denn Fähigkeiten im Bereich der Sozialkompetenz werden am Arbeitsmarkt immer öfter explizit als Voraussetzung definiert. Eine Idee, der nicht alle am Diskurs Beteiligten positiv gegenüber stehen. Verwirrend erweisen sich manchmal auch die unterschiedlichen Begrifflichkeiten. Ein Ehrenamt im ursprünglichen Sinn ist ein ehrenvolles und freiwilliges öffentliches Amt, das nicht auf Entgelt ausgerichtet ist. Im Laufe der Zeit entwickelten sich parallel Begriffe wie Freiwilligenarbeit oder bürgerliches Engagement, die allerdings streng genommen nicht dasselbe meinen. In Deutschland etwa gibt es Ehrenämter nur noch in der Justiz (ehrenamtliche Richter) und als Gemeinderatsmitglieder oder Helfer bei allgemeinen Wahlen und Volkszählungen. Zur Übernahme eines solchen Ehrenamtes können Bürgerinnen gesetzlich verpflichtet werden. Sie erhalten dann allerdings eine gesetzlich festgelegte Aufwandsentschädigung und obligatorische Arbeitsfreistellung. Alle anderen Tätigkeiten werden als Freiwilligenarbeit bezeichnet. In Österreich gestaltet sich die Situation ein wenig anders. Durch die Schaffung neuer Bezeichnungen – vom Neuen Ehrenamt, über Bürgerschaftliches Engagement, bis Arbeit für den Gemeinsinn und Bürgerarbeit – versuchte die Politik, die Freiwilligenarbeit aufzuwerten, sie als tatsächliche Arbeitsleistung darzustellen, wider die landläufige Meinung, es sei keine, wo es doch keine Bezahlung dafür gibt. Gleichzeitig suggeriert aber der Begriff eine besondere Wertigkeit, lässt diese Freiwilligkeit als besonders menschlich und würdevoll erscheinen, eben weil diese Menschen kein Geld dafür nehmen. Ganz so, als wäre es regelrecht unmoralisch, diese Arbeit in Euro zu beziffern, wo sie doch unbezahlbar ist. Im Allgemeinen wird von Freiwilligenarbeit gesprochen, was auch das ULF unterstützt und sich klar vom Begriff des Ehrenamtes distanziert. Die ÖVP hingegen hält ausdrücklich am Ehrenamt fest. Die Ehrbarkeit, die solchen Tätigkeiten anhaftet, ist ihnen besonders wichtig und sollte somit auch in der Bezeichnung sichtbar bleiben. Die entsprechende Ehre und Anerkennung erhalten aber meist nur öffentlich sichtbare Tätigkeiten wie Vereinsarbeit, Freiwillige Feuerwehren oder Helferinnen im Rettungswesen. Auch die Uniform, die eben diese Freiwilligen erkennbar macht, trägt wesentlich dazu bei und suggeriert organisierte und kontrollierte Stärke. Aber vieles in der Freiwilligenarbeit passiert ungesehen, weniger eff ektvoll und quantifi zierbar. Diese Freiwilligen spüren nur wenig von der großen Ehre und der öff entlichen Honorierung ihrer Tätigkeiten. Aber was ist tatsächlich die Motivation für alle diejenigen, die andere unterstützen, ihre Hilfe anbieten, ohne dafür bezahlt zu werden? Warum leisten so viele trotz unzureichender Anerkennung und zunehmender Prekarisierung der Gesellschaft immer noch ihren freiwilligen Beitrag? Gisela Notz veröff entlichte 1986 die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit über Freiwilligenengagement. Deutlich wird darin die Ambivalenz, die diesen Tätigkeiten anhaftet. Die Beteiligten waren zwar mit einigen Komponenten der freiwilligen Arbeit unzufrieden, sahen aber darin gleichzeitig ihre Chance zur Selbstverwirklichung. »Unter kapitalistischen Bedingungen dient sie also weder nur der Ausbeutung, noch per se der Emanzipation.« schreibt Notz in einem Artikel in der Zeitschrift Kulturrisse. Der österreichische Freiwilligenbericht zeigt, dass es vorwiegend sozial besser gestellte Menschen sind, die sich engagieren, wobei Erwerbsarbeit und Bildungsgrad die wichtigsten Faktoren sind. Die zentralen Motive sind die Freude an der jeweiligen Arbeit selbst, der Wunsch helfen zu wollen, wie auch neue Menschen kennenzulernen, mögliche Freundschaften und neue Erfahrungen zu gewinnen. Die von der ÖVP so sehr betonte Ehre und gesellschaft liche Anerkennung rangiert fast am Ende der Liste. Freiwilligenarbeit kann aber auch eine bewusste Entscheidung gegen den Verkauf der eigenen Arbeitskraft und für einen selbstbestimmten Einsatz dieser sein, was auch als Kritik an den neoliberalen Arbeitsverhältnissen ausgelegt werden kann. Auch wenn man sich dabei nicht der fi nanziellen Prekarisierung entziehen kann, so nimmt man sich zumindest die Freiheit, selbst über Art und Umfang der Leistung zu entscheiden. Eines ist wohl sicher: Wenn es tatsächlich zu einem entsprechenden Gesetz zur Absicherung von Freiwilligen kommt und wenn der Freiwilligenbereich eine finanzielle wie inhaltliche Aufwertung erfährt, so wird sich das in erster Linie auf den Sozialbereich beziehen. Am Status der freiwilligen Kulturarbeit als schmückendes Beiwerk in wirtschaft lich guten Zeiten, die aber jederzeit hinter den notwendigen und nützlichen Leistungen angestellt werden kann, wird sich auch nach dem Europäischen Freiwilligenjahr nur wenig ändern. Somit scheint die neue Leistungsgesellschaft defi niert zu sein: Ihre Mitglieder leisten in schwierigen Zeiten noch mehr in Bereichen, wo der Staat seit Jahren massiv versäumt, Lösungen zu bringen, und die Politik übernimmt deren Anwaltschaft – wie sie es selber formuliert. Eben eine »grundlegende Kooperationskultur«, wie es der Deutschen Bundestag 2002 nannte. Der Grat zwischen echter und »eigennütziger« Freiwilligkeit ist aber off ensichtlich ein schmaler. Was den Freiwilligenpass und die darin implizierten Profi lierungs- und Anrechnungsmechanismen betrifft , so birgt dieser auch die Gefahr der möglichen Kontrolle und Steuerung durch Politik und Wirtschaft . Freiwilliges Engagement muss ein selbst gewolltes bleiben und alle diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – sich nicht gemeinnützig einbringen, dürfen vor dem Gesetz und im Zugang zu Ausbildung, Erwerbstätigkeit und staatlichen Unterstützungen in keinerlei Hinsicht schlechter gestellt sein. Sonst werden nämlich aus »echten« Freiwilligen »Willig- gemachte«. Einmal mehr müssen also die braven Bürgerinnen ihre Leistungswilligkeit unter Beweis stellen und neben ihrer Erwerbsarbeit auch ehrenamtlich tätig werden, um unser Gesellschaft ssystem zu erhalten und ein wertvolles Mitglied bleiben zu können. Und was macht die Politik? Sie lobt den Fleiß und die Motivation, betont seine Wichtigkeit und Notwendigkeit und möchte daran arbeiten, noch stärkere Anreize für freiwilliges Engagement zu schaffen.

Nicht zu vergessen: der übliche Parteienwettstreit: Welche Partei ist die echte Freiwilligen- Partei? Es werden politische Aussagen und Ziele formuliert, die vordergründig Anerkennung vermitteln und das Selbstbewusstsein der Freiwilligen stärken sollen, um so zu vertuschen, dass die Politik ihrer Verantwortung hinterherhinkt und der Freiwilligenarbeit als Krückstock bedarf. Dahinter liegt auch eine neue soziale Klassifi zierung: die »Guten«, die neben der Erwerbsarbeit auch freiwillig arbeiten und die Anderen, die es nicht tun oder womöglich noch auf freiwillige Hilfe angewiesen sind. Unterschiede werden auch hinsichtlich der Bereiche gemacht, in denen man sich engagiert: die nützlichen und wichtigen einerseits und die netten, aber verzichtbaren auf der anderen Seite. Am Ende schaff en es die Politikerinnen, die Verantwortung doch wieder auf das Individuum abzuschieben und ersparen es sich, neue Konzepte zu erstellen, die den veränderten Anforderungen an das System gerecht werden. Und wenn man Freiwilligenarbeit als besonders wertvoll und unabdingbar huldigt, dann fällt es den Leistungsträgerinnen vielleicht gar nicht auf, dass gleichzeitig die Sozialausgaben und die Gelder für Gesundheit, Bildung und Kultur gekürzt werden. Da sind die 6 Millionen Euro schnell wieder hereingespart.

Daniela Fürst, freie Radiojournalistin und Mediensoziologin

 

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