Kulturrat Ö: Existenzgefährdung durch AMS?

Sobald Personen mit häufig wechselnden, teils selbstständigen, teils angestellten Arbeitsverhältnissen auf die Sozialversicherungs-Architektur treffen, gibt es Probleme: Nicht erst seit gestern und durchaus mit einer langen Geschichte an Versuchen, die Situation zu bessern. Kommen auch noch Erwerbslosigkeit und AMS mit ins Spiel ist, spitzt sich der inkompatible Paragraphen-Dschungel endgültig zu. Selbst der Bezug von Arbeitslosengeld entpuppt sich immer öfter als Schuldenfalle – nämlich dann, wenn hinterher unabsehbare Rückforderungen ins Haus flattern. Doch woran hakt es nun genau?

Zunächst ist es die schiere Komplexität der Materie: Einerseits ist klar, dass sogenannte „atypische“ Situationen (auch wenn sie strukturell eine wachsende Zahl von Personen betreffen), Ausnahmen und Sonderregelungen erfordern, um überhaupt zu funktionieren. Andererseits kann die Konstruktion von Ausnahmen und Sonderregelungen auch einfach zu weit gehen: Wenn selbst in den Institutionen der Sozialversicherung Diskussionen über die formal richtige Lösung ausbrechen, sobald es eine Spur komplizierter wird, ist dieser Punkt definitiv erreicht. Das wäre noch nicht das ganz große Problem, wenn sich auch in diesem Kontext das aus der Justiz bekannte, leicht abgewandelte Diktum „Im Zweifel für die Betroffenen“ durchsetzen würde. Doch das ist nicht der Fall, vielmehr sind eine steigende Anzahl an Rückforderungen und mehrere aktuelle Klagefälle Realität.

Der zweite große Problemkreis betrifft die Diskrepanz aus gesetzlichem Rahmen, sich schnell ändernden, zum Teil noch nicht einmal öffentlichen Durchführungsrichtlinien (die sich nur allzu oft aus höchstrichterlichen Entscheidungen zusammensetzen) und der Konstruktion von Ausnahmen und Sonderreglungen: Vieles ist im Detail eine Aushandlungsfrage. Zugleich sind Ausnahmen wie Sonderregelungen, z. B. für sogenannte vorübergehende selbstständige Tätigkeiten am AMS oder auch bezüglich der Ruhendmeldung der Pflichtversicherung gemäß GSVG (Gewerblichem Sozialversicherungsgesetz) derart konstruiert, dass sie im Zweifelsfall vor Gericht keinen Bestand haben. Im Kern liegt das an der strukturellen Unvereinbarkeit der beiden Gesetze: Selbstständigkeit an sich ist im Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) zwar mittlerweile verankert, aber nicht mit der impliziten Vorstellung von Arbeitslosigkeit vereinbar.

Der klarste Ausdruck ist das Dilemma des Arbeitssuchens: JedeR Arbeitslosengeld-BezieherIn ist dazu angehalten, alles zu unternehmen, um wieder eine Arbeit zu finden. Wer aber vor der Arbeitslosigkeit selbstständig war (insbesondere in der SVA bereits versichert war), darf nichts tun, was ihn oder sie in den Geruch bringt, die Tätigkeit fortzusetzen (weil sonst die nachhaltige Selbstständigkeit festgestellt werden kann/muss). In anderen Ländern ist das Problem durchaus einfach gelöst: Solange nichts verdient wird, ist jede auf Tätigkeiten gerichtete Handlung Teil der Arbeitssuche und damit kein Problem.

Ein drittes zentrales Problem: Weder AMS noch SVA kennen Regelungen, denen zufolge die bei ihnen erhaltenen Informationen rechtsgültig wären. Institutionenübergreifende Informationen sind sowieso kaum zu kriegen: Wieso sollte sich einE AMS-BetreuerIn auch mit der SVA auskennen? Das führt letztlich aber dazu, dass sich Betroffene schlicht auf keine Auskunft verlassen können – am Ende entscheiden die Institutionen, und wer diese Entscheidung anficht, steht Gerichten gegenüber, die letztlich auf Grundlage der Gesetze, nicht aber Durchführungsrichtlinien entscheiden.

Klar ist jedenfalls, dass diese drei Probleme eine Existenzgefährdung der Betroffenen geradezu heraufbeschwören. Nicht weil es ein erklärtes Ziel wäre, dass möglichst viele Erwerbslose vom Arbeitslosengeld ausgeschlossen werden (das ist zumindest eine andere Diskussion), sondern weil im Zweifel alles gegen die Betroffenen spricht. Wenn eine entscheidende Information erst auftaucht, nachdem schon alles passiert ist, bleibt auf einer rechtlichen Ebene oftmals schlicht nichts Brauchbares als Handhabe über.

Was ist also zu tun?

So nützlich und notwendig kleine Verbesserungen oft sind, gefragt ist mehr denn je eine große Lösung: Die strukturelle Unvereinbarkeit von AlVG und GSVG gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Klar ist, dass das nicht bis morgen zu erledigen ist. Parallel dazu braucht es Informationsarbeit und kleinere und größere Änderungen, um zumindest die gröbsten Lücken zu füllen. Unsere Vorschläge an die Politik:

  • Ein Ausdehnen der Möglichkeit des Ruhendmeldens für alle Neuen Selbstständigen (SVA)
  • Starten eines umfassenden Prozesses zur Restrukturierung des SV-Systems
  • Erweiterung des Kunstbegriffs im KSVF

 

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Info:

Erste Hilfe Handbuch für Arbeitslose. Hg. Aktive Arbeitslose, Wien 2011
Infobroschüre: Selbstständig – Unselbstständig – Erwerbslos. Hg. Kulturrat Österreich, Wien, Februar 2012 (3. Ausgabe)
http://kulturrat.at/agenda/ams/infoAMS

Un-/Selbstständig und erwerbslos? Alte Probleme, neuer Anlauf (Frühling 2013; Überblicksseite Kulturrat Österreich)
http://kulturrat.at/agenda/ams/anspruch

Der Kulturrat Österreich, der Zusammenschluss der Interessenvertretungen von Kunst-, Kultur- und Medienschaffenden, rückt im laufenden Wahlkampf die Kulturpolitik als Querschnittsmaterie ins Blickfeld. Vierzehntägig wird daher je eines der derzeit drängendsten Problemfelder beleuchtet: AMS und Sozialversicherung, UrheberInnenrecht, Mobilität von KünstlerInnen, KünstlerInnensozialversicherungsfonds, Kunst- und Kulturbudget. -> kulturrat.at

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