Was steckt hinter dem Slogan von Salzkammergut 2024? Wer ist dabei (nicht) gemeint? Wie gelingen Bottom-Up-Ansätze und wie werden neue Denkmuster ermöglicht? Eine gsalzene Polemik von Historiker*in und Germanist*in Jakob Kinz.
«Kultur ist das neue Salz», keucht es dieser Tage diskontinuierlich, man flüstert: blaublütig, hoheitsvoll und siehe da, auch geschichtsandächtig durchs weniger sozialhistorisch als vielmehr profittouristisch bemessene Salzkammergut. Und doch! Ein treffender Vergleich – das mit dem Salz, meine ich. Denn vergessen wir nicht (Wir?): Es war der frühneuzeitliche Verkauf eben jenes Rohstoffes, der unsere (wessen?) goldig hübsche Region reich und rein werden ließ. Vergessen wir nicht (Wer ist Wir?): Es war das Salz, das die Hofkammer gut glühen machte und absolutistische Salzfürst*innen wie frühkapitalistische Beamte in ihren Salz-Büros Ein- und Ausgabenrechnungen befummeln ließ, ja so manch zarte Bürokrat*innenhand finanzierte. Und vergessen wir nicht (Wer zum Teufel war nochmal dieses Wir?): Salz ist weißes Gold. Und: Kultur ist das neue Salz. «Was für eine Chance», hört man da so manch ortsbekannte Zungen willig vom Gipfelkreuz jodeln und schnalzen.
Dekonstruiert man den hippen Werbeslogan der Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024 GmbH (kurz: Skgt24) mittels prosaischer Pupille, so lassen sich mannigfaltige solcher hierarchiehörigen Denkmuster einer ausbeuterischen Vergangenheit erkennen. Doch wer versucht, aus der Vergangenheit Geschäfte zu lukrieren, täte gut daran, Regionalgeschichte bis ins tiefe Herz des Berges zu denken. Und so stellt sich, bei all der brünftigen Liebäugelei mit Geschichtskonstruktionen die Frage: Wenn Kultur das neue Salz ist, wer schürft heute das Salz, und wer das Gold? Es stellt sich die Frage: Wer ist wir? Und wer bleibt ungesehen? Wo sind in diesem raffinierten Gleichnis etwa die Hände (und Köpfe!), die unter ausbeuterischen Arbeitsbedingung und nach vergeblichen Revolten gegen das bauernschlaue Kammergut-Wir, das Salz erstmal aus den Bergwerken schlugen? Wenn also Kultur gleich Salz ist, wer übernimmt dann bei der Kulturhauptstadt-Institutionalisierung die Rolle der Salzarbeiter*innen? Wer schürft heute Kultur ‹von unten› hinauf ins goldige Skgt24-Zentralbüro am Auböckplatz in Bad Ischl? Die ländliche Avantgarde, die mutig ins Dunkel vorgräbt? Oder die für ‹einfache› Arbeiten herbeigecallten Hel- ping Hands? Man weiß es nicht so recht. Die einstige Leitlinie mit dem vielversprechenden Titel Kraft der Gegenkultur jedenfalls wurde mittlerweile aus dem Skgt24-Programm zurück ins Bergwerk befohlen.
Inklave und Exklave
Die ‹Inklave› – wie der Bottom-up-Anspruch des damaligen Kulturhauptstadt-Teams noch sprachbegabt im Bewerbungsbuch (Bidbook) genannt wurde – scheint vielmehr eine sich selbstprächtig institutionalisierende, sprich: nach Bourgeoise duftende ‹Exklave› geworden. Eine Blase, groß, leuchtend, außen golden, doch innen leer, schwarz und immer dann stumm, wenn es Handlungsbedarf für bestehende Projekte gäbe. Doch ruhig Blut: Die Exklusivität des Managements ist eine Misere, die in mehreren Kulturhauptstädten Europas von nativen Berg- äh Kulturarbeiter*innen belächelt wird, und nicht nur in der ‹unsrigen› (Wir? Wer war das jetzt nochmal?).
Ein Exempel für die Exklave Kulturhauptstadt wäre etwa das Pre-Opening im prunkvollen Lehártheater zu Ischl im Jänner 2023. Als Gäst*in fühlte man sich während des Türsteher-Events in die Kaiserzeit versetzt, deren Untergang ja bis heute in manchen Kreisen der Bannerstadt beweint zu werden scheint. Geladene Besucher*innen (fast ausschließlich Kooperationspartner*innen) schmachteten bei der nekrophilen Stefan Zweig-Soiree mit geschäftstüchtigem Lächeln im Sitzbereich vor der Bühne, während elaborierte Teile des privilegierten Programmteams sich in die geschlossenen Logen des oberen Stockwerks zurückzogen (zu deren Verteidigung: wohl eher unreflektiert und aus Platzgründen als aus Überheblichkeit). Und inhaltlich? Dort vorne? Auf der Bühne? Minichmayr, die Große, liest Zweig, den Großen. Gelesen wird von – was sonst – Größe, Einheit, Wachstum, guter Kunst, die in festgelegter Klarheit offenbar keine Fragen zu stellen habe und (hoppla?) von «europäischer Rasse» – alles ohne großen Diskurs über derartige Begrifflichkeiten.
Neue Denkmuster
Zusammengefasst: Bürgerliche wie kaisertreue Hochkultur grenzt sich im Salzkammergut momentan noch vom avantgardistischen Rest ab. Wer den Schillerschen Gedanken vom wohl definierten und absolut Schönen, Wahren und Guten nicht mitfühlt, «und wer’s nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund», so die scheinheilige Maxime. So do I, denn mein Europa ist das (noch) nicht. Demokratisches Verhalten mag vieles sein, doch sicher keine profitable Zustimmung zu allem Großen, keine sektenartige Verherrlichung von Einheit oder öffentliche Verschmähung von oppositionellen wie pluralitätsfördernden Gegenstimmen. Doch gut: Dissidente Majestätsbeleidigung war in den sonnig-kaiserlichen Räumen des Salzkammerguts niemals gern gesehen, und so wird es wohl auch bleiben.
Ja, Kultur – zumindest der Kultur-Begriff – ist für viele hier zum neuen Salz geworden und die «Bewegung [Skgt24 GmbH] ist schon jetzt erfolgreich», wie Thomas Neuwirth (Skgt24-Komitee) das in einem Interview «spür[t]». Die Frage aber bleibt: für wen? Fördergeber*innen und einzelne Kulturarbeiter*innen profitieren «schon jetzt», schließlich wurden bereits zahlreiche Löhne ausbezahlt und Dienstreisen sowie Geschäftsessen finanziert. In den Bergwerken der Avantgarde aber, dort, wo nachhaltige (Subkultur-) Arbeit übrigens schon seit Jahrzehnten passiert, dort, weitab vom funkelnd glamourösen Traum von Größe, Einheit und vom weißen Gold, ist von diesem Erfolg (vielleicht ja glücklicherweise) nicht besonders viel erkennbar. Kultur ist das neue Salz – ein treffendes Sprüchlein, denn: Unglücklicherweise hat sich in dieser Hinsicht seit der Frühen Neuzeit wohl nicht viel verändert. Trotzdem: Kollektive Denkmuster der Region können verstanden werden, und die bergwerk-finsteren Kapitel des Salzkammerguts müssen sich nicht wiederholen. Hierzu sollten aber gerade jetzt Außen und Innen, regionales Potential und Internationalität, Kulturarbeiter*innen und Management, tiefe Abgründe und glänzende Paläste gleichwertig und öffentlich zusammenarbeiten. Denkwürdiges Wort müsste endlich zur leidenschaftlichen Tat werden – und umgekehrt.
Mit einem Comic von Stephan Gasser.