Neue Perspektiven auf alte Probleme?

Über das Symposium „Freie Szene – Freie Kunst. Soziale Gerechtigkeit – Fair Pay“ in Wien

Am 8. und 9. April 2019 fand im Gartenbaukino in Wien das Symposium „Freie Szene – Freie Kunst. Soziale Gerechtigkeit – Fair Pay. Konkrete Strukturen und Ideen für Wien“ statt. Auf Initiative von Veronica Kaup-Hasler, Wiener Stadträtin für Kultur und Wissenschaft, organisierten die Interessensgemeinschaften einen internationalen und interdisziplinären Austausch über Rahmenbedingungen der Kunst- und Kulturarbeit in Österreich.

Für die KUPFzeitung saß Katharina Serles erstmals im Publikum und fasste ihre Eindrücke von Tag 1 wie folgt zusammen:

So wichtig die Auseinandersetzung mit den eigenen Strukturen ist, so irritierend war es für mich festzustellen, wie grundsätzlich die Diskussion immer noch geführt wird. Einige Redebeiträge konnten mir nur ein verwundertes ‚ja eh!‘ oder ‚wieso nicht schon längst?‘ abringen; das Lamento über die prekären Arbeitsbedingungen der (freien) Kunst- und Kulturszene ist ein allzu bekanntes Lied, das leider ebenso oft ohne echte Konsequenzen oder Handlungsmaßnahmen verklingt.

Verantwortung der Kultur-Szene

Veronica Kaup-Hasler begrüßte mit einer angriffigen Rede, in der sie die umgreifende Maximierungslogik als eine Ursache für schlechtere Arbeitsbedingungen in der Kunst- und Kulturszene identifizierte. Ähnlich formulierte das später Yvonne Gimpel: „Dass immer mehr mit immer weniger realisiert wird, ist eine trügerische Erfolgsgeschichte.“ Die Stadträtin enthob dabei aber die Szene selbst und ihre Akteur*innen nicht jeglicher Verantwortung: Rahmenbedingungen, so Kaup-Hasler, könnten und müssten sowohl von Seiten des Staates als auch durch die eigenen Strukturen geschaffen wie verändert werden.

Begrüßung von Stadträtin Veronica Kaup-Hasler

Forderungen nach Solidarität und Repräsentation

Bojana Kunst vom Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen bot mit ihrem Impuls den nötigen künstlerisch-theoretischen Weitblick und schaffte es, aus einem immer noch aktuellen Filmbeispiel aus den 70er Jahren neue Perspektiven abzuleiten: Ausgehend von Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers (1978) von Helke Sander diskutierte sie, wie wir unser Verständnis von ‚Arbeit‘ radikal verändern müssen, um Kulturarbeit gleichberechtigt verorten und entlohnen zu können. Sander spielt in ihrem eigenen Film eine junge Mutter, Fotografin, Künstlerin, Feministin und Aktivistin, die zwischen all diesen Positionen und Professionen in einem Paradoxon der ‚unfreien Autonomie‘ verstrickt ist. Zu sehen ist, wie das Ideal eines emanzipierten Lebens langsam erodiert und in sein Gegenteil umschlägt. Aus dem selbstbestimmten wird ein fremdbestimmtes Leben, in dem der Alltag die eigenen (sozial-)politischen Ansprüche im Keim erstickt. Dass dieses Paradoxon heute noch gilt, wurde schnell klar. Kunst verortete das Problem aber nicht im Individuum und seiner Forderung nach einem autonomen Leben, sondern in den fehlenden Strukturen und einer Gesellschaft, die keine freien Formen zulasse. Forderungen nach mehr Geld seien also naheliegend und wichtig, zu oft vergessen würden aber Forderungen nach Solidarität – und mehr noch, nach institutioneller/struktureller Verortung und Anerkennung von autonomen Lebens- und Arbeitskonzepten.

Maßnahmen zur Verwirklichung der Utopie

Yvonne Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur, fragte dann nach der „Utopie des Möglichen“: Ist gerechte Bezahlung für Kunst- und Kulturarbeit wirklich eine Utopie? Ähnlich wie später Irmgard Almer verwies sie auf die schlechte Datenlage als Ausgangssituation für Veränderungen: Best Practice Beispiele gäbe es kaum, wenig davon sei auf Österreich übertragbar. Für Österreich gäbe es erst seit einem halbem Jahr eine Studie zu Kulturarbeiter*innen/-vermittler*innen, die nichts wirklich Neues enthalte: Kultur-Arbeit ist meist ein Zusatzgeschäft neben anderen Brotjobs und in atypischen Beschäftigungssituationen; das führt zu lücken- oder fehlerhaften Absicherungen bei Krankheit, Erwerbslosigkeit, oder im Alter; und Frauen haben es dabei noch prekärer als Männer. Kurz: Von der Kunst leben zu wollen, heißt die Kunst des Überlebens (schmerzvoll) zu lernen. Die internationalen Rahmenbedingungen sehen ähnlich düster aus: In allen westeuropäischen Staaten haben sich die Kulturbudgets seit der Finanzkrise nicht erholt, stattdessen stagnieren oder sinken sie. Als Antwort darauf, als Weg aus der Utopie zum Möglichen, skizzierte sie folgende konkrete Schritte:

  • Kunst-/Kulturproduktion ist aus ihrem auratischen Nimbus beziehungsweise aus der Degradierung zum Hobby herauszuholen. Kunst und Kultur ist Arbeit, die materiell entlohnt werden muss. Erst wenn man sich als Arbeiter*in begreift, kann man Forderungen formulieren.
  • Schlechte Bedingungen dürfen nicht akzeptiert werden, sie sind nicht naturgegeben.
  • Es braucht mehr und stärkeren kollektiven Widerstand, sowie neue Allianzen.
  • Verbindliche Mindeststandards für professionelle Kunst- und Kulturarbeit sind essentiell; gerade auch dort, wo die öffentliche Hand fördert.
  • Es braucht Kostenwahrheit in Förderanträgen sowie Transparenz und Nachvollziehbarkeit in Förderabwicklungen.
  • Die Output-Orientierung in Förderinstrumentarien muss in den Hintergrund geraten; Exzellenz und Vielfalt brauchen einen geschützten Nährboden.
  • Es geht um mehr Geld. Für die Budget-Verhandlungen muss eine Faktenbasis geschaffen werden.

Um diesen Paradigmenwechsel für die freie Szene anzustoßen, regte Gimpel an, einen Kulturentwicklungsplan gemeinsam mit der Szene, ihren Akteur*innen und ihren Interessensvertretungen zu erarbeiten, also konkrete Rahmenbedingungen, Prioritäten, Ziele und Zielgruppen festzulegen, sowie einen Plan zur regelmäßigen Selbst-Evaluierung zu entwickeln.

Top-Down und Bottom-Up

Irmgard Almer, Geschäftsführerin der IG Kultur Wien, lieferte schließlich weitere Zahlen und Fakten, die die schlechte Situation der freien Szene als „Stiefkind der Kulturförderung“ untermauerten. So gäbe es in Wien keinen eigenen Fördertopf für Kulturinitiativen, die entsprechend auf atypische Arbeitsverhältnisse und Ehrenamt angewiesen seien. Obwohl diese einen wichtigen Beitrag zur sozialen und kulturellen Nahversorgung leisten, seien sie Stadt/Land/Bund nicht das entsprechende Geld wert.

Die weiteren Redebeiträge aus der Praxis bestätigten meinen Eindruck: Im neoliberalen Umfeld wird ‚frei‘ zu ‚flexibel‘, ‚selbstoptimiert‘ und ‚vereinzelt‘. Um von außen einen politischen Kulturwandel einzufordern und ihn auch von innen zu erreichen, braucht es Zusammenschlüsse, gemeinsame Visionen und Strukturen. Top-Down und Bottom-Up gleichzeitig also, das wird viel Arbeit – und auch wenn die angekündigten ‚konkreten Strukturen und Ideen‘ am ersten Tag nicht immer deutlich wurden, die Notwendigkeit und der Wille dafür sind immerhin da.

Das gesamte Programm ist hier zu finden.

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