«Kein Hip Hop, hie und da»

Die Hildesheimer Universitätsprofessorin Birgit Mandel hat die Ergebnisse eines mehr-jährigen Großprojektes der nordrhein-westfälischen Zukunftsakademie über «Interkulturelles Audience Developement» analysiert und publiziert.

Beachtliche 41 Kooperationspartner zählte das Schauspiel Dortmund für sein Projekt «Crashtest Nordstadt»: Mit dabei waren unter anderem mehrere Jugendtreffs, zwei Immobilienbüros, eine neu-apostolische Kirche, die Caritas, zwei Moscheen, mehrere Schulen, eine Polizeiwache, eine Beratungsstelle für Prostituierte, Sportvereine und eine islamische Bank. Das partizipativ angelegte Stadtspiel, das von Juni bis Oktober 2012 stattfand, führte sein Publikum in den «problembehafteten» Bezirk Nordstadt. Die Kooperationspartner fungierten dabei als Marktplätze, auf denen die Besucherinnen und Besucher zunächst zu Aktien deklariert wurden, um von ca. 60 «Checkern» und Nordstadt-Akteurinnen und -Akteuren durch den Stadtteil gelotst und verkauft zu werden.

Als partizipatives Outreach-Projekt, das viele Multiplikatoren einbinden konnte, verweist das Projekt «Crashtest Nordstadt» gleich auf mehrere der Erfolgskriterien, die nach den Ergebnissen einer groß angelegten Studie des Landes NRW zu erfolgreichem «Interkulturellen Audience Developement» führen können. Die Studie wurde initiiert und gefördert von der Zukunftsakademie NRW. Als Projektpartner nahmen sieben große Kulturinstitutionen teil, die zwischen 2010 und 2013 interkulturell ausgerichtete Kulturprojekte realisierten, alle in ähnlicher Größe und Aufwändigkeit wie «Crashtest Nordstadt». Neben dem Schauspiel Dortmund waren dies das Schauspielhaus Bochum, das Westfälische Landestheater Castrop Rauxel, das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, das Junge Schauspielhaus Düsseldorf, das Theater Oberhausen und das Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt. Also sechs Theater und ein Museum, wobei das Museum in Kooperation mit freien Tanzgruppen ein interkulturelles Tanzprojekt veranstaltete. Die Ergebnisse der Studie beziehen sich also in erster Linie auf darstellende Künste – sind nach Meinung der AutorInnen aber auf andere Kunstsparten übertragbar.

Audience Developement ist ein Begriff aus dem angelsächsischen Raum und bezeichnet die Generierung und Bildung neuen Publikums für Kultureinrichtungen in der strategischen Kombination von Kulturnutzerforschung, Marketing, PR und Kulturvermittlung. Es wundert daher nicht, dass trotz des interkulturellen Schwerpunktes eine renommierte Kulturmanagement-Theoretikerin mit der wissenschaftlichen Begleitung betraut wurde. Unter der Leitung der Hildesheimer Professorin Birgit Mandel wurde sowohl das Publikum qualitativ oder schriftlich befragt als auch die Projektbeteiligten über ihre Ziele, Zielgruppen, Arbeitsweisen und Wirkungen für ein Interkulturelles Audience Developement interviewt. Die Ergebnisse sind nun in Buchform erschienen.

Echtes, langfristiges Interesse an den neuen Publikumsgruppen, so eine Kernaussage der Studie, ist Grundvoraussetzung für erfolgreiche Publikums-entwicklung. Zunächst ist eine gute Kenntnis des aktuellen und des potentiellen Publikums wichtig.
Wen will man ansprechen? Mehrmals betont die Publikation, dass Kunstaffinität nichts mit der Herkunft zu tun hat und gerade unter MigrantInnen häufig kunstaffine Personen einfach noch nicht erreicht wurden. Um neues Publikum zu gewinnen, sei es zweitens besonders wichtig, mit vielfältigen Gruppen zu kooperieren und die interkulturelle Öffnung einer Einrichtung im Dialog zu gestalten. Wichtige Multiplikatoren sind neben Lehrern und Sozialarbeitern auch Mitglieder von Vereinen. Zudem kann über partizipative Projekte, vor allem im Bereich der Kunst für Jugendliche, mehr Identifikation mit der «Hochkultureinrichtung» hergestellt werden. Es müsse vermittelt werden, dass die Kunst etwas mit dem eigenen Leben zu tun hat.

Interkulturelles Audience Developement ist jedenfalls nie nur eine reine Marketingstrategie und kann sich nicht in ästhetischem Beiwerk erschöpfen, ist «kein Hip Hop, hie und da» (Vorwort), sondern verfügt über inhaltliche Imperative und sogar strukturbildendes Potential. Es sind die Programme, die relevant sind, ob neues Publikum kommt, und die Institution muss bereit sein, ihre Programmpolitik zu ändern und auch den Mehraufwand an Organisation und gegebenenfalls auch an Kosten in Kauf zu nehmen (die sei auch ein Appell an die Fördergeber!).
Zudem sei es wichtig, gute Künstler mit der Projektbetreuung zu beauftragen und die Projekte nicht nebenbei, sondern mit großem Engagement zu betreuen. Das künstlerische Ergebnis muss bei allen ökonomischen oder pädagogischen Absichten immer im Vordergrund stehen, um neues Publikum langfristig zu binden.

Neben einem interessanten Exkurs über beispielhafte Modelle in Großbritannien und den Niederlanden, bietet das Buch vor allem die Möglichkeit über die künstlerischen Potentiale der Publikumsentwicklung zu reflektieren. Interkulturelles Audience Developement eröffne die Chance, die fest-gefahrenen Kategorien zwischen U- und E-Kultur produktiv aufzuweichen. «Der Zugewinn an kulturellem Kapital auch durch Migration und die Bereicherung durch kulturelle Vielfalt insgesamt kann auf dem kulturellen Feld sichtbar und auch für andere Bereiche der Gesellschaft produktiv werden.»

Birgit Mandel
Interkulturelles Audience Development
transcript Verlag
März 2013, 254 S.,
ISBN 978-3-8376-2421-2

Gelesen von: Julia Engelmayer, Dramaturgin am Theater Phönix.
 

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