Welche Welt ist möglich?

Politische KommentatorInnen, WissenschafterInnen und selbst PolitikerInnen sind sich einig: Der Nationalstaat ist am Ende.

In Zukunft werden die wirklich wichtigen Entscheidungen, noch mehr als schon bisher in anderen Zusammenhängen getroffen werden. Aber wie wird es dann mit dem vielgepriesenen „westlichen Werten“, etwa der demokratischen Mitbestimmung aller, aussehen?

Eine Fragestellung der die KUPF in ihrem Innovationstopf 2002 mit dem Titel „macht:politik“ nachgeht. Radio-KUPF hat dazu unter anderem eine interessante Diskussion abgehalten, die wir hier zum Nachlesen veröffentlichen.

Andi Wahl: Die Antiglobalisierungsbewegung ist zur Zeit weltweit gesehen eine der interessantesten Bewegungen, die auch in der Politik einiges bewirkt. Kann diese Antiglobalisierungsbewegung, die sich ja ganz neuer, bisher relativ unbekannter Formen der Einflussnahme bedient, Modell stehen für zukünftige Zusammenschlüsse und zukünftige Versuche der Einfluss-nahme?

Günther Hopfgartner: Zunächst einmal würde ich kurz und knapp ja sagen. Zum zweiten kann man aber eigentlich nicht von einer „Antiglobalisierungsbewegung“ sprechen. Der Grund dafür: Diese Bewegung richtet sich nicht gegen die Globalisierung als solche, sondern gegen eine bestimmte Form von Globalisierung, die man als neoliberale oder kapitalistische Globalisierung bezeichnen kann. Es geht also um unterschiedliche Konzepte zur Weiterentwicklung der Welt. Das kommt auch immer wieder in den Slogans der Bewegung zum tragen.

Beim Treffen letztes Jahr in Portoa Alegre stand der Slogan „Eine andere Welt ist möglich“ im Mittelpunkt. Das drückt in etwa auch den Canon dieser Bewegung aus. Der zweite Punkt, warum es problematisch ist, von der „Antiglobalisierungsbewegung“ zu sprechen ist, dass es sich um keine homogene Bewegung mit klaren Strukturen, einem Programm und einer Leitung handelt. Vielmehr handelt es sich dabei um die Vernetzung unterschiedlichster Gruppierungen und Strukturen von neuen und traditionellen AkteurInnen. Vor allem ist es eine Vernetzung von zahllosen Mikropolitiken, die sich irgendwo auf der Welt der Widersprüche des kapitalistischen Systems annimmt. Das Interessante dieser Bewegung ist, dass es diese Mikropolitiken aufeinander beziehen und vernetzen.

Das bedeutet, dass ein Hauptteil der Arbeit nicht in Genua, Seattle, Göteborg oder Prag stattfindet, sondern vor Ort, sozusagen während der Woche. Also überall dort, wo Gruppierungen, egal ob jetzt NGOs, Gewerkschaften, MigrantInnenorganisationen oder völlig neuartige Formen von Netzwerken, politisch arbeiten. Das Interessante dabei ist, dass diese Bewegung es geschafft hat, Kristallisationspunkt für unterschiedliche Auseinandersetzungen zu sein, gleichzeitig aber einen Resonanzbogen für diverse Forderungen abzugeben.

Der entscheidende Punkt ist, dass es jetzt möglich wurde, lokale, regionale oder auch Kämpfe auf nationaler Ebene, in einem weiteren Horizont zu sehen, auf eine globale Ebene zu beziehen und dadurch die Segmentierung der Kämpfe und bestimmte Chauvinismen aus diesen Kämpfen rauszunehmen und aufeinander zu beziehen. Also in diesem Sinn ist es etwas Neues. Eine Form von Vernetzung, die nicht diese Einzelkämpfe oder Mikropolitiken einem bestimmten übergeordneten Programm oder Ziel unterwirft, sondern sie miteinander vernetzt oder sie aufeinander bezieht – damit es zu einem Austausch kommt wird ein Resonanzbogen für die Forderungen hergestellt. So bekommen die GlobalisierungskritierInnen in ihrer ganzen Breite und Tiefe ihre Relevanz und damit, für mich, auch die antikapitalistische Sprengkraft.

Andi Wahl: Ein Netzwerk, in dem jede Gruppe ihre Identität und ihre Forderungen beibehält und sich nicht einem größeren Ziel oder einem größeren Konstrukt unterwerfen muss. Es wird dieser Bewegung auch immer wieder vorgeworfen, sie hätte kein Gesicht und sie würde keine Zukunftsmodelle bieten. Wenn ich dich recht verstehe, wird hier nicht ein Zukunftsmodell geboten, nicht eine Vision, sondern sehr viele.

Günther Hopfgartner: Im Prinzip ist es so, dass die Bewegung kein wirkliches Gesicht hat. Es gibt ein paar Persönlichkeiten, die über die Medien in den letzten Jahren aufgebaut worden sind: Leute wie Naomi Klein, Toni Negre oder Luca Casarini in Italien – also im Zusammenhang mit Genua. Das Interessante an der Bewegung ist aber, dass sich nicht ein Gesicht oder fünf Gesichter oder ein Zentralkomitee herausgebildet hat. Das hätten die Medien gerne und das hätten auch die herrschenden PolitikerInnen gerne, weil sie sich AnsprechpartnerInnen wünschen, mit denen sie verhandeln können.

Das Problem ist, dass dem nicht so ist und deshalb haben beide, Politik und Medien, ein Problem mit dieser Bewegung. Und dann ist es tatsächlich so, dass es in der Bewegung nicht eine Vorstellung von einer anderen Welt, einer anderen Gestaltungsmöglichkeit dieser Welt gibt. Wie sollte das im Prinzip auch funktionieren, wenn linksradikale AntiimperialistInnen, die sich auf den Aufstand der ZapatistInnen beziehen, zusammen mit liberalen Ökologinnen oder Ökologen in einer Bewegung sind? Also da sind wirklich Differenzen da, die aber durch diese Netzwerkstruktur zusammengehalten werden, aber nicht auf ein Programm oder auf eine Plattform einzuebnen sind.

Der Slogan „Eine andere Welt ist möglich“ sagt mir nicht, welche Welt möglich ist oder wie diese Welt ausschauen sollte, er bringt überhaupt einmal diese Idee, dass diese Welt, so wie sie jetzt da steht, nicht die einzig mögliche ist, also dass wir nicht am Ende der Geschichte sind und dass diese Welt nicht die einzig denkbare ist. Wie diese Alternative genau ausschauen wird, dazu wird es Prozesse der Klärung bedürfen.

Im Prinzip ist der entscheidende Punkt dieser Bewegung, dass sie die Idee des Konflikts wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat und zum anderen auch ganz klar gemacht hat, es gibt die Möglichkeit einer anderen Welt und es gibt die Möglichkeit, an deren Gestaltung Anteil zu haben. Das muss man nicht irgendwelchen neutralen oder supranationalen Gremien überlassen.

Andi Wahl: Die Migrantinnenorganisation MAIZ arbeitet sehr aktiv an der Entwicklung einer Alternative und beginnt mit der Erschaffung einer neuen Welt gleich vor Ort beginnt, nämlich am Linzer Alten Markt . Rubia, du bist Mitbegründerin dieser Organisation, Sprachwissenschafterin, Literatin, Autorin. Wo gibt es kulturelle, künstlerische Mittel in die Gesellschaft einzugreifen? MAIZ ist bekannt dafür auch hier Grenzgängerin zu sein.

Rubia Salgado: Ich glaube, ich muss zuerst auf etwas anderes eingehen, bevor ich dann zu dieser Grenzüberschreitung komme. Wie Günther bereits gesagt hat, ist Konflikt in Österreich meistens ein Tabu. Und unsere Erfahrung bei MAIZ ist, dass wir sehr gehasst werden. Wir haben immer wieder diesen Eindruck, weil wir im Grunde genommen provozieren. Ich glaube es gibt in ganz Oberösterreich keine Organisation wie MAIZ. Es gibt diese bekannten und sehr großen NGOs, die diese Selbstorganisation von anderen Gruppen verhindern.

Und MAIZ hat hier irrsinnig viel getan, um diese Barrieren zu brechen und zu sagen: „Nein, wir wollen abseits dieser großen, anerkannten Organisationen auch das Recht auf Selbstorganisation haben!“. Da spielt natürlich die Vernetzung eine sehr entscheidende Rolle. Ohne das breite Netzwerk, in das MAIZ eingebunden ist, würde auch unser Projekt anders aussehen. Seit Jahren führen wir von MAIZ künstlerische und kulturelle Maßnahmen durch. Und was ich dabei toll finde, ist, dass durch diese Arbeit andere Migranntinnen-Gruppierungen und -organisationen auf diese Möglichkeiten aufmerksam geworden sind.

Andi Wahl: Könntest du einige Beispiele für solche Projekte nennen?

Rubia Salgado: Ich möchte kurz von zwei Projekten erzählen. Ein Projekt heißt „Fremde Dezibel“, das haben wir heuer im Rahmen des Festivals der Regionen durchgeführt. Das Thema war Kommunikation zwischen Migrantinnen und österreichischen Männern. Wie gehen diese Gruppen, diese Personen miteinander um, wie reden die Österreicher mit diesen Frauen, wie benützen die Frauen die deutsche Sprache in Kommunikation mit diesen Männern und in welchen Situationen? An und für sich eine ganz einfache Idee, die durch die Arbeit mit den Künstlern sehr schön, interessant und spannend geworden ist. Wir haben die Ergebnisse dann in verschiedenen Bahnhöfen in Oberösterreich präsentiert. Wir können nicht erwarten, dass Leute zu uns kommen – deshalb gehen wir zu den Leuten in den öffentlichen Raum und präsentieren unsere Arbeit.

Das zweite Beispiel, von dem ich kurz erzählen möchte, sind die kartographischen Eingriffe, die schon sehr bekannt sind und die wir quer durch Oberösterreich durchführen. Wir bearbeiten mit den Menschen den Stadtplan einer Stadt, meistens mit Unterstützungeiner Künstlerin. Es werden Eingriffe, Interventionen in den Stadtplan gemacht, aus der Perspektive dieser Gruppen, meistens Migrantinnen. Und mit dieser Arbeit gehen wir dann in die Öffentlichkeit, machen Ausstellungen, Diskussionen usw.

Das sind ganz einfache Ideen, die aber wirksam sind und die im Zwischenraum von Kulturarbeit und Sozialbereich stattfinden.

 

 

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