Folklore, Tradition und Ethnizität in der Migration

Ein Bericht vom Vernetzungstreffen „Migration und Kultur“

 

von Rubia Salgado

Am 23. /24. November haben sich zum ersten Mal in Oberösterreich VertreterInnen von MigrantInnenvereinen und von Organisationen, an welchen MigrantInnen aktiv mitwirken, im Rahmen eines Vernetzungstreffens getroffen, um über die Bedingungen, Möglichkeiten und Formen der Arbeit im Kulturbereich zu diskutieren, über Perspektiven der Zusammenarbeit zu reflektieren und weiteren Vorgangsweise zu entwerfen. Obwohl der Schwerpunkt im Bereich Kulturarbeit lag, wurde dieser immer im Zusammenhang mit allgemeinen gesellschaftlich politischen Aspekten betrachtet und in diesem Sinn auch die Arbeit im Sozialbereich bzw. die Schaffung von Möglichkeiten innerhalb eines Grenzraums zwischen Kultur- und Sozialbereich wurden stark berücksichtigt.

Als inhaltlicher Schwerpunkt wurde die Thematik Folklore, Tradition und Ethnizität in der Migration gewählt. Zu diesem Programmteil wurde Dr. Nils Zurawski, Soziologe an der Universität Münster, eingeladen, einen Vortrag zu halten. In diesem Zusammenhang erzählte er uns über Traditionen als Orientierungsrahmen, die mitgebracht werden und von Ethnizität als eine Möglichkeit der Selbstorganisation und der Schaffung eines Netzwerkes, das als Hilfe für neue Angekommene funktioniert. Er betont jedoch, dass neben dieser positiven Seite auch eine Gefahr besteht und sprach von einer dysfunktionalen Ethnizität, die als ein Prozess der Selbstethnisierung und im Rahmen einer Reaktion auf Assimilationszwang Tradition und Folklore benutzt, um eine Gruppe „zusammenzuhalten.“ Hier handelt es sich um einen „Kulturfundamentalismus“, der Traditionen und Folklore pflegt, die häufig wenig mit den Kulturen der Herkunftsländern zu tun haben, denn Kulturen und ihre Ausdrucksformen sind nicht statisch, sondern verändern sich.

Weiters sprach er über die Benutzung des Begriffs „Ethnie“, der wie im Beispiel ihrer Anwendung in den Medien meistens mit der Bedeutung von Konflikt belegt wird, und fügte die Feststellung hinzu, dass die Aufnahmegesellschaft keinen Konflikt will: „Sie wollen Arbeiter.“ Den MigrantInnen wird es seitens der Aufnahmegesellschaft „erlaubt“, ihre Traditionen zu pflegen, solange sie nicht im einen dynamischen Kontext integriert werden, denn das Wegnehmen der Dynamikmöglichkeiten dient der Kontrolle über die „ethnischen“ Gruppen.

Aber „vielleicht wollen sie nicht hauptberuflich Türken, Afrikaner, Asiaten bleiben“ , meinte der Vortragender und brachte einige Beispiele über Möglichkeiten der Benutzung von Begriffen und Bezeichnungen, die MigrantInnen zugeteilt werden, als Instrumente und Formen, die Veränderungen hervorbringen könnten. Als Schluss betonte er die Notwendigkeit der kulturellen Anerkennung von zugewanderten Menschen als MitbürgerInnen und nicht als MigrantInnen, denn erst wenn sie als solche gesehen werden, kann überhaupt über eine gemeinsame Suche nach Möglichkeiten gesprochen werden. Während der anschliessenden Diskussion wurde u.a. die Benutzung des Begriffes MitbürgerInnen (der vom Vortragenden immer in der männlichen Form benutzt wurde) in Frage gestellt. Seitens des Publikums wurde argumentiert, dass dieser Begriff ein symmetrisches Verhältnis voraussetzt, das aufgrund von bestehenden Machtgefällen und Untersagung von Grundrechten unmöglich gemacht wird.

Parallel zum Vortrag wurde von 2nd Generation News / Radio FRO einen Radioworkshop für Jugendliche durchgeführt, an welchem zahlreichen jugendlichen MigrantInnen (ca.20) teilgenahmen. Am zweitem Teil des Abendprogramms wurde über den Ablauf des Workshops berichtet und die Arbeit der Gruppe 2nd Generation News dargestellt. Anschliessend wurde der Verein Echo aus Wien von Thomas Tesar präsentiert. Der zur Zeit freie Mitarbeiter des Vereins und Vorstandsmitglied berichtete über die Entstehungsgeschichte des Vereins, der seit 8 Jahre im Bereich Jugendarbeit mit und vom MigrantInnen tätig ist. Echo gibt eine interkulturelle Jugendzeitschrift heraus und betreibt ein Jugendkulturhaus, wo Musikbands die Möglichkeit haben, Proberäume zu benutzen und Veranstaltungen realisiert werden. Auch verschiedene Workshops u.a. in Medienbereich werden hier durchgeführt. Die Arbeit vom Verein Echo entfaltet sich als politische Jugend-, Sozial- und Kulturarbeit: eine Mischung, die eine besondere Qualität bedeutet.

Thomas Tesar erzählte u.a. über die Teilnahme vom Echo im Rahmen der “ Wiener Wahlpartie“, einer Wahlkampagne bei den letzten Gemeinderatswahlen in Wien, bei welcher versucht wurde, MigrantInnen zu einer Partizipation als Subjekte in der Wahlkampagne zu motivieren. Am Schluss bemerkte Thomas Tesar, dass Folklore keinen Schwerpunkt in der Arbeit von Echo bildet und betonte, dass die 2. Generation nicht zwischen zwei Kulturen lebt: „Sie leben mit einer Kultur, die aus verschiedenen Elementen gebildet wird“.

Der zweite Tag des Treffens begann mit einem Informationsvortrag von Vertretern der Kupf und der Plattform der OÖ. Sozialprojekte. Ziel dieses Vortrags war die Vermittlung von Grundinformationen über Formen und Möglichkeiten der Förderungen im Kultur- und Sozialbereich. Hier wurden über die geltenden Strukturen und formalen Voraussetzungen für Förderungen berichtet, sowie einen Überblick über die in beiden Bereichen zuständigen Stellen und Personen (Stadt/Land/Bund) vermittelt. Im Rahmen der darauffolgenden Diskussion wurde auf die Notwendigkeit der Unterstützung seitens beider Organisationen hingewiesen, denn MigrantInnen haben mit sehr vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, wenn sie versuchen Förderungen in Anspruch zu nehmen. Bereits bei der Vereinbarung von Terminen mit VertreterInnen der zuständigen Stellen stossen MigrantInnen auf Schwierigkeiten…

Im nächsten Abschnitt des Programms befassten sich die TeilnehmerInnen des Treffens mit der weiteren Bearbeitung eines Forderungskatalogs. Dabei ging es darum, den präsentierten Entwurf zu überarbeiten: Vorschläge, Veränderungen und Ergänzungen wurden gemacht. Unter anderem wurde die Notwendigkeit festgestellt, bestimmte Forderungen zu konkretisieren, wie z.B. hinsichtlich der Einbeziehung und Partizipation von MigrantInnen in Entscheidungsprozessen. Auch die Forderung zur Erleichterung des Zugang sowie zur Reduzierung von Kosten zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft wurde thematisiert. Es wurde beschlossen, dies in Kombination mit der Forderung nach gleichen Rechten für Menschen, welche die Staatsbürgerschaft nicht erwerben können oder wollen, zu fordern. Weiters wurde der Katalog um die Forderung nach Ausbildungsmaßnahmen für MigrantInnen, die im Bereich der Selbstorganisation tätig sind oder sein wollen, ergänzt. Es wurde ein Arbeitskreis zur weiteren Arbeit an dem Forderungskatalog gebildet.

Die Möglichkeit der Präsentation im Rahmen der practice zone wurde von folgenden Organisationen, Vereinen und Gruppen in Anspruch genommen: Second Generation News / Radio Fro; Integrationsbeirat der Stadt Linz; ATIGF – Föderation der Arbeiter und Jugendlichen aus der Türkei in Österreich; DIKD – Föderation der Demokratischen Arbeitervereine; KUPF ; MAIZ – Autonomes Integrationszentrum von & für Migrantinnen; Verein Begegnung; Medea – Verein für Medienpädagogik.

Als letzter Teil des Treffen wurde eine Diskussion unter dem Titel Perspektiven von Vernetzung durchgeführt. An der Diskussion nahmen VertreterInnen von MigrantInnenorganisationen (ATIGF, DIKD, MAIZ, Begegnung, Forum Interkulturalität) und der vom Integrationsrat Vöcklabruck zum Landeskulturbeirat OÖ vorgeschlagene Cirkin Behzad teil. Unter den DiskutantInnen herrschte Konsens im Bezug auf die positiven Aspekte einer Vernetzung und alle haben Interesse gezeigt, weiter daran zu arbeiten. In diesem Sinn wurde vereinbart, weitere Diskussionen zu führen, um über die Formen der Arbeit , Schwerpunktsetzung, Strategien, Öffentlichkeitsarbeit usw. zu reflektieren.

In den Resümme’s und Kommentaren der Beobachterinnen wurde u.a. auf die Abwesenden im Treffen hingewiesen: VertreterInnen von der katholischen Kirche, von karitativen Organisationen und NGO’s, von Bildungsinstitutionen, aus der Sozialpartnerschaft, aus der Entwicklungspolitik usw. – und eine Frage wurde gestellt: „…weil wir auf Protagonismus setzen?“.

Insgesamt wurde das Treffen als ein erfolgreicher Schritt gesehen. Es wurde von ca. 70 Personen besucht, die sich sehr intensiv mit den vorgeschlagenen Themen auseinandersetzten. Die Absicht weiterzumachen, steht fest: „Die Zusammenarbeit wird weitergeführt werden und sie wird nicht konfliktfrei sein!“

Rubia Salgado

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