He, Alter!

23° weiß, dass alles gut wird.

Damals, im vorletzten Jahrhundert des letzten Jahrtausends hat sich etwas verändert. Die phlegmatische Österreicherin entwickelte ein Gefühl für Sport. Und es fügte sich, dass die Versehrten und Kropfigen weniger wurden. Heimlich, still und leise. Die Wissenschaft, Erzengel des Fortschritts, hatte ihre Hände im Spiel. Früher waren Vatermörder und Mieder würdevoll und jugendlicher Übermut ungehörig. Die Welt von Gestern liebte die Jugend nicht. Die Jugend, das bedenkliche Element, war in ihrer Frische, Verwegenheit, Neugierde und Lebenslust verdächtig. Verblüffend: Heute tun 60-jährige alles, um wie 40-jährige auszusehen. Mein Großvater prophezeite mir einmal: „Morgen bist du Großmutter.“ Doch der Satz fiel leer und gewichtslos in mich. Es gab dafür kein Fenster zur Zeit. Wenn die Antwort auf alles „42“ ist, dann gehört dem einzelnen Leben die „2“. Vorher und nachher. Jung und alt. Per Du und per Sie. Das Lebensalter ist eine Folie, die ein Leben in zwei Existenzen trennt. Ein verquerer Dualmodus, denn während im biologischen Untergrund Regenerationszyklen langsamer, Zellen müder werden, fühlt man sich „fit wie nie“. Marathon. Triathlon. Oktathlon. Das goldene Mittelalter dehnt sich aus und wir deuten die Wirklichkeit um. Die Uhr tickt, doch wir halten die Hände an die Ohren und singen lauthals: „Du-dum di-du… Sag’ Du zu mir. Das Sie schafft Distanz. Sag’ Du zu mir, bitte, bitte, sag’ Du zu mir.“ „He, Alter! Unsere Jugend stirbt doch niemals nie“ sagen die Anderen im Selbstgespräch. Und aus dem Off vermeldet Simone de Beauvoir: „Das Problem mit dem Älterwerden ist, dass man jung bleibt.“ Eine Paradoxie. Doch wenn dir alle Welt mit der reaktionären Grußformel kommt, hast du den Schritt getan. Unwiederbringlich. Da hilft kein Blick ins All, in die große Vergangenheit, die da ausgebreitet liegt. Jemand ist vorangeschritten, ohne es richtig bemerkt zu haben… Zurück im Heute ein Reality Check: Ich beklage mich bei einem Freund über die Abwesenheit von Techno im Nachtleben. Er weiß etwas. In einem Bunker ist eine illegale Technoparty von jungen Leuten geplant. Mein Herz lacht. Ich denke laut: „Die sagen vermutlich ‚Grüß Gott‘ zu mir.“ Er meint: „Passiert mir auch immer öfter.“ Er trägt Dreads. Nichts zu machen. Auch er hat die Grenze überschritten. Jetzt sind wir schon 2.

23° hat den Text geschrieben und empfiehlt der geneigten Leserin die veraltete Bedeutung von „per Du“ im Duden zulesen. Aber keine Angst, wenn per Du „perdu“wird. Alles wird gut.

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