Streng Erbsenzählende werden nicht ganz zu Unrecht einwenden, dass es 2010 für eine Jahrhundertfeier des designiert auf den 8.März fallenden Internationalen Frauentags ja eigentlich noch zu früh sei. Man verweist auf 1911 als geeigneteres Jubiläumsjahr, in dem in Europa die ersten entsprechenden Feierlichkeiten stattfanden – zu diesem Zeitpunkt allerdings am 19. März.
Besonders Genaue (und Geduldige) werden das Jahr 1921 ins Feld führen, in dem die 2. kommunistische Frauenkonferenz schließlich und endlich den 8. März als ”Frauentag” festlegte. Erinnern sollte dieses Datum an ein tragisches Ereignis mit hohem politischen Symbolpotential: am 8. März 1908 kommen in einem Feuer in der New Yorker Textilfabrik Cotton 129 streikende Arbeiterinnen ums Leben – der Fabrikbesitzer hatte sie im Gebäude eingeschlossen. 1910 hingegen qualifiziert sich im Rennen um das Centennial nur insofern, als es den Zeitpunkt des offiziellen Beschlusses eines Internationalen Frauentages markiert: die II. Internationale Sozialistische Frauenkonferenz in Kopenhagen verabschiedet am 27. August des Jahres die Einführung eines jährlichen ”Kampftages” für Frauen. Ein Datum für diesen Tag wird nicht festgelegt. Wann genau also die ”100 Jahre Internationaler Frauentag” begangen werden sollten, bleibt eine Frage der Auslegung – und wohl auch des Geschmacks. Mich interessiert am Jubiläum ohnehin weniger das Wann, als das Weshalb: ist ein ”Frauen”tag – auch unter Berücksichtigung all seiner erweiternden Attribute wie ”international” oder ”autonom”- noch zeitgemäß? Speziell nach den theoretisch heißen 1980- und 90ern?
Mit meiner Frage nach der Sinnhaftigkeit beziehe ich mich nicht auf die gerne und oft bemühte Argumentationslinie, endlich mit dem ganzen Gender-Scheiß eine Ruh zu geben, weil die endgültige Gleichstellung von Mann und Frau in unseren Breiten ohnehin schon durchgesetzt worden wäre. Einem feministischen Anliegen mit dieser Keule zu begegnen, ist weder besonders edgy noch besonders neu. Barbara Bretbacher1 weist zum Beispiel darauf hin, dass sich bereits 1924 die sozialistischen Organisatorinnen des Frauentages in Linz dem Vorwurf stellen mussten, ihre Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung von weiblichen und männlichen Staatsbürgerinnen sei redundant – schließlich verfügten Österreicherinnen seit 1918 über das Wahlrecht, womit das Ziel der lästigen Ersten Frauenbewegung erreicht sei (Tagblatt vom 16. März 1924, zitiert nach Bretbacher, S. 7f).
Mir geht es also nicht um die Frage, ob ein internationaler Frauentag noch angebracht sei, weil es ”den Frauen” eh schon vergleichsweise gut ginge. Ganz abgesehen davon, dass dies ein dürftiges Argument wäre (Stichwort Einkommensschere, gläserne Decke, Verteilung der Last von Versorgungs- und Hausarbeit etc), ist das wirklich interessante Problem ein viel verzwickteres – ein, wenn man den führenden Autorinnen im Geschäft Glauben schenken darf, der abgecheckten poststrukturalistisch informierten feministischen Politik inhärenter Hauptwiderspruch.
Weil einerseits. ”Geschlecht” – und somit auch die Zugehörigkeit zu einer Genus-Gruppe wie jener der durch den ”Frauentag” so prominent adressierten ”Frauen” – gehört dekonstruiert. Wer auf der Beibehaltung geschlechtlicher Identitäten beharrt, reproduziert sie mitsamt den mit ihnen einhergehenden normativen Vorschreibungen – und arbeitet so munter mit an der Aufrechterhaltung bestehender Gender – und geschlechtsspezifischer Ungleichheiten; kurz: des ganzen heteronormativen Scheiß.
Andererseits. Ein Blick auf leider immer noch brennend aktuelle Gender-Disparitäten in vielen gesellschaftlichen Bereichen rechtfertigt die Bezugnahme auf die einigende Kategorie der ”Frauen” nicht nur, sondern macht ”Geschlecht” als Blickwinkel im Beforschen und Bekämpfen von sozialer Ungleichheit auch heute immer noch notwendig. Wie also tun?
Vielleicht läge ein Ansatz in einer queerenden An- und Umeignung des Datums in Frage. Ein Ziel könnte sein, dem 8.März eine politische Bisskraft zurückzugeben, die darauf abzielt, normativen geschlechtliche Identitätskonzepte auszuhebeln. Ein ”Frauen”tag 2010 – von mir aus zum 100jährigen Jubiläum – könnte fordernder, unbequemer, und, ja! auch: lustiger werden, wenn er seine Bezugsgruppe, die ”Frauen”, bewusst unter Anführungszeichen stellt, und die Sause öffnet für alle, die das subversive Potential einer kulturellen Inszenierung von ”Weiblichkeit” im Sinne eines temporären Bündnisses für ihre Zwecke ausnutzen wollen. Erinnert sei hier zum Beispiel an Queer-Femininity-Ansätze wie jene Del La-Grace Volcanos2 und Ulrika Dahls oder an den ebenso trashigen wie demaskierenden Exploitation Feminism eines Herschell Gordon Lewis in She-Devils on Wheels (1968). Unter Umständen klappt das dann auch endlich mal mit dem ”Gleichen Lohn für Gleiche Arbeit” – für alle; und nicht nur für die Angehörigen einer Genusgruppe mit streng definierten biologischen und sozialen Musterungskriterien.
1 Lit: Barbara Bretbacher: Der Internationale Frauentag 1924-1928 in Linz. Unveröffentlicher Forschungsbericht für Gabriella Hauch/Martina Gugglberger: Frauenleben in Linz 1919-1933, Universität Linz, Juni 2004 2 Del LaGrace Volcano & Ulrika Dahl: Femmes of Power. London: Serpent’s Tail 2008
weblink: Del La Grace Volcano
Kristina Pia Hofer, Soziolgin, visual-culture-dompteuse und Ponyexpress, beforscht und lehrt Feminismen, Pornographie und Trashploitation in Wien und Linz.